Berlin. Das US-Model Lauren Wasser verlor durch das toxische Schocksyndrom ihre Beine. Tampons sollen schuld sein. Experten sind skeptisch.

Für jede Frau, die Tampons benutzt – allein in Deutschland rund 19 Millionen – klingt die Geschichte des Models Lauren Wasser beängstigend. Im Oktober 2012 finden Polizisten die damals 24-Jährige leblos auf dem Boden ihrer Wohnung nahe Los Angeles.

Die Ärzte stellen einen schweren Herzinfarkt fest, mehrere Organe hatten den Dienst versagt. Beides hatte dazu geführt, dass die Gliedmaßen der eigentlich gesunden jungen Frau vorübergehend nicht ausreichend mit Blut versorgt wurden.

Model erleidet lebensbedrohliche bakterielle Infektion

Wenig später muss ihr rechter Unterschenkel abgenommen werden. Ein Infektiologe macht kurz nach Lauren Wassers Einlieferung die Ursache aus: Ihr wird – so erzählt sie selbst später in zahlreichen Interviews – ein mit dunklem Menstruationsblut vollgesogener Tampon entfernt.

Der Laborbefund zeigt: Sie hatte das toxische Schocksyndrom (TSS) erlitten, eine mitunter lebensbedrohliche bakterielle Infektion, ähnlich einer Blutvergiftung.

Auf deutschen Produkten stehen Hinweise nur im Kleingedruckten

Umgehend verklagt ihre Mutter den Tamponhersteller und die Drogerie, in der ihre Tochter die Hygieneartikel gekauft hatte. Die Warnung vor der umgangssprachlich „Tamponkrankheit“ genannten Infektion hätte ihrer Meinung nach prominenter sein müssen.

© REUTERS | REUTERS / LUCAS JACKSON

Auch auf deutschen Produkten stehen die Hinweise auf TSS-Risiken nur im Kleingedruckten. In dieser Woche mussten Ärzte nun als Spätfolge auch Lauren Wassers linkes Bein unterhalb des Knies amputieren, ihren Kampf gegen die Tamponhersteller will sie weiterführen.

Auch Männer und Kinder können erkranken

Mediziner sehen das kritisch. „Für die einzelne Frau ist das eine Tragödie“, sagt Prof. Werner Mendling, Leiter des Deutschen Zentrums für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe in Wuppertal. „Aber diese Infektion ist sehr selten, und Tampons sind nicht die eigentliche Ursache.“ Sie können das Risiko für Frauen erhöhen.

Aber auch Männer und Kinder können ein toxisches Schocksyndrom erleiden. Bisher waren Experten davon ausgegangen, dass Frauen und Männer etwa gleich häufig von der Infektion betroffen sind. Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) analysierte kürzlich erstmals Zahlen aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes anhand von Krankenhausdiagnosen. Die Analyse zeichnet ein anderes Bild.

Zusammenhang muss noch erforscht werden

Demnach waren 2016 in Deutschland 67 Frauen und 14 Männer betroffen. „Tatsächlich erleiden offenbar am häufigsten Mädchen und Frauen zwischen 10 und 50 Jahren, besonders aber Teenager ein toxisches Schocksyndrom.

Diese Erkenntnis lässt vermuten, dass es einen Zusammenhang mit der Menstruation gibt“, kommentiert Mendling die Zahlen. Dieser müsse allerdings noch erforscht werden.

Weit verbreitete Bakterien-Art ist verantwortlich

Denn die Entstehung eines toxischen Schocksyndroms hat nach bisherigem Wissenstand zunächst einmal nichts mit der Periode zu tun. „Dazu müssen Toxine bestimmter Bakterien ins Blut gelangen“, erklärt der Infektiologe Frank Hanses, Oberarzt der Interdisziplinären Notaufnahme am Klinikum der Universität Regensburg.

Meist handelt es sich dabei um eine weitverbreitete Keimart namens Staphylococcus aureus, die etwa bei der Hälfte der Bevölkerung zum Beispiel in Nase und Rachen siedelt.

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    Immunreaktion kann den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehen

    „Einige Vertreter dieser Art können bestimmte Exotoxine bilden, die im Körper als sogenannte Superantigene fungieren können. Das heißt, sie aktivieren ohne spezifische Ursache die T-Zellen der Immunabwehr“, so Hanses.

    So entsteht eine ex­trem überschießende Immunreaktion, die den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehen kann. „Es kann zu einem Multiorganversagen kommen“, erklärt Gynäkologe Mendling.

    Hände und Füße können absterben

    „Die Muskelfasern zerfallen, die Patienten haben unglaubliche Schmerzen, es sammelt sich literweise Wasser im Darm, die Folge ist Durchfall, Leber und Lunge leiden, die Betroffenen sind verwirrt, denn auch das Gehirn gerät unter Druck.“

    Durch die starke Gefäßerweiterung röteten sich Augen und Haut, der Blutdruck falle ab und Gefäße würden unterversorgt. „Hält dieser Zustand zu lange an, können Hände und Füße absterben, ähnlich wie bei Erfrierungen“, so Mendling.

    Keime verursachen meist kleinere, ungefährliche Infektionen

    Die Sterblichkeitsrate liege bei etwa drei Prozent, schätzt der Gynäkologe. Doch sei das toxische Schocksyndrom selten: „In 40 Jahren habe ich nur zwei solcher Fälle erlebt.“ Auch Infektiologe Hanses hat in seiner Karriere weniger als fünf toxische Schocksyndrome selbst behandelt.

    Da die Keime weitverbreitet seien und meist kleinere, ungefährliche Infektionen verursachten, hätten die meisten Erwachsenen Antikörper gegen die Toxine im Blut. Daher hätten gerade junge Mädchen, die noch nicht mit den Toxinen in Berührung gekommen sind, ein erhöhtes Risiko. Besonders bei ihnen kommt nun auch der Risikofaktor Tampon ins Spiel.

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      Tampons und Menstruationstassen bieten Keimen perfekte Umgebung

      „Grundsätzlich können die Toxine durch jegliche Wundinfektion in den Körper gelangen und ein TSS verursachen, wenn keine Antikörper vorhanden sind“, sagt Hanses. Körperwarmes Blut und ein pH-Wert von sieben sind für sie ideale Voraussetzungen, die sie während der Menstruation auch in der Vagina vorfinden. „Hier können sie sich besonders gut vermehren, wenn das Blut daran gehindert wird herauszufließen – etwa durch einen Tampon, aber auch durch Menstruationstassen“, sagt BVF-Präsident Christian Albring.

      So bereiteten die Hygieneartikel den Keimen eine perfekte Umgebung – mit den Stoffen, aus denen die Produkte hergestellt seien, habe das nichts zu tun. Durch kleinste Verletzungen in der Haut der Vagina könnten die Keime dann im ungünstigen Fall ins Blut gelangen und dort ihre Toxine freisetzen.

      Zahlreiche TSS-Fälle in den 1980er-Jahren

      Je mehr Blut Tampon oder Menstruationstasse aufnehmen können und je länger sie im Körper verbleiben, umso höher das Risiko.

      „In den 80er-Jahren kam es in den USA zu zahlreichen TSS-Fällen, nachdem der Hersteller Procter & Gamble einen Tampon mit einer supersaugfähigen Kunststoff-Absorptionsmasse auf den Markt gebracht hatte“, sagt Mendling.

      Kleinstmögliche Tampongröße ist am besten

      Damals sei die Infektion erstmals beschrieben worden und habe deshalb den Spitznamen „Tamponkrankheit“ erhalten. Die supersaugfähigen Produkte verschwanden schnell wieder vom Markt.

      Seither gilt die Empfehlung: „Es sollte immer die kleinstmögliche Tampongröße gewählt und so häufig wie möglich gewechselt werden“, sagt Albring, „wobei er aber beim Wechseln auch nicht mehr trocken sein sollte, weil sonst kleinste Gewebefäden in der Vagina verbleiben könnten.“

      Frauen sollten stets auf saubere Hände achten

      Bislang sei unbekannt, wie lange es dauert, bis die gefährlichen Keime in der Vagina so zahlreich seien, dass es zu einer Blutinfektion komme.

      „Generell sollten Hygieneprodukte wie Tampons auch über Nacht maximal acht Stunden im Körper verbleiben“, erklärt der Gynäkologe. Über Nacht und im Hinblick auf TSS auch generell mit einem geringeren Risiko verbunden seien Menstruationsbinden. Frauen, die Tampons bevorzugten, sollten stets auf saubere Hände und eine unbeschädigte Verpackung der Produkte achten.