Berlin. Samsungs Top-Gerät Galaxy S9 hat alles an Bord – echte Begeisterung will sich nicht einstellen. Am Freitag kommt es hier auf den Markt.

Ist es vielleicht ungerecht, von den Smartphone-Herstellern immer neue Innovationen zu erwarten, die Anwender wirklich brauchen? Auf innovative Geräte zu hoffen, die sich technisch und auch optisch von ihren Vorgängern unterscheiden?

Diese Frage mag man sich vor knapp drei Wochen gestellt haben, als der Smartphone-Riese Samsung mit viel Getöse sein neuestes Top-Gerät Galaxy S9 vorstellte, das genauso ­aussieht wie sein Vorgänger.

Fachpresse bewertet S-Reihe von Samsung mit Bestnoten

Samsung hat sich in den vergangenen Jahren bei Technikfans den Ruf erworben, stets die neueste und beste Technik in seine Geräte zu bauen. In Tests erhielten die letzten Flaggschiffgeräte der S-Reihe von der Fachpresse fast durchgängig Bestnoten.

Mit dem S9 erscheint am Freitag in Deutschland ein Smartphone, das wieder vor technischen Superlativen strotzt – und für manche trotzdem langweilig sein mag.

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    Schnellster verfügbarer Android-Prozessor

    Schon während der Vorstellung des S9 (ab 849 Euro) in Barcelona wurde klar: Tester würden es schwer haben, beim neuesten Gerät Gründe zum Meckern zu finden.

    Schnellster verfügbarer Android-Prozessor, brillantes OLED-Display, genügend Speicher, laut den Experten von DXO die derzeit beste Smartphone-Kamera. Das Ganze verpackt im nach wie vor schicken Gehäuse, das man, bis auf ein paar Kleinigkeiten, so auch schon vom Vorgänger kennt.

    Oberfläche des Betriebssystems lässt sich flüssig bedienen

    Selbst der Fingerabdruck-Scanner ist nun an die richtige Stelle unterhalb der Kamera gerutscht – und Audiofans mit Kabelkopfhörern finden nach wie vor eine 3,5-mm-Klinkenbuchse vor.

    Störungsfrei verliefen die ersten Stunden mit dem Testgerät: Die Oberfläche des Android-8-Betriebssystems lässt sich flüssig bedienen, keine getestete App vermag den Prozessor auch nur ansatzweise ins Schwitzen zu bringen – und dennoch: Wirkliche Begeisterung stellte sich nicht so richtig ein.

    Kamera nimmt im Dunkeln mehr auf als andere Modelle

    Das änderte sich immerhin beim Herumprobieren mit der neuen Kamera. Der hat Samsung eine variable Blende spendiert, die zwischen einer weiten (f/1,5) und einer etwas moderateren Einstellung (f/2,4) wechseln kann.

    So nimmt die Kamera einerseits in dunklen Situationen mehr Details auf als andere Modelle, wird aber trotzdem nicht von einem hellen Motiv im strahlenden Sonnenlicht überfordert.

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      Google Pixel 2 bildet feine Muster sehr scharf ab

      Im direkten Vergleich mit anderen Top-Geräten, etwa dem iPhone 8 Plus oder dem Google Pixel 2, sieht der Nutzer gerade bei sehr schlechten Lichtverhältnissen mehr Details auf Bildern des S9+-Testgeräts.

      Bei normalem Tageslicht fallen die Unterschiede nicht ganz so groß aus – vor allem das Pixel 2 bildet feine Muster mitunter schärfer ab als unser Testgerät.

      Videos mit 960 Bildern pro Sekunde

      Eine weitere Neuerung ist die Super-Zeitlupe-Funktion. Dabei zeichnet die Kamera Videos mit 960 Bildern pro Sekunde auf – theoretisch jedenfalls. Denn in der Praxis hält sie dieses Tempo nur für 0,18 Sekunden durch, also höchstens einen Wimpernschlag lang. So wird diese eigentlich faszinierende Funktion zur Geduldsprobe.

      Den richtigen Zeitpunkt abzupassen – etwa, wenn der Ballon platzt oder der Strahl der Wasserpistole trifft –, ist trotz Bewegungsautomatik nicht ganz einfach.

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        Samsungs KI-Funktionen lassen sich nicht nutzen

        Die Frontkamera des S9 beherrscht auch einen Trick, den man sich bei Apples iPhone X abgeschaut hat: Mithilfe der eingebauten Infrarotkamera des Iris-Scanners kann die eigene Mimik live auf ein zuvor erstelltes Zeichentrick-Ebenbild des Nutzers übertragen werden.

        Die Ähnlichkeit der Comicgesichter mit ihren realen Vorbildern hält sich allerdings in Grenzen.Samsungs KI-Funktionen, also Vorteile, die durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz gewonnen werden, lassen sich in Deutschland noch immer nicht nutzen.

        Automatische Objekterkennung im Kamera-Sucher

        Der digitale Assistent Bixby versteht nach wie vor kein Deutsch, angeblich soll er das im Laufe des Jahres noch lernen. Immerhin, „Bixby Vision“ funktioniert, wenn auch auf Englisch. Das ist eine automatische Objekterkennung im Kamera-Sucher.

        Richtet man sein Objektiv auf eine Banane oder eine Birne, erkennt Bixby diese und bietet Nährwertdetails dazu.

        „Google Lense“ kopiert Text im Kamera-Sucher in Zwischenablage

        Das könnte durchaus praktisch sein, wenn es besser funktionieren würde. Ein Mischbrotlaib wurde wiederholt als Schoko-Brownie gedeutet, ein Zuckerwürfel wahlweise als Tofu oder Sushi.

        Dass man Kamera und KI auch besser verbinden kann, zeigte Google erneut vor zwei Wochen auf dem Mobile World Congress. Mit „Google Lense“ ließ sich etwa Text im Kamera-Sucher direkt in die Text-Zwischenablage kopieren.

        Konkurrenz muss sich an Samsung messen lassen

        Samsung bleibt seiner Erfolgslinie treu und liefert erneut ein mustergültiges Flaggschiff-Gerät ab, an dem sich die Konkurrenz messen lassen muss. Besser geht es aktuell nicht. Dennoch fehlt irgendwie der Wow-Effekt. Das nur Samsungs S9 vorzuwerfen, wäre aber unfair. Auf dem Mobile World Congress in Barcelona vor zwei Wochen wurde vielmehr deutlich, dass es für die ganze Branche gilt.

        Noch vor ein paar Jahren steckte in den aktuellsten Top-Geräten der Technologieführer mindestens eine Funktion, die einen echten Mehrwert bedeutete, die das neue Smartphone für Technikfans magisch machte.

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          Texte sehen plötzlich wie gedruckt aus

          Prozessoren, deren Leistungssprünge wirklich spürbar waren, weil man die Rechenpower auch brauchte. Displays – so scharf, dass keine Pixel mehr zu erkennen waren und Texte plötzlich wie gedruckt aussahen.

          Heute vermisst man bei Oberklasse-Geräten auch nach zwei Jahren noch keinen schnelleren Prozessor, auch die Kamera macht meist noch mehr als ausreichende Bilder.

          Immer öfter weit über den Bedarf hinaus

          Der Innovationszyklus der Hardware-Entwicklung hinkt dem unerbittlichen Jahrestakt für neue Modelle längst hinterher – und das „Höher, Schneller, Weiter“ von Rechenleistung, Kamera und Co. schießt immer öfter weit über den Bedarf hinaus.

          Ist das Format Smartphone also zu Ende entwickelt? Findet Innovation künftig nur noch im Spannungsfeld von Software und KI statt? Sicher ist, mit dieser Entwicklung kämpfen alle Hersteller. Samsungs Nachteil ist, dass es beim Innovationsführer schlicht und einfach am meisten auffällt.