Washington. Die US-Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Millionen Fake-Profilen bei berühmten Twitter-Nutzern. Einblick in eine zwielichtige Branche.

Aufgerundet sind es inzwischen 47,2 Millionen. So viele Anhänger (Follower) bedient Donald Trump im Reich des Kurzmitteilungsdienstes Twitter mehrmals täglich mit seinen einschlägigen Botschaften. Der seit Langem von Experten gehegte Verdacht, dass es sich bei einem beträchtlichen Teil der digitalen Gefolgschaft des US-Präsidenten nicht um echte Fans, sondern um maschinell gefälschte Internetclaqueure handelt, hat sich seit Anfang der Woche weiter erhärtet.

In monatelangen Recherchen und Selbstversuchen hat ein Team der „New York Times“ das Gebaren einer kleinen Firma aus West Palm Beach in Florida freigelegt. Sie steht stellvertretend für eine zwielichtige Branche. Die Recherchen geben erstmals einen tiefen Einblick in das Geschäft mit gekaufter Relevanz in sozialen Netzen.

Fake-Follower sollen Bekanntheitsgrad steigern

Die Firma Devumi, betrieben vom 27-jährigen German Calas, hat demnach in kurzer Zeit auch mithilfe von 3,5 Millionen erfundener Nutzer-Profile seinen insgesamt 200.000 Kunden mehr als 200 Millionen Twitter-Anhänger verkauft. Real existiert davon offenbar nur ein Bruchteil.

Finanzminister Steve Mnuchin und seine Frau Louise Linton.
Finanzminister Steve Mnuchin und seine Frau Louise Linton. © dpa | Evan Vucci

Zu den Abnehmern der „Follower-Fabrik“, die über sie ihren digitalen Bekanntheitsgrad in die Höhe schwindeln wollen, gehören etwa Michael Dell, der das gleichnamige Computerunternehmen gegründet hat und leitet, Schauspielerin Louise Linton, Gattin von US-Finanzminister Steve Mnuchin, Schauspieler Ryan Hurst („Sons of Anarchy“) und Ex-Football-Spieler Ray Lewis.

Retweets im 500er-Pack für 19 Dollar erhältlich

Bei Devumi kann jedermann via Internet und Scheckkarte 500 Twitter-Anhänger bereits für zehn Dollar ordern. 500.000 Fans kosten 4000 Dollar; die Lieferzeit beträgt dann einige Wochen. Retweets, also die Weiterverbreitung einer einzelnen Twittermeldung, sind im 500er-Pack für 19 Dollar erhältlich. Um die „Sichtbarkeit und Relevanz“ seiner Kunden zu erhöhen, zu denen auch „Marken-Botschafter“ gehören, hat das Unternehmen neben automatisierten Claqueuren auch „Gefällt mir“-Klicks für Kanäle wie Instagram oder Youtube im Angebot.

Obwohl Twitter den Gebrauch von gefälschten Konten untersagt, macht Devumi Millionenumsätze. Nach ersten Einschätzungen von New Yorks Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman geht es dabei nicht mit rechten Dingen zu. Er hat darum offizielle Ermittlungen eingeleitet.

Devumi-Chef taucht nach Vorwürfen ab

Ansatzpunkte: Devumi kauft der „New York Times“ zufolge weltweit bei einschlägigen Produzenten von sogenannten Bots, das sind von Algorithmen getriebene Roboter-Programme, Nutzer-Profile ein. Viele davon seien „Fake“, also komplett erlogen. Andere seien nur geringfügig abgewandelte Konten realer Twitter-Nutzer, bei denen einfach ein Buchstabe (Klein- und Großschreibung) verändert wurde – oder deren Konto längere Zeit inaktiv war.

Schneidermann sagte: „Personenimitation und Täuschung ist nach unseren Gesetzen verboten.“ Devumi-Chef Calas, der sich in seinem Markt mit geschäftstüchtigen Konkurrenten wie www.buycheapfollowersfast.com zu beschäftigen hat, bestritt der „New York Times“ zufolge zunächst die Vorwürfe und tauchte später ab.

Konten in Russland verbreiten Trumps Tweets

Dabei ist es das Ausmaß, in dem sich Interaktionen in sozialen Netzwerken womöglich steuern lassen, das Kritiker aufhorchen lässt. Vor allem angesichts der Einflussversuche kreml-naher Hacker auf die Präsidentenwahl 2016 in den Vereinigten Staaten. So hat Twitter gerade offiziell zugegeben, dass bis November 2016 eine halbe Million Retweets von trumpschen Wortbeiträgen auf automatisierte Nutzerkonten aus Russland zurückgingen. In mehreren Fällen, meldete Twitter, wurde dabei in militanter Form zu Pro-Trump-Demonstrationen aufgerufen.

Nach jüngsten Untersuchungen sind knapp 50 Millionen Twitter-Konten Fake, bei Facebook sollen es inoffiziell 60 Millionen sein. Twitter hat 330 Millionen aktive Nutzer, Facebook 2,1 Milliarden. Geschickt betrieben kann – Prominenz und Anhängerzahl vorausgesetzt – durch tendenziöse Beiträge die „Illusion einer Massenbewegung erzeugt werden“. Verstärkt werde das durch klassische Medien, die mit Vorliebe Menschen (wie Trump) mit vielen „Followern“ zitieren, ohne wirklich zu wissen, ob es „echte“ Unterstützer sind, warnen Internetforscher.

Wie erkenne ich Fake News?

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    Soziale Medien sollen Fake-Accounts kenntlich machen

    Im US-Wahlkampf, so haben Untersuchungen verschiedener Kongressausschüsse ergeben, wurden Bots serienweise mit Falschnachrichten gefüttert und durch tausendfache „Likes“ und „Shares“ verstärkt. Auch im Rahmen der Brexit-Entscheidung, so hat der Soziologe Philip Howard nachgewiesen, kamen gesteuerten Botschaften (in diesem Fall EU-kritischen) besondere Bedeutung zu. „Am Ende siegt so die Schwarmdummheit über die Schwarmintelligenz“, schrieb ein Leser des Magazins „Politico“.

    Wissenschaftler fordern darum, dass die Betreiber sozialer Netzwerke ihre Anstrengungen gegen erfundene Nutzerkonten drastisch verstärken müssen. Mindestanforderung: Maschinell erstellte Twitter-Kunden müssten entsprechend markiert werden. Experten gehen davon aus, dass dadurch etwa im Fall Trump die Zahl der Follower schlagartig um mehrere Millionen sinken würde. Noch einfacher, aber in Amerika einigermaßen unwahrscheinlich, wäre ein Verbot von käuflicher Scheinpopularität im Internet.