Berlin. Ihr Dopingfall überschattet die Karriere von Evi Sachenbacher-Stehle bis heute. Nach den Aussagen von Whistleblower Rodschenkow sieht sich die Ex-Biathletin selbst vom Verdacht des vorsätzlichen Dopings entlastet. Der Fall wirft für Experten aber andere Fragen auf.

Evi Sachenbacher-Stehle schaut nur nach vorne. Nach den Aussagen des russischen Whistleblowers Grigori Rodschenkow will die 39-Jährige, deren Dopingfall bei Olympia 2014 in Sotschi eine Schockwelle im deutschen Team auslöste, einfach ihre Ruhe.

"Ich weiß nicht, ob ich das Ganze nochmals aufwärmen wollte. Das hat mich so viel Kraft gekostet das Ganze, das war eine richtig beschissene Zeit", sagte die Ex-Biathletin der Deutschen Presse-Agentur. "Ich bin froh, dass ich das für mich abschließen konnte." Ein neues Aufrollen würde ihr rechtlich wahrscheinlich ohnehin nichts bringen.

Der damalige Fall erscheine nun in einem nochmals deutlich anderen Licht, erklärte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). "Es ist schwer zu akzeptieren, dass ihr Schicksal von einem betrügerischen System und einzelnen Protagonisten wie Rodschenkow abhing. Sie hat für ihre Fahrlässigkeit damals teuer bezahlt." Der Top-Funktionär zeigte sich "sehr nachdenklich" und "einmal mehr sprachlos" vom späten Blick hinter die Kulissen der Betrugsszenarien von Sotschi. Dopingproben seien "sozusagen nach freiem Ermessen von Betrügern bewertet" worden.

Für Sachenbacher-Stehle wären juristische Schritte allerdings scheinbar aussichtslos. "Das Mittel ist festgestellt worden, und auch nach dem heutigen Reglement wäre sie ganz genauso reingeraten. Und deswegen kann man den Gedanken an Schadensersatzansprüche, weil nach dem Reglement was falsch entschieden wurde, gar nicht haben", sagte Sportrechtler Michael Lehner (65) der dpa.

Laut Auszügen aus dem Buch Rodschenkows ("The Rodchenkov Affair"), das am Donnerstag erschien, wurden Sachenbacher-Stehle russische Betrügereien bei den Winterspielen 2014 zum Verhängnis. "Erstes Opfer war die deutsche Athletin Evi Sachenbacher-Stehle. Die Bestrafung passte nicht wirklich zu ihrem Verbrechen", schreibt Rodschenkow.

Sie hatte nach einem Rennen eine geringe Menge der im Training erlaubten, aber im Wettkampf verbotenen Substanz Methylhexanamin im Urin. Um die Funktionsfähigkeit seines russischen Labors, in dem unter seiner Leitung und mit Hilfe des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB positive russische Dopingproben vertuscht wurden, zu demonstrieren, habe er den Fall gemeldet. Hätte es zuvor andere Dopingfälle gegeben, hätte Rodschenkow, so erklärt er, Sachenbacher-Stehle wegen der grenzwertigen Messwerte nicht gemeldet.

"Eine leistungssteigernde Wirkung war aufgrund des gemessenen Wertes ausgeschlossen. Wie er im Buch gesagt hat, war ihm wohl auch klar, dass das nichts mit Doping zu tun hat. Sie haben aber halt jemanden gebraucht", sagte Sachenbacher-Stehle.

Das Internationale Olympische Komitee lässt aber keinen Zweifel aufkommen, dass Sachenbacher-Stehle gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen hat. "Die Athletin hatte auch die Öffnung der B-Probe beantragt, die das Vorhandensein der verbotenen Substanz bestätigte, und sie legte keine Berufung gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission des IOC ein", hieß es vom IOC am Donnerstag auf dpa-Anfrage. Die "Frage der geringen Konzentration des verbotenen Stoffes" von der Medizinischen Kommission des IOC vor der Bestätigung des Analyseergebnisses ihrer Dopingprobe geprüft worden. Laut Lehner wäre es auch ein Verstoß des Labors gewesen, es nicht zu melden.

Unstrittig ist, dass die zweifache Mutter im Sinne des Wada-Codes einen Dopingverstoß begangen hat. Laut Wada-Code sind Athleten selbst verantwortlich für die Stoffe, die sie einnehmen. Bei Sachenbacher-Stehle war es ein verunreinigtes Teepulver.

"Inwieweit der Fall beziehungsweise bestimmte Mess- und Grenzwerte neu bewertet werden müssen, lässt sich für uns aktuell nur schwer einschätzen. Es war und ist aber ohnehin unstrittig, dass Evi nie in bewusster und betrügerischer Absicht gehandelt hat", sagte Stefan Schwarzbach, Vorstand Kommunikation im Deutschen Skiverband, der dpa. Genauso unstrittig sei aber ihre damalige Fahrlässigkeit. "Die Einnahme des Nahrungsergänzungsmittels war ein Fehler, für den Evi leider am Ende teuer mit ihrem Karriereende bezahlen musste."

Sachenbacher-Stehle war vom Biathlon-Weltverband IBU für zwei Jahre gesperrt worden, der Internationale Sportgerichtshof Cas reduzierte nach ihrer Klage die Strafe auf sechs Monate. "Wenn man diese Hintergründe nun erfährt und weiß, wie ich insbesondere vom Weltverband verurteilt wurde, macht das schon nachdenklich", sagte sie. Für Lehner hätte es auch eine Verwarnung getan. Vielmehr sollte man prüfen, ob in solchen Fällen, wo die geringe Konzentration "überhaupt keine Leistungssteigerung" habe, das Reglement nicht flexibler gestaltet werden könnte, statt sofort mit voller Härte zu sanktionieren. Sachenbacher-Stehle sei da kein Einzelfall, sagte er.

Sachenbacher-Stehles sehnlichster Wunsch ist jetzt, "dass mein Name nicht mehr als Erstes mit Doping in Verbindung gebracht wird." Sie habe einen Fehler gemacht, aber durch die Aussagen Rodschenkows sei klar, dass sie nie vorsätzlich betrogen habe. "Nun wurde endlich auch von anderer Seite bestätigt, dass ich nicht wissentlich gedopt habe und das war mir immer wichtig", sagte Sachenbacher-Stehle.

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