Hamburg. Der HSV macht das, was er gar nicht mehr will: den Trainer nach kurzer Zeit zu wechseln. Jetzt soll Ikone Hrubesch den Aufstieg doch noch schaffen. Der Sportvorstand erklärt, wie das klappen soll und warum Vorgänger Thioune gehen muss.

Ex-Torjäger und Kumpeltrainer Horst Hrubesch soll retten, was beim Hamburger SV noch zu retten ist. Drei Spieltage vor Schluss klammert sich der Verein an die geradezu magische Wirkung der 70 Jahre alten Vereinsikone.

Hrubesch soll der verunsicherten Mannschaft des Fußball-Zweitligisten Zuversicht geben und sie in die Spur zurückführen. So kurz vor Saisonende fühlt sich der Turnaround an wie in der Nachspielzeit einer Partie. Sportvorstand Jonas Boldt hofft mit Hrubesch als Coach auf "Klarheit und Lockerheit". Er lobte dessen positive Art und Grundeinstellung, die besagt: "Nicht zu viel nachdenken, sondern machen." Zeit hat Hrubesch für die Umkehr nicht. Minimal sind es drei Spiele, einschließlich der möglichen Relegation maximal fünf.

Zweimal ist der HSV in den Vorjahren bei den Rückkehrversuchen in die Bundesliga gescheitert, erst unter Hannes Wolf, dann unter Dieter Hecking. Die dritte Pleite soll unter allen Umständen vermieden werden. Deshalb war Trainer Daniel Thioune nach nicht mal einjährigem Engagement vom Vereinsvorstand freigestellt worden. "Die klare Führung von ihm ist auf der Strecke geblieben", meinte Boldt und betonte: "Zuletzt war die Überzeugung nicht mehr da, dass das Konstrukt mit Mannschaft und Trainer noch funktioniert." Folglich sei ein Trainertausch für ihn alternativlos, erklärte der Sportvorstand im Politiker-Slang. Thioune sei für ihn aber weiterhin "ein sehr, sehr guter Trainer".

Seit neun Monaten ist Hrubesch Nachwuchschef des Vereins. Dass er sich noch einmal auf den Trainerstuhl setzten würde, hatte der 70-Jährige eigentlich ausgeschlossen. Doch auch er habe gemerkt, dass "einiges nicht mehr funktioniert", befand Boldt, der die Video-Pressekonferenz ohne Hrubesch abhielt. Dessen Devise ist: "Ich arbeite lieber, anstatt zu reden." Schon zu seinem runden Geburtstag vor gut drei Wochen wollte er "kein Brimbamborium" machen. Da passte dem einstigen Kopfball-Ungeheuer, dass aktuell verschärfte Hygieneregeln im Profifußball gelten, durch die Kontakte weitgehend eingeschränkt sind und auch mögliche Fragesteller beim Training auf größeren Abstand gehalten werden.

Bei seinem Einstand am Nachmittag hielt Hrubesch eine kurze Ansprache, ruderte dabei mit den Armen. Das anschließende Übungsspiel unterbrach er mehrmals, gab Anweisungen. Ob er personelle Umstellungen in der nächsten Partie gegen Nürnberg am 10. Mai vornimmt, ist unklar. Fest steht: Nach Stephan Ambrosius (Kreuzbandriss) wird ihm auch noch Stratege Aaron Hunt wegen eines Muskelfaserrisses für den Rest der Saison fehlen.

Vor allem als Trainer im Nachwuchs hat Hrubesch Meriten vorzuweisen. Die U19-Auswahl führte er 2008 zum EM-Titel, ein Jahr später wiederholte er die Titelehren mit der U21, das deutsche Team holte unter seiner Führung 2016 Olympia-Silber. Seine Tätigkeit als Vereinscoach war meist auf wenige Monate beschränkt. Samsunspor, Austria Wien, Dynamo Dresden, Hansa Rostock, FC Tirol stehen in seiner Vita.

"Zunächst einmal geht es darum, die Köpfe der Spieler freizubekommen. Zuletzt hat die Mannschaft leider oft unter Wert gespielt", wurde Hrubesch auf der Vereinsseite zitiert. "Wir müssen alles daran setzen, den Mist, den wir verbockt haben, wieder geradezurücken." Seinem 46 Jahre alten Vorgänger ist die Talfahrt in der Rückrunde der 2. Liga zum Verhängnis geworden. Lediglich drei Siege in bislang 14 Spielen mit nur 16 Punkten stempeln den Verein in dieser separaten Wertung eher zu einem Abstiegskandidaten. In der Hinrunde hatte sich der HSV mit 36 Punkten an die Tabellenspitze gesetzt.

Die Mannschaft verfüge "über eine andere Qualität, die wir jetzt in den verbleibenden Spielen auf den Platz bringen müssen. Ich werde viele Gespräche führen, reinhören und versuchen, ein paar Akzente zu setzen", sagte Hrubesch. Der HSV ist derzeit Tabellendritter mit 52 Punkten hinter dem VfL Bochum (60) und Greuther Fürth (57). Holstein Kiel (50) lauert auf Platz vier und kann bei drei Nachholspielen den HSV vom Relegationsrang verdrängen.

Boldt weiß, dass der Schuss sitzen muss, sonst könnte es auch für ihn im Sommer eng werden. Auf jeden Fall ist es die letzte Chance, um den dringend benötigten Stimmungswechsel herbeizuführen. "Wir sind definitiv nicht panisch und hektisch", betonte Boldt. Eigentlich wollte der 39 Jahre alte Sportvorstand für Ruhe und Kontinuität sorgen und dem als Entwickler geholten Thioune die nötige Zeit zum Aufbau eines Teams mit Perspektive geben. "Wir brechen den Weg nicht ab", behauptete er.

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