München. Von 7500 Fans zurück auf Null. Das Virus schafft, was 2020 keinem Gegner auf dem Fußballplatz gelingen will: Es stoppt die Bayern. Die 58. Bundesligasaison wird gegen Schalke doch ohne Publikum eröffnet. Auch sportlich “stehen die Uhren wieder auf Null“, mahnt der Boss.

Die Vorfreude der Münchner Triple-Champions auf einen stimmungsvollen Flutlicht-Abend mit Fans währte nicht mal 24 Stunden.

Die Allesgewinner von Trainer Hansi Flick müssen beim Eröffnungsspiel der 58. Bundesligasaison gegen den krisengeplagten FC Schalke 04 doch wieder in den von ihnen im aktuellen Triumphjahr allerdings bestens beherrschten Geisterspielmodus schalten. Die Stadt München wegen rasant steigender Corona-Infektionszahlen die Notbremse: Es dürfen am Freitagabend (20.30 Uhr/ZDF und DAZN) nun doch keine 7500 Zuschauer in der Allianz Arena dabei sein.

Der spezielle Motivationseffekt verpuffte damit, bevor er richtig Wirkung entfachen konnte. Bei den Bayern hatten sich alle auf ein wenig Normalität gefreut. "Zur Fußballkultur gehören Fans. Und ohne Fans fehlen Atmosphäre und Emotion im Stadion", hatte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge vor dem Stopp des Münchners Oberbürgermeisters Dieter Reiter der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Das Coronavirus schaffte, was noch keinem Gegner 2020 auf dem Spielfeld gelungen ist: Es stoppte den FC Bayern.

Flick reagierte verständnisvoll und professionell zugleich. Die Verantwortlichen bei der Stadt müssten "den Zahlen Rechnung tragen", sagte der 55-Jährige. Die Pandemie werde alle noch längere Zeit begleiten. Am Matchplan gegen Schalke ändere das nichts: "Wir haben es gelernt, uns auf Situationen immer wieder neu einzustellen. Das müssen wir jetzt wieder machen." Flick schaltete sofort hoch in den Angriffsmodus. "Weil man das Triple geholt hat, ändern sich nicht die Ziele", sagte er. Der neunte Meistertitel am Stück soll her.

Aber mit verändertem Personal. Der Spanier Thiago wechselt nach sieben Bayern-Jahren zum FC Liverpool. Er verabschiedete sich am Donnerstag emotional vom Team, wie Flick berichtete. Der Verein habe damit "nochmal einen Qualitätsspieler verloren", bedauerte Flick. Er machte klar, dass die Bayern bis zum Transferende am 5. Oktober nachrüsten müssten. Eindringlich warb Flick um seinen Abwehrchef David Alaba, den er als "eines der Herzstücke dieser Mannschaft" rühmte. Den Abwehrchef will er nicht auch noch verlieren, sondern unbedingt über das Vertragsende 2021 behalten. Beide Seiten, die des Spielers und die des Vereins, sollten "aufeinander zugehen und Schärfe rausnehmen", sagte Mediator Flick zum Vertragspoker.

Die Nebenschauplätze sollen aber keinen negativen Einfluss auf die Arbeit gegen Schalke haben. "Wir sind weiter total hungrig", sagte der Ex-Schalker Leon Goretzka. "Das merkt man im Training. Da wird kein Prozent weniger gemacht." Eine Woche Teamtraining ohne Testspiele muss nur 26 Tage nach dem krönenden Champions-League-Finale gegen Paris genügen, um gegen Schalke gleich wieder voll da zu sein. "Wir haben rein physisch nicht viel verloren", berichtete Flick.

Wenn das der Fall ist, könnte es heftig kommen für Schalke. Viele spekulieren höchstens über die Höhe des Bayern-Sieges. Rummenigge wehrt ab: "Als wir in Lissabon nach dem Gewinn der Champions League vom Platz gegangen sind, waren wir auf dem absoluten Gipfel. Aber gegen Schalke stehen die Uhren wieder auf Null. Wir müssen alles neu unter Beweis stellen." Das Vertrauen in Flick und das Ensemble um Lewandowski, Neuer und 50-Millionen-Einkauf Leroy Sané ist aber groß: "Die Mannschaft macht mir charakterlich einen sehr gefestigten Eindruck. Und unser Trainer ist so gut und gleichzeitig so geerdet, wie selten ein Trainer zuvor beim FC Bayern. Darum haben wir beste Voraussetzungen, um wieder erfolgreich zu sein", sagte Rummenigge.

Einer wird vor Ehrgeiz brennen. Nationalspieler Sané möchte bei seinem Bundesliga-Comeback gegen den Ex-Club eine erste Duftmarke im Trikot mit Arjen Robbens "10" setzen. Nach seinem Kreuzbandriss will der Flügelstürmer "schnell wieder zu hundert Prozent kommen" und dann "den einen oder anderen Titel" mit den unersättlichen Bayern gewinnen. Flick lässt Sané gleich in der Startelf ran: "Ich hoffe, dass er bei 90 oder 95 Prozent ist, dann bin ich schon happy."

Wer kann die Triple-Bayern jagen? Schalke nicht, eher schon der westfälische Erzrivale. "Ich denke, die Dortmunder haben in dieser Saison hohe Ansprüche. Und sie haben gegenüber uns den Vorteil, dass die Spieler im Urlaub eine lange Regenerationsphase und danach eine konzentrierte und lange Vorbereitung hatten", sagte Rummenigge, der auch Leverkusen "trotz des Abgangs von Kai Havertz", RB Leipzig und Gladbach zum Kreis der Titelaspiranten zählt.

Rummenigge drückt Schalke sogar die Daumen. Ausnahme: Freitagabend. "Ich komme ja aus Lippstadt und habe als junger Bursche für Schalke immer eine gewisse Sympathie gehabt. Ich wünsche ihnen, dass sie schnell aus der finanziellen Krise herauskommen, weil Schalke eine wichtige Marke, ein wichtiger Club in der Bundesliga ist."

Angeschlagener als Schalke kann ein Münchner Auftaktgegner aber kaum sein. Den letzten Sieg gab's im Januar. Wegen der Finanznot dürften am Freitag in Torwart Ralf Fährmann, Sebastian Rudy, Nabil Bentaleb und Mark Uth Spieler auflaufen, die schon mal ausgemustert waren. Düstere Aussichten, doch Trainer David Wagner freut sich trotzdem auf "ein cooles Spiel" in München: "Nach sieben Wochen will jeder loslegen. Wenn's dann Bayern München ist, der Triple-Sieger, die vermeintlich beste Mannschaft der Welt – besser geht es doch nicht."

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