Berlin. So einen Saisonstart hat die Fußball-Bundesliga noch nie erlebt. Gezeichnet von der Corona-Krise steht der Branche eine hektische Spielzeit in vorerst ziemlich leeren Stadien bevor. Endet jetzt auch die Titelserie der Bayern?

Die Hatz durch die neue Saison im Corona-Notbetrieb wird für die Fußball-Bundesliga zu einem Drahtseilakt.

Vor dem Start der 58. Spielzeit ist die erdrückende Übermacht der Triple-Bayern für die Liga-Macher noch die geringste Sorge angesichts der hitzigen Zuschauer-Debatte, wirtschaftlichen Risiken und akuter Termin-Enge in Zeiten der Pandemie. Und so hat DFL-Geschäftsführer Christian Seifert "die anspruchsvollste und schwierigste Spielzeit in der Geschichte des professionellen Fußballs in Deutschland" ausgerufen.

83 Tage nach dem Finale der Vorsaison und nur knapp vier Wochen nach dem Finalsieg in der Champions League bittet Serienmeister FC Bayern am Freitag (20.30 Uhr/ZDF und DAZN) den FC Schalke 04 zur Auftaktpartie. Danach wird es vor allem für die Stars der Branche kaum noch eine Atempause geben, ehe am 22. Mai 2021 die Bundesliga enden und schon am 11. Juni die ins nächste Jahr verlegte EM eröffnet werden soll.

Der Termindruck durch Europacup, Länderspiele und eine Mini-Winterpause in Verbindung mit der steten Corona-Gefahr erfordern "enorme Disziplin von Spielern und Betreuerstäben, und das über einen relativ langen Zeitraum hinweg", mahnte Liga-Boss Seifert. Das ausgefeilte Hygienekonzept mit Dauertests für alle Beteiligten und Spiele in weiter ziemlich leeren Stadien sollen das Fußball-Geschäft am Laufen halten.

Wie fragil dieses Konstrukt ist, ließ sich zuletzt immer wieder sinnbildlich an den Schalkern besichtigen. Die Corona-Zwangspause im Frühjahr brachte die Königsblauen an den Rand der Pleite, wegen der jüngsten Einnahmeausfälle fehlte im Sommer das Geld für Verstärkungen. In der Not besorgte sich der Club eine Bürgschaft vom Land und verordnete sich sogar eine Gehaltsobergrenze, wie sie bei Liga und Fans seit dem Corona-Schock wieder verstärkt diskutiert wird. "Bei uns war es nicht geil, aber es geht jetzt weiter", sagte Trainer David Wagner vor dem Saisonstart.

Immer weiter - das ist auch die bewährte Devise der nimmersatten Münchner. Nach seinem Kurzurlaub strebt der Branchenführer mit Weltfußballer-Anwärter Robert Lewandowski den neunten Titel in Serie an. "Ich glaube nicht, dass meine Mannschaft Probleme hat mit der Motivation. Die Spieler, die beim FC Bayern München spielen, die wollen Erfolg, die wollen auch den Erfolg bestätigen", sagte Triple-Trainer Hansi Flick. In Leroy Sané beschafften sich die Bayern sogar noch eine weitere Attraktion für den edlen Kader.

Ein Ende des Klammergriffs des Rekordmeisters scheint kaum in Sicht, auch wenn Dauerrivale Borussia Dortmund wieder mit einem aufregenden Team voller Großtalente die Jagd aufnehmen will. Doch Coach Lucien Favre blieb bislang den Beweis schuldig, dass er seinen Himmelsstürmern neben einer flirrenden Spielphilosophie auch die nötige Titelhärte vermitteln kann. Eine Meister-Ansage verkniffen sich die BVB-Chefs dieses Mal. "Alleine durch das Proklamieren von Zielen kommt man diesen übrigens keinen Millimeter näher", sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Neben Bayern und Dortmundern bewerben sich wohl erneut Julian Nagelsmanns Leipziger, die achtsam entwickelten Gladbacher und die seit dem 100-Millionen-Transfer von Kai Havertz zumindest finanziell sorglosen Leverkusener um die Liga-Spitzenplätze. Ob Hertha BSC nach dem schnellen Pokal-Aus und dem Chaos der Vorsaison jetzt schon den Ansprüchen von Investor Lars Windhorst an einen "Big City Club" gerecht werden kann, erscheint eher fraglich.

Der Rest des Feldes um die Aufsteiger VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld wird sich in unsicheren Zeiten zunächst vor allem nach Ruhe in der Tabelle sehnen. Abstürze ambitionierter Clubs, wie sie in jüngerer Vergangenheit der Hamburger SV und der VfB selbst erlebten und in der Vorsaison Schalke und Werder Bremen an den Abgrund führten, sind warnendes Beispiel genug.

Sichere Prognosen werden durch das ausnahmsweise noch bis 5. Oktober geöffnete Transferfenster erschwert, das noch in so manchen Kader Unruhe und Bewegung bringen könnte. Neben den nach Chelsea umgezogenen Topstars Timo Werner (RB Leipzig) und Kai Havertz haben in Luca Waldschmidt (Benfica Lissabon) und Robin Koch (Leeds United) zwei weitere Nationalspieler die Bundesliga verlassen. Den Bayern droht der Verlust von Thiago und sogar David Alaba, und Manchester United hat das Werben um Dortmunds Jadon Sancho wohl noch nicht eingestellt.

Bei aller internationalen Bewunderung für den gelungenen Neustart im Mai muss die Bundesliga weiter um die Attraktivität ihres Produkts kämpfen. Mäßige TV-Quoten bei den Geisterspielen am Saisonende sind ebenso ein Warnzeichen wie der heikle Konflikt mit den Ultras im Ringen um die Zukunft des Fußballs. Auch deshalb drängten die Liga-Macher zuletzt vehement darauf, schon zum Saisonstart die Arenen wieder zumindest für ein paar tausend Zuschauer zu öffnen. Groß ist die Sorge vor einer durch Corona beschleunigten Abkehr der Fans.

Von Normalität aber wird die Liga noch länger weit entfernt sein, wie auch die jüngsten Beschlüsse zum "Sonderspielbetrieb" zeigten: Gästefans bleiben in den Stadien verboten, bei einer regional entflammten Infektionslage können Spiele kurzfristig in andere Arenen verlegt werden, die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Clubs im Lizensierungsverfahren wird vorerst ausgesetzt, statt drei sind weiterhin fünf Auswechslungen erlaubt.

Alles, damit der Ball wieder rollen kann. "Trotz dieser Unsicherheiten können wir ja nicht ängstlich verharren", sagte DFL-Chef Seifert und betonte: "Es braucht Mut, unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt zu starten mit dem festen Glauben, dass wir diese Saison zu Ende spielen können."

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