Berlin. Über die Generation Y wird viel gespottet. Zu Unrecht? Forscher erklären, warum die Corona-Krise die 20- bis 35-Jährigen stärker macht.

Mit dem Flieger spontan übers Wochenende nach Lissabon. Durchtanzte Nächte in vollen Clubs. Auslandsjahr in Südamerika. Für viele ist das das Bild der Generation Y. Oberflächlich, egoistisch, wenig an Arbeit und Karriere interessiert. Leben zu den eigenen Bedingungen. Die Generation Y, das ist auch die Generation Easyjet und Instagram. Doch die 20- bis 35-Jährigen haben den Älteren und Jüngeren viel voraus: Sie können mit den Folgen der Corona-Pandemie am besten umgehen.

Um zu verstehen, warum, muss man sich ihre Ausgangssituation anschauen. Sie stehen am Anfang des eigenen Lebens: Auszug von zu Hause, Studium, Lehre, erster Job, beginnende Karriere, Familiengründung. Doch das alles liegt gerade auf Eis. On hold. Und das ist besonders hart.

Die Corona-Krise durchkreuzt zwar die Pläne fast aller Menschen – aber gerade von denen, die noch am Ausprobieren sind, die ihren Platz im Leben noch suchen, die die größte Sehnsucht nach Freiheit haben, wird gerade besonders viel Geduld und Zuversicht verlangt. Eigentlich wird der Beginn des eigenen Lebens auf unbestimmte Zeit vertagt.

Wieso kann die Generation Y am besten mit der Corona-Krise umgehen?

„Ich erlebe bei vielen jungen Menschen, dass sie Angst haben, um besondere Erfahrungen gebracht zu werden“, sagt Jörn Leonhard, Historiker für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg. Viele Studenten sind ins Elternhaus zurückgekehrt, haben ihre Mietverträge gekündigt und nehmen nun aus dem alten Kinderzimmer an digitalen Lehrveranstaltungen der Unis teil. „Dabei sind sie eigentlich in einer Phase, in der man raus will von zuhause und die Welt kennenlernen“, erklärt Leonhard.

Aber wieso können ausgerechnet die Menschen am besten mit der Corona-Krise umgehen, die besonders hart davon betroffen sind, die von der Forschung als „Generation Y“ bezeichnet werden? Die Forschung meint damit jene, die zwischen 1985 und 2000 geboren wurden. „Die Angehörigen dieser Generation haben schon eine ganze Reihe von Krisen mitbekommen“, sagt Leonhard, „unter anderem die Anschläge vom 11. September 2001, die globale Finanzkrise nach 2008, die Eurokrise nach 2012 sowie die Flüchtlingskrise 2015.“ Doch alle diese Krisen waren im weitesten Sinne von Menschen verursacht, erklärt der Historiker. „Bei Corona ist das etwas Neues. Man kann nicht eindeutig sagen, wer verantwortlich ist oder Schuld hat.“

Historiker vergleicht mit den Krisen des frühen 20. Jahrhunderts

Leonhard vergleicht die Krisen, der Generation Y mit den Krisen der jungen Generation zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Junge Menschen erlebten in Deutschland seit dem Herbst 1918 in sehr kurzer Zeit die Niederlage des Ersten Weltkrieges, die Revolution, die Inflation und die permanente Bürgerkriegsgefahr und den Kampf um den Bestand der jungen Weimarer Republik“, erklärt Leonhard. Nach einer kurzen Phase der Stabilisierung folgt die Weltwirtschaftskrise ab 1928. „Das hat bei vielen jungen Leuten das Gefühl verstärkt, dass sie ihr Leben kaum mehr planen können, dass jede Stabilisierung unter dem Vorbehalt der nächsten Krise steht.“

Auch die Generation Y, genau 100 Jahre später, sei jetzt mit einer erschütterten Erwartungssicherheit konfrontiert. Aber da endet der Vergleich mit den 1920er Jahren: „Man kann nicht sagen, dass die jetzige Krisenerfahrung diese Generation zwangsläufig anfälliger für autoritäre Modelle macht. Das finde ich viel zu spekulativ. Es überzieht den Vergleich, denn bei allen Belastungen sind wir in keiner Nachkriegsphase wie nach 1918, und die Sorge vieler um den Bestand von demokratischen Grundrechten spricht eher für eine gesteigerte Sensibilität und gerade nicht für eine Abwendung von der Demokratie“, so der Historiker.

Leonhard: „Das Coronavirus hat sich nicht wie die Spanische Grippe verbreitet“

Doch in einem Punkt werden die jungen Menschen wohl härter als andere von der Corona-Krise getroffen: Sie sind die Globalisierung mit all ihren Chancen gewohnt. „Sie kennen die enorme Mobilität. Es ist normal geworden, dass man ein Gap Year macht und nach dem Abitur nach Südamerika geht oder ein Erasmus-Semester einlegt“, so Leonhard. Neu sei auch, dass sich das Coronavirus nicht wie die Spanische Grippe 1918 über einen Krieg weltweit verbreitet habe. „Sondern es hat sich über die globale Mobilität, über das selbstverständliche Reisen zwischen den Kontinenten in Friedenszeiten verbreitet – bis vor kurzem hätten wir das als eine positive Errungenschaft der Globalisierung angesehen.“

Leonhard schätzt daher den Faktor der Verunsicherung und der relativen Nicht-Planbarkeit der nächsten Jahre für die Generation Y als signifikant höher ein als für die Generationen der letzten Jahrzehnte. „Die Abiturienten jetzt wissen noch nicht, wann und ob das Reisen und längere Auslandsaufenthalte für sie wieder möglich sein werden.“ Hier sei der Faktor der Verunsicherung spürbar: „Genaue Aussagen, wann es wo welche Normalität geben wird, sind unmöglich. Über das Ausmaß einer Krise wie der derzeitigen kann man erst im Nachhinein begründete Urteile fällen.“

Hurrelmann: „Die Corona-Krise haut die nicht um“

Der Berliner Kinder- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann erkennt in den negativen Auswirkungen der Corona-Krise für die Generation Y ihre Stärke: „Wenn eine Generation damit umgehen kann, dann die Generation Y“, sagt er. Er meint, dass gerade die jungen Menschen durch die vielen Krisen, die sie bereits in ihrem Jugendalter erlebt haben, Strategien entwickelt haben, gut mit unsicheren Zeiten umzugehen. „Viele dieser Menschen werden geprägt durch einen Zug von Unsicherheit, aber auch eine Tendenz zum Opportunismus“, sagt Hurrelmann. „Sie haben gelernt, sich durchzuwurschteln, haben oftmals eine vorsichtige und tastende Haltung und haben eine Optimierungsstrategie entwickelt.“

Der Berliner Kinder- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann meint: „Wenn eine Generation mit der Corona-Krise umgehen kann, dann die Generation Y.“
Der Berliner Kinder- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann meint: „Wenn eine Generation mit der Corona-Krise umgehen kann, dann die Generation Y.“ © Hertie SchooL | Peter Himsel

Auch werde immer wieder beobachtet, dass sich diese Generation, alles offenhalte und sich nicht binden wolle, sagt der Soziologe. „Weil sie gewohnt ist schon immer Plan B, Plan C oder Plan D sogar in der Tasche zu haben, wäre meine Prognose: Die Corona-Krise haut die nicht um!“

Soziologe sieht zwei andere Generationen stärker betroffen

Anders als die Älteren und Jüngeren: Hurrelmann sieht besonders zwei Generationen von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen: Zum einen die sogenannte „Generation X“ – also etwa die 35- bis 50-Jährigen. „Die sind mit vielem nicht zufrieden und haben immer etwas das Gefühl ‚Mir geht’s gut, aber mir könnte es besser gehen‘.“ Und fügt hinzu: „Die machen auch das Hauptklientel der AfD aus – und wenn man so spekuliert, ist die Corona-Krise eine ganz schöne Zumutung für die.“

Zum anderen die ganz junge Generation – die nach 2000 Geborenen – könnte die Krise härter treffen als die Generation Y. „Diese Generation ist politisch, ich nenne sie die ‚Generation Greta‘“, sagt Hurrelmann. „Ich denke, dass auch die das hinbekommen, weil sie engagiert und optimistisch sind“, so der Jugendforscher. Sollte es jedoch zu einer großen Jugendarbeitslosigkeit kommen, könnte sich das ändern. „Es gibt 20 bis 25 Prozent, die sind gar nicht politisch“, sagt er. „Die sind eher männlich und eher weniger gut gebildet. Da könnte es eine Gefahr geben, dass die sich radikalisieren – aber das sind Hypothesen.“

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