Berlin. Deutschland streitet über einen Boykott der Fußball-WM in Katar. Menschenrechtsverletzungen und Homophobie sind nur zwei Gründe dafür.

Spüren Sie es auch? Dieses Kribbeln – und zugleich dieses Unwohlsein? Am nächsten Sonntag beginnt die Fußballweltmeisterschaft 2022 der Männer in Katar. Das Auftaktspiel wird von Ecuador und Katar ausgetragen, aber schon am Tag darauf tritt England gegen Iran an und die Niederlande müssen sich gegen die Senegalesen durchsetzen. Und schon am Mittwoch ein erster Höhepunkt – aus meiner Perspektive – Deutschland gegen Japan. Doch die Sache hat einen Haken. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser nennt das ganze eher einen „Balanceakt“.

Aus politischen und humanitären Gründen kann man Katar, das Gastgeberland, ziemlich kritisieren. Denn Homo­sexualität gilt in Katar als „schwere Sünde“ und ist strafbar. WM-Botschafter Khalid Salman bezeichnete gegenüber einem ZDF-Reporter Homosexualität als „geistigen Schaden“ – und auf die Frage, des Reporters warum sich Frauen in Katar vollverschleiern müssen, verglich einer seiner Gesprächspartner Frauen mit Süßigkeiten: „Es gibt eine verpackte Süßigkeit, die liegt links, da hat noch niemand reingebissen [...] und es gibt eine unverpackte. Welche würdest du nehmen?“, lautete die Antwort des katarischen Mannes.

Lesen Sie weitere Morgenland-Kolumnen:

Doch und deshalb ist die Bundesinnenministerin Faeser auch vor zwei Wochen nach Katar gereist: Die homophobe Gesetzgebung betrifft auch Ausländer. 2016 soll ein polnischer Social-Media-Aktivist wegen Homosexualität zwei Monate im Gefängnis in Katar gesessen haben, 1996 wurde laut US-Außenministerium ein amerikanischer Staatsbürger zu 90 Peitschenhieben verurteilt. Human Rights Watch berichtet, dass die Polizei in Katar willkürlich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen (LGBT) verhaftet und sie in Polizeigewahrsam misshandelt haben soll, allein sechs Fälle hat die Menschenrechtsorganisation seit 2019 dokumentiert.

Fußball-WM in Katar: Was erwartetet die deutschen Fans dort?

Hingefahren ist Nancy Faeser, in deren Ressort auch der Sport fällt, mit der Aufgabe „darauf hinzuwirken, dass aus Deutschland jeder, der hier zur Fußball-Weltmeisterschaft kommt, egal, wo er herkommt, egal, an wen oder was er glaubt, oder egal, wen er liebt, hier in Katar auch sicher ist“, so sagte sie das im Vorfeld. Zurückgekommen ist sie mit einer „Sicherheitsgarantie“ für deutsche Fußballfans. Doch im Stadion ist die Regenbogenflagge nicht gern gesehen, man solle „die Kultur“ des Landes berücksichtigen, so wünscht sich das der Emir von Katar. Alles richtig, man soll ja immer die Regeln des Gastgebers anerkennen, aber wenn es eine menschenfeindliche Kultur ist, ist das dann immer noch richtig? Natürlich nicht.

In Doha in Katar stehen Menschen vor der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft am 20. November vor dem beleuchteten Schriftzug
In Doha in Katar stehen Menschen vor der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft am 20. November vor dem beleuchteten Schriftzug "Fifa World Cup, Qatar 2022". © dpa | ---

Hören Sie den FUNKE-Podcast zum Thema:

WM 2022 in Katar:Dunkles Kapitel der Fußballgeschichte?

Trotzdem bleibt die Frage: Sollte diese WM unter diesen Umständen überhaupt in Katar stattfinden? Hätte man aufgrund der heute bekannten Arbeitsrechtverstöße gegen Hunderttausende von Wanderarbeitern und Wanderarbeiterinnen, die die Infrastruktur und die Stadien für die FIFA-WM gebaut haben, wohl nicht mehr so entschieden. Doch meine Frage an mich selbst – ja uns alle bleibt: Unterstützt man Katar, indem man die WM am heimischen TV-Gerät schaut?

Ich glaube, die Frage ist berechtigt, aber sie ist auch irgendwie falsch. Ja, man hätte die WM nicht an Katar geben dürfen. Wäre einfach woanders problemfreier, weniger heiß im Sommer gewesen und vielen Arbeitern wäre großes Leid erspart geblieben. Manche wären wohlmöglich noch am Leben. Die Argumente sind ausgetauscht. Die WM-Vergabe an Katar wird gemeinhin als schwerer Fehler bewertet.

Boykott der WM oder die Spiele nicht schauen: Ich entscheide mich anders

Aber jetzt, wo sie schon dort stattfindet, würde man nur die Sportler, Trainer, die Fans, den Sport an sich bestrafen. Und auch die Menschen in Katar. Vielleicht kann man im Stadion alle Regenbogenflaggen einsammeln, aber auf den Straßen, kann man unsere Freiheit, Denken, Kultur, unsere Toleranz, die die Fans nach Katar mitbringen, nicht einsammeln. Und ist es naiv zu hoffen, dass Austausch, Gespräche und Begegnungen etwas zur interkulturellen Verständigung beitragen? Vielleicht etwas von dem verändern, dass wir kritisieren? Ist es nicht – und genau das wird auf dieser WM passieren. Der Sport bringt die Menschen zusammen. Das ist nie falsch.

In der Vorrunde begegnen sich die USA und der Iran. Es ist ein besonderes Treffen, in das man viel hineininterpretieren kann. Am Ende ist es aber nur ein Spiel. Und ich werde es schauen.

Alle Morgenland-Kolumnen finden Sie hier.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.