Salzburg. Die Salzburger Jubiläumsfestspiele eröffnen trotz Corona-Pandemie. Der Einakter “Elektra“ übertraf die hochgespannten Erwartungen, während der “Jedermann“ nicht nur unter den Wetterunbilden litt.

Mit einer fulminanten "Elektra" von Richard Strauss und einem eher lauen "Jedermann" sind die Salzburger Festspiele in ihre von der Corona-Pandemie überschattete Jubiläumssaison gestartet.

Dabei wurde das strenge Hygienekonzept gleich zu Beginn einem Stresstest unterzogen. Als eines der wenigen internationalen Kulturfestivals wurden die Festspiele in diesem Jahr nicht abgesagt, sondern nur auf einen Monat (bis Ende August) verkürzt und stark modifiziert.

Der Festspiel-Dauerbrenner "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal musste am Eröffnungstag buchstäblich in letzter Minuten - der Einlass auf dem Domplatz hatte schon begonnen - wegen eines plötzlich heraufziehenden Gewitters ins Große Festspielhaus verlegt werden. Vor und im Theater bildeten sich Menschenpulks. Viele Besucher wurden ohne Kontrolle ihrer Personalausweise - die personalisierten Eintrittskarten sind dieses Jahr nur mit Identitätsnachweis gültig - einfach durchgewunken.

Eigentlich hätte man sich zur 100-Jahr-Feier des weltgrößten Musik- und Theaterfestivals eine Neuinszenierung des "Jedermanns" gewünscht. Stattdessen wurde die völlig pathosfreie Version von Michael Sturminger aus dem Jahr 2017 mit leicht modifiziertem Personal wieder aufgenommen. Darin zeigt sich der von Tobias Moretti verkörperte "Jedermann" vom ersten Vers an nicht auf der Höhe seiner eigentlich überbordenden Lebenskraft. Offenbar leidet er an einem Hirntumor, der ihn später ins Krankenhausbett zwingt. "Jedermanns" Turbo-Bekehrung angesichts des nahen Endes wirkt in dieser sehr prosaischen Inszenierung noch weniger glaubwürdig als in älteren Fassungen.

Während sich Moretti, der nächstes Jahr nicht mehr antritt, oft kaum verständlich durch die Knittelverse von Hofmannsthal nuschelte, versuchte sich Caroline Peters als neue "Buhlschaft", Jedermanns Lebensabschnittsgefährtin, mit einer (absichtlich/unabsichtlich?) verunglückten Marylin-Monroe-Parodie, zu der sie eine überdimensionale, pinke Geburtstagstorte erklomm. Der Schlussapplaus für die Paraderolle fiel ungewöhnlich knapp aus. Am besten schlug sich wieder Peter Lohmeyer als androgyner Tod, während Morettis Bruder Gregor Bloéb einen unauffälligen "Guten Gesell" und einen hinreichend komischen Teufel gab.

In der Felsenreitschule hatte sich wenige Stunden zuvor ein Theaterwunder ereignet. In diesem Ausnahmejahr Richard Strauss' antikes Rache- und Morddrama zu programmieren, als pausenloser Einakter in perfektem Corona-Format, war ein Coup. Und man fragte sich am frenetisch bejubelten Ende, welcher der drei bravourösen Sopranistinnen die Palme gebührt: Ausrine Stundyte als Elektra, Asmik Grigorian als Chrysosthemis oder Tanja Ariane Baumgartner als Klytämnestra.

Die 1909 in Dresden uraufgeführte Oper auf ein Libretto, das Hugo von Hofmannsthal nach einer Tragödie des Sophokles geschrieben hatte, ist eine musikalisch-emotionale Gewalttour. Unterbrochen von nur wenigen Inseln der Innigkeit ergießt sich ein fast pausenloser, orgiastischer Klangstrom über das Publikum, mit dem der Komponist das antike Drama um die blutige Rache der Königstochter Elektra an ihrer Mutter Klytämnestra, die ihrerseits ihren Gemahl Agamemnon auf dem Gewissen hat, genial in Töne setzte. Ihr Bruder Orest dient Elektra dabei als willig-unwilliges Mordwerkzeug.

Dirigent Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor gelang es, die Klangmassen ebenso kontrolliert zu forcieren, wie er sie in entscheidenden Momenten zu bändigen verstand, um die enorm geforderten Sängerinnen nicht zuzudecken.

Regisseur Krzysztof Warlikowski hatte das Stück im Milieu eines Mafiaclans angesiedelt, der über Generationen hinweg in Blutrache verstrickt ist. Seine zurückhaltende, symbolisch aufgeladene Deutung - Bühnen- und Kostümbildnerin Malgorzata Szczesniak schuf dafür das hermetische Setting einer heruntergekommenen Badeanstalt - erinnert an Romeo Castelluccis legendäre Inszenierung von Strauss' "Salome" vor zwei Jahren mit der schon damals gefeierten Asmik Grigorian in der Titelrolle. Vielleicht wurde dieser musikdramatische Glücksgriff mit "Elektra" sogar noch übertroffen.

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