Berlin. In einem Buch berichtet ein Metzgermeister über die schwarzen Schafe in seiner Branche. Dabei legt er unappetitliche Details offen.

Nur wenige können wohl von sich behaupten, die Fleischindus­trie von so vielen Seiten zu kennen wie Franz Josef Voll. Der 62-jährige Metzgermeister stand im Schlachthaus knöcheltief in Schweineexkrementen, machte im Auftrag großer Kaufhäuser tagealtes Fleisch mit Gewürzen wieder fein für die Auslage und prüfte ebensolche Betriebe nur wenige Jahre später als Lebensmittelkontrolleur. Frustriert von bürokratischen Hürden machte er sich als Hygieneberater selbstständig und wurde schließlich als Undercover-Experte von Investigativ-Journalist Günter Wallraff angeheuert. Mit seinem am Dienstag erscheinenden Buch „Schweinebande“ will Voll über die teils unappetitlichen Praktiken der Fleischwirtschaft aufklären.

„Im Sprachschatz des Metzgers existiert das Wort ‚verdorben‘ nicht. Ein Fleischer verwertet völlig unaufgeregt alles. Und wenn ein Stück Fleisch gar nicht mehr zum Verkauf taugt, muss ich es klein schneiden. Im Kühlhaus steht ein Becken mit Pökelsalz, in dem die Fleischabschnitte für die Wurstproduktion gesammelt werden. Diese Streifen werden dann untergemengt und schon sind sie gerettet.“

Wenige Metzger machen noch alles selbst

So beschreibt Franz Josef Voll seine Metzger-Lehre, die er 1969 in Essen beginnt. Hier lernt er die jiddischen Worte „Gammel“ und „Schmackes“ – er nennt es die „Geheimsprache“ der Metzger. „Schmackes“, die durch Keime entstehende schmierige Schicht auf Fleisch, wird abgeschnitten und kommt in die Wurst. Es ist die Vorstufe von „Gammel“, das nicht mehr essbar ist. „Das klingt eklig, ist aber nicht gefährlich“, sagt der Metzgermeister. Heute trauert er dem alten Handwerk nach.

„Höchstens fünfzehn Prozent der wenigen noch verbliebenen Metzger machen noch alles selbst“, erklärt Voll. Der Rest kaufe seine Produkte im Großhandel und verkaufe sie danach unter eigenem Namen weiter. „Das muss nicht gekennzeichnet werden.“ Deswegen schmeckten die Produkte heute allerorts gleich. Handwerklich hergestellte Produkte bekämen Verbraucher nur noch direkt beim Landwirt, ist Voll überzeugt.

Aus altem Hackfleisch wird Cevapcici gemacht

„Oftmals hatten wir jede Menge Hackfleisch vom Vortag übrig. Nach dem Gesetz hätte es anderntags entsorgt werden müssen. Wir verfielen auf die Idee, das alte Hackfleisch mit Salz, Pfeffer und Paprika zu würzen, zu langen Röllchen auszuwalzen und das Ergebnis Cevapcici zu nennen. Wir nannten dieses Verfahren ,Aufwerten‘. Ab jetzt werteten wir alles auf.“

Nach seiner Lehre arbeitete Voll an der Fleischtheke einer großen deutschen Kaufhauskette und lernte extreme Formen der Verbrauchertäuschung kennen. „In Leberwurst kam mehr Fett als Fleisch, ins Mett wurde immer mehr Wasser gepumpt und halb verdorbenes Rindfleisch wurde in Essiglake zu Sauerbraten“, erinnert sich Voll. Heute seien technisch deutlich feinere Methoden der Täuschung möglich – die auch alle genutzt würden.

„Das Wichtigste ist damals wie heute, wie viel Wasser ein Produkt aufnehmen kann. Wasser kostet die Unternehmen wenig, und es gibt sogenannte Stabilisatoren, die selbst fast flüssige Masse schnittfest macht. Aromen liefern statt des Fleisches den Geschmack“, erklärt Voll. Je nach Wurstsorte sind unterschiedliche Anteile von Wasser erlaubt. Daran halten sich jedoch nur die wenigsten, glaubt Voll.

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    „Während meiner Undercover-Tätigkeit für das Team Wallraff wurde mir auf einer Messe, wo ich mich als Hersteller ausgegeben habe, ein Schinken mit nur noch 42 Prozent Fleischanteil angeboten.“ Auch bei der Qualität würden es viele nicht genau nehmen und auch sogenanntes Separatorenfleisch verwenden – dafür werden Knochen in einer Maschine zerkleinert und die daran klebenden Fleischreste herausgefiltert. „Die meisten Großbetriebe haben eine kostenpflichtige Zulassung zur Herstellung von Separatorenfleisch – es wird aber immer behauptet, das Fleisch würde nicht verwendet.“ Im Labor sei es ebenso wenig nachweisbar wie viele Stabilisatoren.

    „In meinen 17 Jahren als Metzger habe ich kaum einen Verstoß gegen die Berufsehre, die guten Sitten, die gesetzlichen Vorschriften ausgelassen, habe die Kunden getäuscht und ihnen minderwertige Ware verkauft. Und nun soll ich genau diese Missstände aufdecken. Das könnte interessant werden.“

    Von 1986 bis 2013 arbeitet Voll beim Überwachungsamt – und ist bitter enttäuscht. „Überwacher haben keine Chance“, urteilt er heute, „das beginnt schon beim Personal“. Größtenteils würden Veterinäre oder Chemiker teils sogar Verwaltungsangestellte in den kommunal organisierten Ämtern sitzen, die nicht nur für Fleisch und Gemüse, sondern auch für Bier, Zigaretten, Vitaminpillen bis hin zu Kosmetik zuständig seien. „Dabei können solche Kontrolleure maximal prüfen, ob die Rohre in einem Betrieb rostig sind, Fachwissen fehlt völlig“, sagt Voll.

    Vergammelte Schweinepfoten werden nicht entsorgt

    Bis heute seien Branchenkenner eine Seltenheit. Doch selbst wenn offenkundige Verstöße vorliegen, sei schnelles Handeln schwer: „Proben werden ins Labor geschickt, der Befund dauert bis zu vier Wochen.“ Teils brauche das Labor dann noch eine zweite Probe. „Dann ist der Hersteller längst alarmiert.“ Lasse sich ein Missstand doch einmal eindeutig nachweisen, folge die nächste Hürde. „Es ist mehr als einmal passiert, dass ein Bürgermeister bei uns im Amt angerufen hat, um darauf hinzuweisen, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wenn ein kommunaler Produzent negativ auffällt.“

    Den Höhepunkt der Frustration erreicht Voll 2011, als die Kriminalpolizei dem Amt einen Container vergammelte Schweinepfoten meldet, der abfuhrbereit auf dem Hof eines Fleischfabrikanten steht. Kontrollen belegen, das Fleisch ist verdorben und mit Eiterbeulen überzogen, nicht gekühlt. Voll und seine Kollegen verfügen: Die Pfoten sollen in einer Knochenmühle an der holländischen Grenze vernichtet werden. Doch die Behörde darf nur kommunal arbeiten, eine Unterschrift für den Transport raus aus dem Zuständigkeitsbereich fehlt, die Schweinepfoten verlassen den Hof und werden nie wieder gesehen. „Es dauerte drei Jahre bis Anklage erhoben wurde“, erinnert sich Voll, „bald danach habe ich den Job wegen erwiesener Sinnlosigkeit aufgegeben“.

    Seine Abrechnung mit der Fleischbranche hingegen sei noch lange nicht beendet, so Voll: „Ich arbeite schon am Fleischreport Teil zwei.“

    „Schweinebande! Der Fleischreport“, Franz Josef Voll, Ludwig Verlag, 16,99 Euro