Brüssel. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zwingt Apotheker zu mehr Konkurrenz. Die fordern nun im Gegenzug ein Versandhandels-Verbot.

Mit Freude und mit Entsetzen haben verschiedene Interessengruppen auf die bahnbrechende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) reagiert, die fixen Preise bei verschreibungspflichtigen Medikamenten zu untersagen und künftig einen Wettbewerb bei
Apotheken und Großhändlern zuzulassen.

Verbraucherschützer sehen die Entscheidung als gute Entwicklung für alle Patienten: Sie können künftig selbst entscheiden, bei welchem Anbieter und zu welchem Preis sie ihre Arznei kaufen wollen. Verstört reagierten dagegen die Apotheker-Verbände, deren vom Wettbewerb bislang unberührte Preispolitik und deren Verkaufsprivileg das Gericht nun weitgehend eingerissen hat.

Auch die Großhändler der Apotheker stimmten schrille Töne an: „Das EuGH-Urteil reißt die Grundfesten der Arzneimittelversorgung in Deutschland ein“, warnte der Pharmagroßhändler Sanacorp und malte ein düsteres Bild: „Oma Erna hat am Ende die Zeche zu zahlen.“ Was bedeutet das Urteil abseits von der Stimmungsmache für Patienten, Apotheker und die Pharmaindustrie konkret? Hier die wichtigsten Aspekte im Überblick.

Die Folgen für Patienten: Nach Ansicht der Versandapotheke von DocMorris ist der Entscheid aus Luxemburg „ein guter Tag für Patienten“. Wer an chronischen Erkrankungen leide und dauernd auf Medikamente angewiesen sei, könne ab jetzt mehrere Hundert Euro im Jahr sparen. „Der Patient spart, das Gesundheitssystem wird nicht belastet“, verspricht die Internet-Apotheke, die sich davon selbstverständlich auch ein gutes Geschäft und viele neue Kunden erhofft. Zweistellige Zuwachsraten seien machbar, meint Firmenchef Olaf Heinrich.

Evelyne Gebhardt, verbraucherpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im EU-Parlament, warnt hingegen vor zu hohen Erwartungen der Kundschaft. „Ich bin mir nicht sicher, ob im Endeffekt die Preise durch mehr Wettbewerb gesenkt werden, vor allem im ländlichen Raum.“

Sorgen mache sie sich vor allem um ältere Patienten, die keinen Zugang zum Internet haben und verstärkt beratungsbedürftig seien. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass zum Beispiel Amazon anfängt, auf dem grauen Markt eingekaufte rezeptpflichtige Medikamente zu versenden und wir nicht wissen, wie wir die Qualität sicherstellen sollen.“ Der EuGH habe die Tür für Sonderregelungen zum Schutz der Gesundheit offen gelassen.

Folgen für Apotheken und Händler: Der Apotheken-Verband ABDA bekundet Unverständnis. „Europas höchste Richter haben den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert“, sagt Verbandspräsident Schmidt und meint: „Eine Lösung wäre ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln.“ Die Forderung stößt bei der Politik auf Resonanz. So erklärt Maria Michalk, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, ein Verbot des Versandhandels sei „erwägenswert“, um inhabergeführte Apotheken zu schützen.

Die Rechtsfolgen: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe will jetzt prüfen, welche Schlussfolgerungen der Gesetzgeber aus dem EuGH-Spruch ziehen muss, der die Preisbindung unmittelbar nur für Anbieter aus dem EU-Ausland aufhebt. „Für die Menschen in unserem Land ist Qualität und Sicherheit in der Arzneimittelversorgung unabdingbar mit einem flächendeckenden Netz wohnortnaher Apotheken verbunden“, sagte der Gesundheitsminister. „Der Versandhandel kann die wohnortnahe Versorgung durch Präsenzapotheken nicht ersetzen.“ Bewährte Strukturen gelte es deshalb weiter zu erhalten. „Hierzu gehört die inhabergeführte Apotheke“, sagte Gröhe. Zwei Wege sind nun prinzipiell möglich: komplette Liberalisierung oder strengere Regulierung. Entweder wird also die Preisbindung ganz aufgehoben, Medikamente würden dem ungehinderten Preiswettbewerb ausgesetzt. Oder der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Präparaten, aus dem Ausland wie im Inland, würde untersagt. Medizin auf Rezept könnte dann nur noch im Ladenlokal erworben werden.

Die Folgen für die Hersteller: Die Pharmaindustrie ist in der Preisgestaltung frei. Festgelegt ist nur der Aufschlag durch den Groß- und Einzelhandel. Deshalb sieht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie seine Mitglieder nicht direkt betroffen. Wohl aber sei damit zu rechnen, dass die Preise insgesamt unter Druck kämen.