Braunschweig. Die niedersächsische Beratungsstelle gegen Salafismus hat bereits mehr als 100 aktive Fälle betreut – und zunehmend auch mit Minderjährigen zu tun.

Immer mehr Menschen fühlen sich von den Botschaften extremer Islamisten angezogen, immer mehr radikalisieren sich – und immer mehr kommen schon als Kind mit der extremistischen Ideologie in Berührung. Davor warnt Christian Hantel, Leiter der niedersächsischen Beratungsstelle gegen salafistische Radikalisierung in Hannover. „Wir betreuen auch Fälle, in denen es um Fünfjährige geht“, sagt der Sozialpädagoge im Interview mit unserer Zeitung.

Laut Hantel würden sich bereits Erzieherinnen an die Beratungsstelle wenden, weil etwa kleine Mädchen vollverschleiert in den Kindergarten kommen oder sich weigern, gemeinsam mit anderen zu singen und zu tanzen. „In den kommenden Jahren wird uns die zweite Generation der Salafisten vermehrt beschäftigen – also diejenigen, die sich radikalisiert haben und Eltern geworden sind“, ist Hantel überzeugt. „Sie geben ihre Weltsicht an ihre Kinder weiter.“ Er fordert deshalb, Erzieher und Lehrer stärker für das Problem zu sensibilisieren.

Der Verein „Beraten“ versucht seit mehr als zwei Jahren, radikalisierten Jugendlichen und deren Angehörigen in Niedersachsen Wege aufzuzeigen, wie sie sich von der gewaltbereiten und extremistischen Ideologie abwenden können. Mehr als 100 aktive Fälle haben die fünf Berater schon landesweit betreut. Inzwischen sei der Andrang so groß, dass die Mitarbeiter an ihre Grenzen kommen, sagt Hantel.

Der Salafismus ist eine besonders radikale und die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland, aber auch international. Salafisten glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts. Sie sehen sich selbst als die einzig wahren Muslime. Der Verfassungsschutz zählt derzeit knapp 700 radikal-islamische Salafisten in Niedersachsen, 2015 waren es noch rund 500. Die Mehrzahl sei aber nicht gewaltbereit. Allerdings seien 77 Islamisten bis Anfang des Jahres nach Syrien oder den Irak ausgereist mit dem Ziel, sich der Terrororganisation Islamischer Staat anzuschließen, darunter auch sechs Minderjährige.

Um Radikalisierung im Einzelfall frühzeitig erkennen zu können, bietet die Uni Hildesheim mit dem Landeskriminalamt Schulungen für Lehrer und Lehramtsstudenten an. „Viele denken: Bei uns kommt das nicht vor, wir leben in einer heilen Welt“, sagt Andreas Pudlat, Dozent für Geschichte an der Uni Hildesheim. Doch das Verbot eines radikal-salafistischen Vereins in Hildesheim vor zwei Wochen oder zuletzt die Rekrutierung von IS-Kämpfern in Wolfsburg habe gezeigt, dass es auch in vermeintlich beschaulichen Regionen ein Problem gibt. „Am besten wäre es, man würde das Thema Radikalisierung fest in der Lehrerausbildung verankern.“