Braunschweig. Das Abkommen Ceta zwischen der EU und Kanada droht zu scheitern. Laut EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff (FDP) liegt das an SPD-Chef Gabriel.

Die EU wird in Asterix-Manier von belgischen Regionalzwergen aus Wallonien vorgeführt. Dabei war der Widerstand absehbar. Wäre nicht ausreichend Zeit gewesen, den Wallonen klarzumachen, dass Ceta kein Teufelswerk ist?

Das Asterix-Bild passt hier nicht. Die Wallonie ist nicht von Römern besetzt, sie ist Teil eines Friedensprojekts, dem sie sich gerne angeschlossen hat. Und Kanadas Premierminister Trudeau ist nicht Julius Cäsar, sondern der Chef eines befreundeten Landes. Das Problem ist, dass eine Region mit 3,5 Millionen Einwohnern ein Vetorecht erhalten hat, mit dem sie nun 500 Millionen Europäer als Geisel nimmt. Wir brauchen endlich wieder eine europäische Handelspolitik, in der Europa geschlossen auftritt. Das war einmal der Markenkern der EU.

Der Widerstand der Wallonie gegen Ceta war seit einem Jahr bekannt. Warum ist man darauf nicht stärker eingegangen?

Es mag sein, dass die belgische Regierung nicht genug auf die Wallonen zugegangen ist. Was mich aber nervt: Der wallonische Ministerpräsident tut so, als ob es ihm nur um ein wenig mehr Zeit ginge. Dabei geht hier ein linker Sozialdemokrat gegen den Freihandel an sich vor, obwohl seine Region daran kaum beteiligt ist: 90 Prozent des belgischen Handels betreibt Kanada mit Flandern, nur neun Prozent mit der Wallonie, ein Prozent mit Brüssel.

Wirtschaftsminister Gabriel und der französische Staatssekretär Fekl setzten sich dafür ein, dass 42 nationale und regionale Parlamente in der EU Ceta zustimmen müssen. War das ein Fehler?

Natürlich, und zwar ein schwerer. Um die Flügelkämpfe innerhalb der SPD wegen Ceta zu beruhigen, hat Gabriel Europa sehenden Auges kaputt gemacht. Das ist deswegen so schädlich, weil unsere gemeinsame Handelspolitik nach außen die logische Entsprechung zu unserem großen Markt im Inneren Europas ist, in dem wir friedlich Handel treiben, in dem wir frei umherreisen können, in dem Dienstleistungen ausgetauscht werden. Diese erfolgreiche Handelspolitik hat Gabriel massiv beschädigt, für einen Bundeswirtschaftsminister ist das glasklar eine Verletzung seiner Amtspflichten.

Andererseits hat Gabriel eine gewisse Transparenz in den EU-Mitgliedsstaaten und ein Mitspracherecht eingefordert. Das kann doch nicht schaden.

Demokratie muss organisiert sein. Wir haben in Deutschland und Europa erfolgreich funktionierende Mehrebenen-Systeme. Wenn der Bundestag eine Rentenreform verabschiedet, wird auch nicht der Braunschweiger Stadtrat oder der Wolfenbütteler Kreistag dazu befragt – und trotzdem ist das demokratisch. Für die Handelspolitik ist nun mal die EU zuständig, das gewählte Europäische Parlament – unter Überwachung des unabhängigen Europäischen Gerichtshofs.

Nach den unliebsamen Erfahrungen mit TTIP: Wurde erneut der Fehler gemacht, nicht offen genug über ein Freihandelsabkommen diskutiert zu haben?

Nein, wir diskutieren über Ceta überhaupt nur wegen der populistischen Anti-TTIP-Kampagne, die vor einem Jahr von den Berufsaktivisten von Campact gestartet wurde. Die wollten nicht nur TTIP verhindern, sondern plötzlich auch die harmonisch verlaufenden Ceta-Verhandlungen stören. Das noch davorliegende Abkommen mit Südkorea dagegen ist völlig problemlos ausverhandelt und umgesetzt worden. Deutsche Unternehmen profitieren ganz erheblich von den niedrigeren Zöllen und dem vereinfachten Im- und Export mit Südkorea. Mit anderen Worten: Ceta ist ein Kollateralschaden einer populistischen Anti-TTIP-Kampagne.

Wie kann es bis zum EU-Kanada-Gipfel am Donnerstag gelingen, die Ceta-Kritiker in Belgien umzustimmen?

Ich habe gerade mit wallonischen sozialistischen Kollegen gesprochen. Die wollen den gesamten Vertragstext allen Ernstes wieder aufschnüren. Die Kanadier haben bisher eine Engelsgeduld gezeigt, aber das wird ihnen sicher zu weit gehen.

Das hört sich pessimistisch an.

Ich bin Rheinländer und Liberaler, von daher grundsätzlich optimistisch. Ich hoffe, dass es noch gelingen kann, Ceta zu retten. Das wird ohne Kompromisse der Linken in Europa aber nicht geschehen. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass es in allen großen Fraktionen im EU-Parlament und unter den Mitgliedsstaaten eine breite demokratische Mehrheit für Ceta gibt, nur Belgien wird im Moment von der Wallonie an der Unterzeichnung gehindert.

Falls Ceta scheitert: Wer sollte die politische Verantwortung dafür übernehmen?

Die Hauptverantwortung tragen Gabriel und Fekl. Der SPD-Vorsitzende hätte Führungskraft zeigen müssen , wie Gerhard Schröder bei der Agenda 2010 die Interessen des Landes und Europas über die der eigenen Partei stellen müssen. Das belegt einmal mehr den Mangel an Verlässlichkeit Sigmar Gabriels. Es erklärt auch das gestörte Vertrauen der Menschen in den Bundeswirtschaftsminister. Die Kanzlerkandidaten-Debatte in der SPD ist nicht ohne Grund so schmerzhaft.