Jakarta. Das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt setzt zum Kampf gegen die Hass-Ideologie der Terrormiliz IS an.

Eine „mentale Revolution“ fordert ein muslimischer Geistlicher in Indonesien in einem neuen Dokumentarfilm. Das Stück ist Teil einer Offensive des weltweit bevölkerungsreichsten muslimischen Landes gegen die radikale Ideologie der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die mit ihren brutalen Kampagnen, Morden und Anschlägen Angst und Schrecken verbreitet.

Gedreht wurde der Film, der auf Arabisch und Englisch erscheint, im Auftrag der größten muslimischen Organisation im Land, der Nahdlatul Ulama. Zusammen mit Online-Kampagnen und Seminaren in aller Welt soll er einen Kontrapunkt zur IS-Hassbotschaft im Namen des Islam setzen. Die Organisation will auch arabisch sprechende junge Leute schulen, die die IS-Ideologie in sozialen Netzwerken religiös fundiert aushebeln sollen.

Mehr als 80 Prozent der 250 Millionen Indonesier sind Muslime. Das Land praktiziert seit Jahrhunderten einen moderaten Islam. „Der indonesische Islam ist kein wütender Islam“, sagt Präsident Joko Widodo immer wieder. Er stellt sein Land gerne als „führendes Licht“ der islamischen Welt dar. Die Regierung ist weltlich, und es gibt christliche, hinduistische und buddhistische Minderheiten, die weitgehend respektiert und unbehelligt im Land leben.

Nach dem Ende der Suharto-Diktatur 1998 keimten in dem riesigen Inselstaat am Äquator in Südostasien zwar auch extremistische Kräfte auf. Bis 2010 gab es mehrere Terroranschläge, darunter 2002 auf der Ferieninsel Bali, wo 202 Menschen starben, viele von ihnen Touristen. Mit einem kompromisslosen Kampf gegen die Terrorzellen hat das Land die radikalen Elemente aber weitgehend neutralisiert.

„Der indonesische Islam kann als Gegenpol zum radikalen Islam dienen“, sagt der Islamwissenschaftler und Gründer des Liberalen Islamischen Netzwerks, Ulil Abshar Abdalla. Der Extremismus habe seine Ursprünge hauptsächlich im Nahen Osten als Schauplatz geopolitischer Konflikte. Dagegen sei Südostasien relativ stabil.

Der Dokumentarfilm zeigt die Geschichte des Islam in Südostasien. Anhand der Botschaft der Wali Songo, der neun Heiligen, die die Religion dort zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert verbreiteten, werden die vermeintlichen religiösen Argumente der IS-Terrormiliz für einen Krieg gegen Andersgläubige 90 Minuten lang auseinandergenommen. Durch die Verbindung islamischer Praktiken mit denen des Hinduismus, Buddhismus und anderer Glaubensrichtungen hätten die Wali Songo eine tolerantere Version des Islam geschaffen. Der Film ist in Zusammenarbeit mit VORTEX entstanden, einem Projekt zur Terrorismus- und Extremismusforschung der Universität Wien.

„Wir wollen zeigen, dass Muslime in Indonesien seit Hunderten von Jahren im Einklang mit anderen Glaubensrichtungen leben“, sagt Yahya Staquf, der die Kampagne bei Nahdlatul Ulama mitverantwortet. Man wolle zeigen, dass Indonesien eine andere islamische Zivilisation besitze als der Nahe Osten.

Nahdlatul Ulama, oder das „Wiedererwachen der Gelehrten“, ist selbst als Bollwerk gegen radikale Kräfte entstanden. Die Organisation wurde 1926 gegründet, weil traditionelle Geistliche im damaligen Niederländisch-Ostindien die Ausbreitung des radikalen Wahabismus oder Salafismus aus Saudi Arabien fürchteten. Mit 50 Millionen Anhängern ist sie heute die weltgrößte Sunniten-Organisation.

Aber nicht alle Muslime in Indonesien stimmen mit ihrer Botschaft überein. „Sie lehnen islamische Lehren unter dem Vorwand ab, dass diese Teil der arabischen Kultur sind“, schreibt Rizieq Shihab, Oberhaupt der konservativen Islamischen Verteidigungsfront, auf seiner Webseite. „Im Name einer einheimischen Lehre versuchen sie, langsam aber sicher den Islam auszulöschen.“

Laut Schätzungen der Antiterrorbehörde sollen 500 Indonesier nach Syrien und in den Irak gereist sein, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Rückkehrende Kämpfer gelten als Sicherheitsrisiko.

„Die IS-Miliz ist in Indonesien noch immer eine sehr winzige Minderheit, selbst unter den Extremisten“, sagt Terrorismus-Expertin Sidney Jones, vom Institute for Policy Analysis in Jakarta. Gegen diesen harten Kern werde wohl auch kein Dokumentarfilm etwas ausrichten, meint Nasir Abbas, ein ehemaliger Kämpfer, der die Behörden im Einsatz gegen den Radikalismus unterstützt. Dennoch könne er Durchschnittsmuslime von einer Radikalisierung abhalten. „Wir sollten den Radikalismus im Keim ersticken.“ dpa