Nürnberg. Die Lage im Mittelmeer sei besorgniserregend. BAMF-Chefin Cordt über Lehren aus dem Fall Franco A. und die Qualität der Asylprüfungen.

Für Jutta Cordt war es kein leichter Start. Im April wurde bekannt, dass sich der rechtsradikale Soldat Franco A. als Syrer tarnte – und Asyl bekam. Cordt war da gerade ein paar Monate neue Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF. Genauso wie ihr Vorgänger Frank-Jürgen Weise kam sie von der Bundesagentur für Arbeit.

Seit der Flüchtlingskrise lastet auf kaum einer anderen Behörde so viel Druck wie auf dem BAMF. Immer wieder wird Kritik laut: Unter der Masse der Asylentscheidungen leide die Qualität. Schließlich geht es um ein Grundrecht – und um Sicherheit. Jutta Cordt sagt: „Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.“

Der Bundeswehr-Soldat Franco A. gab sich als Syrer aus, hat in seiner Anhörung Deutsch gesprochen. Und er bekam Asyl. Der Verdacht: Er hatte einen Anschlag geplant – getarnt als Flüchtling. Kommt, mit etwas Geschick, jeder durch Ihre Prüfung?

Jutta Cordt: Nein. Wir haben uns den Fall sofort angeschaut. Klar ist, hier sind Fehler auf allen Ebenen passiert: schon bei der Annahme des Antrags, als der Dolmetscher Unregelmäßigkeiten bei der Sprache des angeblichen Syrers erkannt hatte, aber nicht dem zuständigen BAMF-Mitarbeiter gemeldet hat. Der Asylanhörer hat Franco A. 80 Minuten lang interviewt und selbst solche Nachfragen unterlassen, die sich nun wirklich aufgedrängt hatten.

Bedauerlicherweise hat danach auch der Entscheider keine Auffälligkeiten bemerkt und ihm subsidiären Schutz gewährt. So etwas darf nicht passieren, und wir haben etliche Vorkehrungen getroffen, damit so etwas sich nicht wiederholt.

Was haben Sie damals gedacht? Eine Farce?

Cordt: Ich wollte erst einmal alle Details wissen. Auf einmal stand im Raum, dass der Soldat sogar den BAMF-Mitarbeiter gekannt und sein Vorgehen gemeinsam mit diesem geplant haben könnte. Dafür gibt es aber zum Glück keine Anhaltspunkte.

Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?

Cordt: Wir haben umgehend 2000 Fälle noch einmal überprüft. Der Fall Franco A. war schlimm, aber aus der Stichprobe haben sich keine Hinweise auf einen strukturellen Systemfehler im BAMF ergeben. Wir haben allerdings festgestellt, dass unsere Mitarbeiter ihre Befragungen von Asylbewerbern und die Gründe für eine positive oder negative Entscheidung nicht immer ausreichend dokumentieren. Das haben wir jetzt verbessert. Zudem sind die Dolmetscher nun vertraglich verpflichtet, uns Auffälligkeiten bei der Sprache des Asylbewerbers zu melden.

Können Sie ausschließen, dass sich weitere Deutsche den Flüchtlingsstatus sichern konnten – aus welchen Gründen auch immer?

Cordt: Bei den 2000 Fällen, die wir überprüft haben, ist in keiner Anhörung in einer landesuntypischen Sprache gesprochen worden. Es gab also keinen weiteren Fall wie Franco A., der in der Anhörung kein Arabisch, sondern Deutsch und Französisch gesprochen hätte. Zudem testen wir unter anderem gerade eine Software, die Dialekte erkennt und einem Herkunftsland zuordnet. Das hilft unseren Entscheidern. Es gibt keine Hinweise auf einen zweiten Fall Franco A.

Bis zu 100.000 positive Asylbescheide sollen nach dem Fall Franco A. ab Spätsommer noch einmal überprüft werden. Wer steht im Fokus?

Cordt: Es geht um vorgezogene Prüfungen, die wir ohnehin nach drei Jahren per Gesetz machen müssten. Wir schauen uns an, ob sich die Lage in den Herkunftsländern der Geflüchteten verändert hat. Wenn ein Land heute sicher ist, wirkt sich das natürlich auf den Asylstatus aus. Aber auch, ob sich nach den heutigen Erkenntnissen Hinweise auf unrichtige oder verschwiegene Angaben ergeben haben.

Werden diese 100.000 Personen noch einmal interviewt?

Cordt: Nur wenn es Auffälligkeiten in den Akten gibt.

Werden Ausweisdokumente der Flüchtlinge bei dieser Prüfung noch einmal auf ihre Echtheit kontrolliert?

Cordt: Das geschieht ja bereits im Rahmen der Antragsstellung. Aber wir schauen, ob es neue Erkenntnisse der deutschen Sicherheitsbehörden zu einem Flüchtling gibt. Wenn uns dabei etwas auffällt, prüfen wir alle vorliegenden Dokumente und auch noch einmal intensiv alle Verfahrensschritte.

Das heißt: Mit einem gut gefälschten Ausweis rutscht selbst ein Deutscher weiterhin durch die Qualitätsprüfung. So wie Franco A.

Cordt: Nein. Die Identitätsprüfung erschöpft sich doch nicht in der Prüfung eines Ausweises, sondern ist ein wesentlicher Teil der Befragungen! Zudem prüfen wir einen Ausweis in drei Stufen, sofern der Antragsteller überhaupt Papiere mitbringt. Fällt beim Ausweis etwas auf, kontrollieren Dokumentenspezialisten das Papier. In der dritten Stufe können wir das Dokument sogar mit speziellen, etwa chemischen Techniken in unserem Urkundenlabor im BAMF prüfen.

Sie sagen es selbst: Viele Flüchtlinge bringen keinen Ausweis mit.

Cordt: Deshalb verspreche ich mir viel vom Auslesen der Handydaten eines Asylbewerbers, das wir ebenfalls testen. Wir nutzen beispielsweise Geo-Daten von Fotos oder Spracheinstellungen, um sagen zu können, wo ein Mensch herkommt, um seine behauptete Identität zu überprüfen.

Werden auch Fälle von abgelehnten Asylbewerbern von Ihrem Amt noch einmal kontrolliert? Die leiden ja auch unter einer schlechten Qualität der Prüfung.

Cordt: Vielleicht waren unsere Entscheidungen nicht immer ausreichend dokumentiert, aber generell haben wir keinen Anlass zu sagen, sie sind in der Konsequenz falsch. Wer vom BAMF abgelehnt wird, kann vor einem Gericht gegen den negativen Bescheid klagen, sogar in mehreren Instanzen.

Die ohnehin überlasteten Gerichte freuen sich darüber nicht. Und oft geben die Richter den Asylbewerbern recht.

Cordt: In 2016 klagten rund 43 Prozent aller abgelehnten Asylbewerber gegen unsere Entscheidung. Rund 13 Prozent dieser Klagen waren im letzten Jahr und den Jahren davor erfolgreich. Am aktuellen Rand liegen die Klagequoten ein wenig höher, es klagen rund 47 Prozent aller abgelehnten Asylbewerber.

Es klagen viele Syrer, die nur den begrenzten subsidiären Schutzstatus erhalten haben, da die Menschen von dort sehr häufig nicht persönlich verfolgt sind, sondern vor dem Krieg fliehen. Diese Klagen auf Erhöhung des Schutzstatus sind erstinstanzlich überwiegend erfolgreich, in der zweiten Instanz – bei den Oberverwaltungsgerichten – wird die Entscheidung des BAMF hingegen überwiegend bestätigt.

Sie gehen in allen Fällen in die zweite Instanz?

Cordt: Das machen wir immer abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Unser Anliegen ist es, eine Grundsatzentscheidung der oberen Instanzen herbeizuführen.

Das BAMF war und ist in der Fluchtkrise einem großen Druck ausgesetzt – von Politik und auch Medien. Wie sehr beeinflusst das Ihre Arbeit?

Cordt: Als 2015 täglich Tausende Menschen nach Deutschland kamen, ging es darum, die Geflüchteten schnell zu registrieren. Es gab eine hohe Aufmerksamkeit auf unser Amt. Wir haben zeitgleich massiv neu eingestellt, sind von rund 2000 auf 10.000 Mitarbeiter gewachsen. Aber die Qualität ist für uns von sehr großer Bedeutung, und wir arbeiten kontinuierlich daran.

Was ist das Ziel?

Cordt: Wir schauen permanent, was mit unserem Stamm an Mitarbeitern und der hohen Zahl an Verfahren zu leisten ist – und in welcher Zeit. Unser Ziel ist, dass die Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, im Durchschnitt nicht länger als drei Monate auf ihren Bescheid warten müssen. In komplizierten Fällen dauert es sicher auch mal länger. Dafür werden wir andere Fälle zeitnäher entscheiden können. Wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, gerecht werden. Das ist der Anspruch unserer Behörde.

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    Cordt: Unsere Verantwortung ist es, ein sorgfältiges Asylverfahren zu gewährleisten. Die Frage, ob Duldung oder Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern, liegt bei den Ländern. Ich kann nur sagen, dass das BAMF die Asylanträge von straffällig gewordenen Bewerbern mit sehr hoher Priorität behandelt. Unser Amt hatte beispielsweise auch im Fall Amri innerhalb von vier Wochen entschieden – der Antrag war abgelehnt worden. Darin liegt unsere Verantwortung.

    Ihr Amt ist auch mitverantwortlich für die Integration. Sagen Sie wie die Kanzlerin auch: Wir schaffen das?

    Cordt: Ja, aber das gelingt nicht bis übermorgen. Wir brauchen einen langen Atem. Wichtig ist aber auch ein guter Start. Und aus meiner Sicht beginnt Integration mit Sprache, einem Arbeitsplatz und der Ausbildung. Wir haben 2016 im Vergleich zu 2015 zudem sowohl die Anzahl der bundesweit begonnenen Integrationskurse, in denen deutsche Sprache und Kultur vermittelt wird, als auch die Zahl der neuen Kursteilnehmer beinahe verdoppelt.

    In Italien kamen in diesem Jahr bereits fast 100.000 Schutzsuchende und Migranten über das Mittelmeer an. Laufen wir auf eine neue Flüchtlingskrise zu?

    Cordt: Wir schauen uns die Fluchtbewegungen nach Deutschland genau an. Wir hatten im ersten Halbjahr 2017 etwas über 101.000 neue Asylanträge. Das ist eine relativ überschaubare Zahl. Und auch die Situation in Italien macht mir, in Bezug auf unsere Kapazitäten, derzeit keine Sorgen. Unser Konzept ist die „atmende Behörde“. So wollen wir flexibel sein und können in Phasen mit hohen Zugangszahlen sowohl intern schnell umsteuern als auch im Bedarfsfall die bereits erfahrenen Mitarbeiter aus anderen Behörden wieder zu uns ins BAMF holen.

    Cordt: Viele Mitarbeiter aus Verwaltungen, der Bundesagentur für Arbeit, Finanzämtern oder anderen Behörden waren in der Hochzeit der Krise 2015 zu uns gekommen und haben uns geholfen. Es wäre gut, wenn diese weiterhin regelmäßig geschult würden, sodass sie im Notfall einsatzbereit sind und wir nicht jedes Mal neu mit dem Training von Entscheidern anfangen müssen.

    Dann kommt der Asylentscheider im Fall Franco A. etwa wieder zurück zum BAMF?

    Cordt: Wen wir zu uns an Bord nehmen, entscheiden wir. Eine Reserve an Mitarbeitern in anderen Behörden ist aber wichtig. Migration und Flucht verläuft nie berechenbar. Wir müssen flexibel bleiben.