Moskau. In Moskau werden die Demonstranten entschlossener. Die Jugend wehrt sich gegen Putin. Und Selfies aus Polizeibussen kommen gut an.

Bei einer Demonstration am Sonntag in Moskau nahmen die Ordnungshüter laut der Rechtsbeobachtungsgruppe OWD-Info mehr als 1000 Menschen fest. Postsowjetischer Rekord. Nach verschiedenen Angaben hatten 7000 bis 25.000 Menschen an der nicht genehmigten Protestaktion im Stadtzentrum teilgenommen.

Fanggruppen der Polizei begannen sofort gezielt, die aktivsten Demonstranten festzunehmen, der nationalliberale Oppositionspolitiker Aleksei Nawalny, der zu der Demonstration aufgerufen hatte, landete schon nach zehn Minuten im Polizeibus.

Nawalny wurde am Montag zu einer Buße von umgerechnet 330 Euro verurteilt. Außerdem verhängte das Gericht 15 Tage Arrest wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. „Nawalny hat die Kundgebung rechtzeitig angekündigt“, sagt der Menschenrechtler Lew Ponomarjow unserer Redaktion, „die Behörden schlugen ihm erst im letzten Moment kaum geeignete alternative Orte vor.“ Eine genehmigte Demonstration auf der üblichen Route hätte wohl weder Gewalttätigkeiten noch großes Aufsehen erregt.

Demonstranten wollen ein Amtsenthebungsverfahren für Medwedew

Nawalny gab für die Kundgebung Parolen aus, die sich gegen Premier Medwedew richteten. Dessen mutmaßlich korrupten Reichtum hatte er erst vor Kurzem in einem Film enthüllt. Aber sowohl Medwedew wie Nawalny waren für einen Großteil der Demonstranten nur ein Anlass, um gegen Regime des Präsidenten Wladimir Putin zu protestieren. Und statt Medwedews Rücktritt zu fordern, skandierten die Moskauer: „Impeachment, Impeachment.“

Im Gegensatz zu den liberalen Protesten der Jahre 2011/2012 geht plötzlich auch die Provinz auf die Straße. Laut Radio Echo Moskwy demonstrierten in 82 Städten etwa 60.000 Menschen. Dabei übertrafen regionale Metropolen wie Perm im Uralvorland mit einer Millionen Einwohner und 3000 bis 4000 Demonstranten deutlich die Protestdichte der Zwölf-Millionen-Stadt Moskau.

Die Hälfte der Demonstranten ist jünger als 25 Jahre

„Früher demonstrierten in solchen Städten höchstens 20 Leute“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk. „Jetzt wurden sogar im dagestanischen Machatschkala 150 Leute festgenommen, wo es bisher Protest nur in Form von Schießereien gab.“

Im sibirischen Tomsk ging vor etwa 1000 Demonstranten ein Fünftklässler ans Mikrofon. „Es ist nicht wichtig, wer die Macht hat. Nawalny oder Putin“, verkündete der Junge. „Wichtig ist, das politische System selbst zu ändern, das Schul- und Gesundheitssystem.“

Teilnehmer und Beobachter des Moskauer Protestes bemerkten erstaunt, dass etwa die Hälfte der Demonstranten jünger als 25 Jahre war. „Eine neue, politisierte und vor allem opponierende Jugend“, so Korgonjuk. Viele, die am Sonntag protestierten, haben ihm Leben nur einen politischen Führer gesehen: Wladimir Putin.

Aber Putin und seine Ideenwelt scheint bei ihnen nicht mehr wirklich in Mode zu sein. Der Moskauer PR-Experte Grigori Naumow schließt nicht aus, dass die jugendlichen Protestler einen neuen Trend setzen könnten. „Selfies aus vergitterten Polizeibussen sind total cool, jeder der Festgenommenen gilt bei seinen Altersgenossen als Held. Dagegen sein, könnte Mode werden.“