Istanbul. Die türkische Justiz hat über den Journalisten Deniz Yücel Untersuchungshaft verhangen. In Deutschland formiert sich breiter Protest.

  • Der Journalist Deniz Yücel sitzt in der Türkei in Untersuchungshaft
  • Ihm wird vorgeworfen, Terror-Propagande betrieben zu haben in seinen Texten
  • In Deutschland gibt es zahlreiche Demonstrationen, Politiker kritisieren die Festnahme deutlich

Nach der Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel den türkischen Botschafter nach dpa-Informationen zu einem Gespräch ins Auswärtige gebeten. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Gabriel will sich um 17 Uhr vor Journalisten dazu äußern.

Die Untersuchungshaft hat in Deutschland bei Regierung, Parteien und Journalistenverbänden Unverständnis und Empörung ausgelöst. In Frankfurt war für den Nachmittag ein Autokorso zur Unterstützung des Deutsch-Türken geplant, in Berlin eine Kundgebung mit dem Grünen-Chef Cem Özdemir.

Yücel war am Montag nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft genommen worden. Diese kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird. Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der „Welt“ zufolge „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen.

Merkel findet Entscheidung „unverhältnismäßig hart“

Yücel ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt.

Autokorso für inhaftierten Journalisten Yücel

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Anordnung der Untersuchungshaft „bitter und enttäuschend“ und erklärte: „Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat.“

    Gabriel: Unterschiedliche rechtsstaatliche Grundsätze

    Die Bundesregierung erwarte, dass die türkische Justiz im Fall Yücel „den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft“ berücksichtige. „Wir (...) hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt.“

    Gabriel sprach von „schwierigen Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen“ und fügte hinzu: „Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben.“

    Martin Schulz: Yücel sofort freilassen

    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte von den türkischen Behörden die sofortige Freilassung Yücels. „Deniz Yücel muss freigelassen werden – genauso wie all die anderen mit fadenscheinigen Begründungen festgenommenen Journalisten“, sagte Schulz den „Ruhr Nachrichten“.

    Ohne freie Presse könne eine Demokratie nicht funktionieren. „Die Inhaftierung von Journalisten, die schlicht ihre Arbeit gemacht haben, ist nicht akzeptabel“, betonte der frühere EU-Parlamentspräsident.

    Maas: Mit Rechtsstaatlichkeit unvereinbar

    Bundesjustizminister Heiko Maas nannte den Umgang mit dem Journalisten sei „völlig unverhältnismäßig“. Kritische Berichterstattung sei „fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse- Agentur.

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    „Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar.“ Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte, „wird eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich“.

    Fast 30.000 Unterstützer für Yücel im Netz

    Unter der Überschrift „Freiheit für Deniz“ fordern unterdessen bekannte Journalisten und Medienschaffende wie Jan Böhmermann und Sibylle Berg in einer ganzseitigen Anzeige in der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstagsausgabe) die Freilassung Yücels. Gleichzeitig starteten sie bei change.org eine Petition für den Kollegen. In kürzester Zeit fand sie fast 30.000 Unterstützer.

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    Auf der Seite freedeniz.de finden sich die Namen bekannter Petitionsunterzeichner. Darunter sind viele Journalisten, wie „Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer, „Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo oder die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali. Aber auch Schauspieler – unter anderem Jan Josef Liefers, Matthias Brandt und Nora Tschirner – haben die Petition unterschrieben.

    Döpfner hebt Bedeutung der Pressefreiheit hervor

    In einem Kommentar in der Dienstagsausgabe der „Welt“ unterstreicht Axel Springer-Geschäftsführer Matthias Döpfner die Bedeutung einer freien Presse in einer zunehmend von Populisten und autoritären Staaten geprägten Welt. „Wir kämpfen mit unerschrockener Recherche, präzisen Fakten und klugen Gedanken.“

    Yücels Behandlung als Verbrecher sei ein Signal, so Döpfner: „So kann es jedem gehen, der sich solche Freiheiten nimmt. Sein Fall ist kein Einzelfall, er ist Teil eines Systems, von neuer Qualität ist er nur deshalb, weil hier der Korrespondent einer nichttürkischen Zeitung betroffen ist.“

    Auch Reporter ohne Grenzen übt Kritik

    Reporter ohne Grenzen (RoG) erklärte: „Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.“

    Yücel und alle anderen inhaftierten Journalisten müssten sofort freigelassen, erklärte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die gegen Deniz Yücel erhobenen Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung sind schlicht absurd.“

    Demonstration geplant

    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kündigte eine Kundgebung für diesen Dienstag vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz an. Mutlu sagte: „Wenn die Türkei zeigen will, dass sie eine Demokratie ist, dann muss diese Farce endlich beendet und die Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden.“

    Unter dem derzeit geltenden Ausnahmezustand in der Türkei können Verdächtige bis zu 14 Tage in Gewahrsam gehalten werden. Spätestens an diesem Dienstag hätte Yücel einem Haftrichter vorgeführt oder freigelassen werden müssen. Bereits der lange Polizeigewahrsam für Yücel war in Deutschland auf Kritik gestoßen.

    AKP-Abgeordneter sieht U-Haft für Yücel „kritisch“

    Yücels Untersuchungshaft ist auch in der türkischen Regierungspartei AKP auf Kritik gestoßen. Er sehe „die Gerichtsentscheidung kritisch“, sagte der deutsch-türkische Abgeordnete und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Parlament, Mustafa Yeneroglu, am Dienstag. „Ohne Einzelheiten zu kennen und soweit ich den Berichten entnehmen kann, denke ich, dass der Propagandabegriff zu weit ausgelegt worden ist.“ Yeneroglu warf Yücel zugleich vor, „mehr Aktivist als Journalist“ zu sein.

    „Seine Berichte über die Türkei sind meistens von tiefen persönlichen Ressentiments geprägt, entsprechend auch extrem verzerrt, er fokussiert und überspitzt, wo es seinem Bild passt und blendet aus, wo es dem eigenen Weltbild nicht entspricht“, sagte Yeneroglu. „Insbesondere die Berichterstattung über die (verbotene kurdische Arbeiterpartei) PKK ist mindestens von Symphatie für die Terrororganisation geprägt, die er wohl nicht als solches betrachtet.“

    Yeneroglu sagte zur Kritik an dem Beschluss aus Deutschland: „Kritik ist willkommen, solange sie sachlich ist, nicht verallgemeinert und im konkreten Beispiel nicht verkennt, dass die Haftentscheidung die eines unabhängigen Gerichts ist und nicht der türkischen Regierung.“

    Yücel: Haftbedingungen schwierig

    Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet wurde, und war festgenommen worden. Yücel hatte seine Bedingungen im Polizeigewahrsam - vermittelt über seinen Anwalt - in der „Welt am Sonntag“ als schwierig bezeichnet. Er hatte aber auch hinzugefügt: „Mir geht es ganz gut.“

    Yücel teilte sich demnach mit meist ein bis zwei Mitgefangenen eine Sieben-Quadratmeter-Zelle. Gewalt habe er nicht erfahren oder mitbekommen. Die Polizisten seien manchmal grob im Ton, aber nicht ausfallend und im Rahmen der Vorschriften meistens auch hilfsbereit.

    Dutzende Journalisten in der Türkei in Haft

    Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Im Dezember war ein amerikanischer Korrespondent des „Wall Street Journals“ vorübergehend festgenommen worden, er verließ anschließend das Land. (dpa/cla)

    Eine Auswahl der Reaktionen im Netz auf Yücels Untersuchungshaftfinden Sie hier: