Braunschweig. Die Redaktion muss Tatsachenbehauptungen in Leserbriefen vor der Veröffentlichung prüfen.

Zum Leserbrief „Religionen verlieren durch Bildung an Boden“ in der Ausgabe vom 29. Juli schreibt Leser Günter Scheibe an den Ombudsrat:

Ist es möglich, dass die Redaktion eine Anmerkung zu einem Leserbrief hinzufügt, wenn darin offensichtlich falsche Behauptungen enthalten sind? Beispiel: Meines Wissens werden die Gehälter der „Kleriker, Bischöfe und Kardinäle“ nicht, wie im Leserbrief behauptet, von der Allgemeinheit, also dem Staat, sondern von den Kirchen aus dem Kirchensteueraufkommen bezahlt. Diese Kirchensteuer bezahlen aber nur die Kirchenmitglieder. Hier hätte ich mir eine Richtigstellung der Redaktion als Anmerkung gewünscht.

Zur Klärung der Frage, wie die Gehälter von Mitarbeitern der Kirchen finanziert werden, hat der Ombudsrat Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer kontaktiert. Hofer erläutert:

Für die Evangelisch-lutherische Landeskirche gilt: Der Landesbischof bekommt sein Gehalt nicht vom Staat, also auch nicht vom Land Niedersachsen. Auch nicht die Pfarrerinnen und Pfarrer. Die Gehälter werden aus dem landeskirchlichen Haushalt bezahlt, der sich vornehmlich aus der Einnahme der Kirchensteuern speist.

Es stimmt allerdings, dass es eine staatliche Unterstützung für die landeskirchliche Besoldung gibt. Nach dem „Loccumer Vertrag“ sind die im Grundgesetz verankerten Staatsleistungen vor allem für die Besoldung der Pfarrerinnen und Pfarrer zu verwenden. Sie sind nicht an bestimmte Pfarrstellen gebunden. Das heißt, die Landeskirche bekommt Finanzleistungen vom Staat. Sie leistet aber auch etwas für den Staat. Ausgaben der Landeskirche, die dem Staat und damit letztlich der Gesellschaft zu Gute kommen, sind etwa Mittel für kirchliche Kindergärten, für die Denkmalpflege, für Seelsorge an Migranten, für den kirchlichen Entwicklungsdienst, die Straffälligenhilfe oder das Freiwillige Soziale Jahr, um nur einige zu nennen.

Die kirchlichen Haushalte und das kirchliche Finanzwesen sind transparent. Haushalte werden von gewählten Gremien aufgestellt, beschlossen und öffentlich vorgelegt. Staatsleistungen haben ihren Ursprung darin, dass im Rahmen der Säkularisierung kirchliche Güter enteignet worden sind. Deshalb übernahmen die Landesherren zugleich die Verpflichtung, die Besoldung und die Versorgung der Pfarrer sicherzustellen. Es handelt sich also bei den Staatsleistungen um Pachtersatzleistungen oder um Entschädigungszahlungen. Rechtsgrundlage in Niedersachsen hierfür ist Artikel 16 Absatz 1 des Loccumer Vertrages.

Die Staatsleistungen, die an die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig gezahlt wurden, betrugen im Jahr 2016 4 874 793,53 Euro. Bei einem Bruttohaushaltsvolumen von 99 763 651,88 Euro des landeskirchlichen Haushalts machen die Staatsleistungen einen Anteil von rund 5 Prozent aus. Der Anteil der Staatsleistungen an der landeskirchlichen Pfarrerbesoldung betrug im Jahr 2016 rechnerisch 16,9 Prozent.

Leserredakteurin Beate Hornack schätzt den Fall nun wie folgt ein:

Oberlandeskirchenrat Hofer nennt den Grund, weshalb ich die Veröffentlichung (übrigens entschärft) auch ohne Anmerkung der Redaktion für gerechtfertigt hielt. Die Kirchen bekommen ja tatsächlich finanzielle Unterstützung vom Staat und damit von jedem Steuerzahler, ob er in der Kirche ist oder nicht. Die Formulierung empfand ich – so allgemein gehalten – zunächst nicht als problematisch. Nach dem Einwand des Lesers Scheibe und der Stellungnahme von Herrn Hofer gestehe ich zu: Gerade die Undifferenziertheit macht die Formulierung zum Problem. Die Summe hätte auf jeden Fall korrigiert werden müssen: Die Kirchen erhalten lediglich etwas mehr als eine halbe Milliarde an Staatsleistungen im Jahr (Stand 2016), und natürlich leisten sie auch eine Menge dafür.

Die Ombudsräte Joachim Hempel und David Mache ergänzen:

Die aktuelle Debatte um Fakenews zeigt, wie rasend schnell sich Falschmeldungen im Internet verbreiten können. Doch auch bei den klassischen Leserbriefen, die per E-Mail, Fax oder Post in den Redaktionen eingehen, gab und gibt es die Gefahr der bewussten Manipulation – oder der unbewussten Verbreitung unzutreffender Angaben. Insofern war und ist die Überprüfung von Tatsachenbehauptungen in Leserbriefen durch die Redaktion gleichermaßen notwendig wie anspruchsvoll: Bei komplexen Sachverhalten ist es nicht einfach, zwischen Tatsachen und falschen Angaben zu unterscheiden.

Selbstverständlich soll auf der Leserseite im Sinne einer möglichst offenen Debatte ein möglichst breites Meinungsspektrum abgebildet werden. Einige Leserbriefschreiber disqualifizieren sich allerdings für einen Abdruck ihres Beitrages, weil sie beispielsweise politisch Andersdenkende oder bestimmte Volksgruppen beleidigen. Andere operieren wissentlich oder nichtwissentlich mit objektiv falschen Fakten. Hier muss die Redaktion genau hinschauen – und gegebenenfalls von einer Veröffentlichung absehen. Gleich unter Ziffer 1 heißt es im Pressekodex: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschen- würde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Dieser publizistische Grundsatz gilt selbstverständlich auch für Leserbriefe, denn die Presse trägt die sogenannte Verbreiterhaftung für veröffentlichte Beiträge. Anmerkungen der Redaktion zu Leserbriefen lösen dieses Problem nicht: Die falsche Tatsachenbehauptung wird verbreitet, wenn auch gleich relativiert.

Deshalb gelangt der Ombudsrat letztlich zur selben Einschätzung wie Leserredakteurin Beate Hornack: Der Leserbrief mit der pauschalen Aussage, der Staat zahle die Gehälter für Mitarbeiter der Kirchen, hätte nicht veröffentlicht werden sollen. Zumindest hätten die Angaben zu den Summen nach Rücksprache mit dem einsendenden Leser korrigiert werden müssen.