Braunschweig. Der Kommentar „Burka-Reflexe“ ärgert einen Leser. Der Autor räumt ein, nicht detailliert genug argumentiert zu haben. Der Ombudsrat lobt die Debatte.

Ein der Redaktion bekannter Leser kritisiert den Kommentar „Burka-Reflexe“ vom 30. November: In seinem Kommentar fordert Philipp Engel die Befürworter eines Burka-Verbotes dazu auf, sich besser um Ideen zur Integration, Bildung und Wertevermittlung zu bemühen, und fährt fort: „Das wäre dem aufgeklärten und der Vernunft anhängenden Abendland angemessener, als Angstbürger als Stimmvieh in Wallung zu bringen.“

Dass in einem Kommentar ungefähr die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung als „Angstbürger“ diffamiert wird, verwundert. Wenn Wähler als „in Wallung“ gebrachtes „Stimmvieh“ bezeichnet werden, wird es m. E. skandalös. Menschen, die die Meinung des Kommentators nicht teilen, werden von diesem verbal entmenschlicht. Herr Engel greift damit auf eine typisch faschistoide Propagandatechnik zurück!

Autor Philipp Engel schreibt dazu:

Zwei Tage nach besagtem Kommentar erschien unter der Überschrift „Burka-Verbot ist Wahlkampfgetöse“ ein Leserbrief, dessen Autor der CDU unterstellt, am rechten Rand Stimmen abschöpfen zu wollen. Auch Chefredakteur Armin Maus schrieb in der Rubrik „Diese Woche“, dass man dies vermuten könne. Nichts anderes meinte ich in meinem Kommentar mit dieser zugegeben sehr provokanten Formulierung. Ein Burka-Verbot löst aus meiner Sicht keinerlei Probleme. Regelungen und Gerichtsurteile für Schulen, Ämter und Gerichte gibt es bereits. Daher bleibe ich bei dem Standpunkt, ein Burka-Verbot per Gesetz wäre sinnlos – zumal selbst Bundesinnenminister De Maizière die Durchsetzbarkeit bezweifelt. Wieso aber dann so ein Vorstoß? Wenn die CDU so nach Stimmen fischt, dann muss sie sich vorwerfen lassen, die Wähler für doof zu halten, getreu dem Motto: „Wir triggern die Burka-Reflexe und schon haben wir sie wieder“. Mit solchen wahlpolitischen Methoden wird der Bürger entmündigt. Es wird ihm vorgemacht, Problemlösungen seien einfach. Diese nicht konstruktive und scheinbar vor allem am Parteien-Selbsterhalt orientierte Politik war das Ziel jener zugegeben polemischen Äußerung.

Dass Sie beim Leser anders ankam, muss ich mir als Autor anlasten. Offensichtlich hätte ich diesen Punkt deutlicher herausarbeiten müssen. In Meinungsartikeln polemisiere und provoziere ich bewusst, denn wer will schon langweilige „einerseits-andererseits“-Meinungen lesen? Ich möchte kitzeln, piksen, Debatten anregen, um die Ecke denken. Auch mal austeilen. Dafür stecke ich auch ordentlich ein – dann ist es eine Debatte. Und zu dem von mir gern genutzten Wort des „Wut-“ oder auch „Angstbürgers“ sei gesagt, dass ich damit konkret niemanden meine, aber immer wieder erstaunt bin, wer sich alles angegriffen fühlt.

Artikel 1 des Grundgesetzes ist für mich eine konkrete Handlungsmaxime. Niemals würde ich mir also anmaßen, Menschen herabzuwürdigen oder verfolgen zu wollen, sofern sie eine andere Meinung vertreten als ich. Der Eindruck, sich hier einer aus dem Faschismus bekannten Propagandatechnik bedient zu haben, ist aus dem Blickwinkel des Lesers aber nachvollziehbar, und ich bitte dafür um Entschuldigung. So war es nicht gemeint, und so wird es auch nie gemeint sein.

Chefredakteur Armin Maus schreibt dazu:

Meine Meinung zur Burka ist völlig anders als die meines Kollegen Engel, auch wenn wir bei der Beurteilung der Beweggründe des Verbotsantrages gleichermaßen skeptisch sind. Die Freiheit der Redaktion garantiert aber zum Glück, dass Herr Engel seine Meinung äußern kann. Jeder Kommentar ist ein Angebot an den Leser – und kein Versuch eines Meinungsdiktates. Die klare Widerrede mehrerer Leser, die wir auf unserer Leserseite veröffentlicht haben, ist notwendiger Bestandteil dieser Debatte.

Joachim Hempel schreibt als Ombudsrat auch im Sinn seines Kollegen Thomas Roth dazu:

Der Ombudsrat wurde tätig, da ihm grundsätzlich an einem breiten inhaltlichen Diskurs gelegen ist, der – wie vom Chefredakteur noch einmal deutlich gemacht – unterschiedliche Meinungen und Positionen geradezu beflügeln soll. Das gilt auch für das lebendige Argumentations-Austausch-Verhältnis zwischen Redaktion und Lesern. Parolen haben hier keinen Platz, gute Argumente allemal. Die Kritik der Leser hat zur Klärung durch den Kommentator und zur Einordnung durch den Chefredakteur beigetragen. Das ist lebendige Zeitung.