Braunschweig. Ein Leser kritisiert die Berichterstattung am Tag nach dem Amoklauf in München. Der Ombudsrat allerdings sieht keinen Grund zur Pauschalkritik.

Unser Leser Karl Stein aus Flechtorf schreibt an den Ombudsrat: „Terror – sieben Tote in München“ lautet die Schlagzeile auf der Titelseite der Braunschweiger Zeitung vom 23.07. - einem Tag nach dem Amoklauf in München. Ja, auch die bayerische Polizei ging zunächst von einer Terrorlage aus – angesichts der jüngsten Anschläge in Frankreich nachvollziehbar. Und die Zeitung hatte zum Zeitpunkt der Drucklegung auch keine weitergehenden Erkenntnisse. Aber genau das ist das Problem: Obwohl niemand wusste, was passiert ist, legt sich die Braunschweiger Zeitung fest. Seite 3: „Die Attentäter kommen aus dem Nichts“, „Der IS will offenbar seine militärischen Niederlagen kaschieren“. Der Beitrag von Christian Kerl umrahmt ein Bild mit Einsatzkräften in München. Obwohl völlig unklar ist, wer oder warum in München Menschen sterben, weiß der Autor: „Eine neue Terrorwelle hat Deutschland erreicht“. Neue Terrorwelle? Der Axt-Attentäter von Würzburg war ein 17-jähriger Jugendlicher und kein ausgebildeter Terrorist. (…) Wird dann jede Verzweiflungstat, die in der Regel nicht zu verhindern sein wird, als weiteres Argument herangezogen, um militärische Maßnahmen im Ausland und repressive Maßnahmen im Inland zu rechtfertigen, die ihrerseits erst recht zu Terror führen werden? Die „Chronik des Terrors in Deutschland“ auf Seite 3 spricht dafür. Aber den Vogel schießt schließlich der Kommentar auf Seite 4 ab: „Terror in Deutschland“. Wohlgemerkt - zu einem Zeitpunkt, als immer noch unklar war, ob es sich um eine Terrorattacke oder einen Amoklauf oder ein sonstiges kriminelles Verbrechen handelt. Dem Kommentator ist dennoch klar: „Der Terror ist in Deutschland angekommen“. In jedem Fall „sitzt die Angst tief“. Und er redet unter dem Vorwand, Angst nehmen zu wollen, die Angst förmlich herbei: „Wir sind schockiert, und ja, wir haben Angst“. Wenn er nun meint, dass wir uns von der „Angst“, die wir angeblich haben, nicht „beherrschen“ lassen dürfen, hat er sicher recht. Doch dass „es nicht anders geht“, ist in einer Sicht sicher falsch: Irreführende, effektheischende, stimmungsmachende und womöglich interessengesteuerte Berichterstattung gehört sicher nicht zum Auftrag einer dafür die Pressefreiheit genießenden Journaille.

Redakteur Harald Likus schreibt dazu:

Der 22. Juli war ein furchtbarer Tag. Der 18-jährige Schüler David S. tötete in der Nähe des Münchner Olympia-Einkaufszentrums neun Menschen. Nach allem, was man heute weiß, fällt diese Tat in die Rubrik „Amoklauf“. An dem dramatischen Tag selbst konnte von solch einer klaren Einordnung keine Rede sein. Die sich überschlagenden Nachrichten aus München schienen am späten Nachmittag und noch am Abend auf eine terroristisch konzertierte Aktion gleich mehrerer Täter hinzudeuten. Extrem schwierig ist in solchen Situationen die journalistische Abwägung: Wie trennt man in der notwendigen Eile haltlose Gerüchte von validen Informationen? Zugegeben, im Lichte der späteren Erkenntnisse erscheint die Verwendung des Wortes „Terror“ in unserer Titelseiten-Überschrift nicht glücklich. Aber es sind nun einmal, zumal in Überschriften, Formulierungen à la „nach allem, was man jetzt sagen kann“ schwierig bis unmöglich. Uns vor diesem Hintergrund mit verschwörungssehnsüchtiger Tendenz „effektheischende, stimmungsmachende und womöglich interessengesteuerte Berichterstattung“ zu unterstellen, finde ich als Vertreter der „Journaille“ unfair und absurd.

Ombudsrat Joachim Hempel schreibt dazu:

Bei allem Verständnis für das Kernanliegen von Herrn Stein, dem der verantwortliche Redakteur noch einmal gut nachfühlbar antwortet, möchte ich darauf hinweisen, dass auch kritische Leser sich in ihrer Wortwahl mit dem Maß messen müssen, mit dem sie die Wortwahl in der Berichterstattung der Zeitung messen. ,Irreführend, effektheischend, stimmungsmachend‘ – das überschreitet in dieser Geballtheit das Maß kritischer Leserreaktion und vermittelt den Eindruck, verletzend wirken zu wollen. Lassen Sie uns im Umgang respektvoll und höflich bleiben in Zeiten, da Anonymität im Internet sich anschickt, alle Formen gegenseitigen Respekts niederzureißen.

Ombudsrat Thomas Roth ergänzt:

Harald Likus schreibt zu Recht: Im Nachhinein war es falsch, von Terror zu schreiben. Aber blicken wir zurück auf den Stand zum Redaktionsschluss: Die Polizei ging von einer „Terrorlage“ aus, sie meldete, dass drei Täter mit „Langwaffen“ auf der Flucht seien. Alle Hinweise ließen darauf schließen, dass es sich um Terror handelte – übrigens noch vollkommen unabhängig davon, wer dahinter stecken könnte. Die Redaktion berief sich also nicht auf Gerüchte aus obskuren Kreisen, sie vertraute der an solchen Tagen zuverlässigsten Quelle. Erst in der Nacht (nach 1.30 Uhr) stand fest, dass es sich um einen Einzeltäter gehandelt hatte. Auch wenn nicht alle Formulierungen bis ins Letzte geglückt sind – einmal etwa heißt es „Die Polizei geht von einem Anschlag aus“, dann „Bei einem bundesweit beispiellosen Anschlag …“ – gibt es aus meiner Sicht keinerlei Grund für eine Pauschalkritik. Und ja: Im Nachhinein wäre es besser gewesen, anders zu gewichten – mit Blick auf die Nachrichtenlage an diesem Abend, ja auch mit Blick auf Wahrscheinlichkeiten war die Berichterstattung aber angemessen.