Braunschweig. Wie weit darf eine Rezension gehen? Der Ombudsrat befasst sich mit einer Beschwerde und erinnert an die Verantwortung der Redaktion für alle Texte.

Den Ombudsrat erreichte folgende, an die Autorin gerichtete Beschwerde von Claudia Kleine-Tebbe zum Artikel „Populäre Körperkunst trifft Abstraktion“ vom 1. April:

Schade, dass Sie Ihren eigenen eng gefassten Kunstgeschmack in Ihrem Artikel so in den Vordergrund stellen. Eine angemessene Beurteilung der Arbeiten meines Mannes war Ihnen so offenbar nicht möglich. Mehr noch, auf unsachliche Art und Weise diffamieren Sie einen regional geschätzten Bildhauer. Zudem sind die unzutreffenden Angaben in Ihrem Text und der in die Irre führende Titel in hohem Maße kritikbedürftig.

Ombudsrat Thomas Roth schreibt dazu:

In diesem Fall ist es aus meiner Sicht notwendig, aus Redaktionssicht einiges zu erläutern – noch vor der Stellungnahme der Autorin, Dr. Regine Nahrwold. Sie hat diesen Text für unsere Zeitung als freie Mitarbeiterin geschrieben. Hunderte von Freien sind für uns im Einsatz, ohne sie könnten wir keine solche Vielfalt an Themen bieten, viele Termine nicht besuchen. Für Texte, die in der Zeitung erscheinen, ist letztendlich aber immer die Redaktion verantwortlich. Die fest angestellten Kolleginnen und Kollegen lesen jeden Text, redigieren, sie suchen in fast allen Fällen – so auch hier – den Titel aus. Über diesen Artikel habe ich mich daher auch mit unserem Kulturchef, Martin Jasper, ausgetauscht. Er machte deutlich, dass mit Freien, die stets gut ausgewählt würden, in seinem Ressort über Texte diskutiert wird. Änderungen werden erbeten, wenn es um Verklarung oder Begründung eines Urteils geht – allerdings nicht zur Meinungsänderung oder Abschwächung.

Aus meiner Sicht ist die Kritik hier scharf ausgefallen. Und es stimmt: Eine solche Kritik ist immer auch subjektiv, sie wird hier aber durchaus nachvollziehbar begründet. Daher sehe ich diese als sehr scharfe Meinungsäußerung an, aber nicht als Diffamierung. Ob Leser die Kritik teilen, ist offen. Sie können sich ihr eigenes Bild machen, vielleicht sogar angeregt durch den veröffentlichten Text. Als Stilform ist hier die Rezension gewählt worden – eine journalistische Form, in der Nachrichtliches, hier etwa zum Lebenslauf des Künstlers, und Kommentierendes in einem Artikel vermischt werden. Dies ist im Kulturteil durchaus üblich – allerdings finden sich solche Stilformen in anderen Teilen, etwa auf der Politikseite, fast gar nicht.

Die Autorin Regine Nahrwold schreibt:

Zu meinem „Kunstgeschmack“: Mein Urteil über die Kunst von Magnus Kleine-Tebbe entspringt nicht meinem persönlichen Kunstgeschmack, vielmehr meiner durch das Studium der Kunstgeschichte gebildeten Überzeugung, dass Kunst immer auch danach streben sollte, ein Ausdruck ihrer Zeit zu sein, und zwar in einer eigenen Formerfindung des Künstlers. (Ausdruck ihrer Zeit zu sein, ist allerdings nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für bedeutende Kunst.) In der Kunst von Magnus Kleine-Tebbe kann ich weder das eine noch das andere erkennen.

Zum Vorwurf der Diffamierung: Ich diffamiere den Künstler nicht, allerdings habe ich in meiner Rezension durchaus das (erlaubte) Mittel der Polemik verwendet. Die Angaben, die ich in meinem Text gemacht habe, habe ich der Presseerklärung der Jakob-Kemenate, die – davon bin ich ausgegangen – in enger Abstimmung mit dem Künstler entstanden ist, entnommen sowie Herrn Kleine-Tebbes eigenen Äußerungen auf der Pressekonferenz.

Ombudsrat Joachim Hempel schreibt:

Bei Kunstschaffenden, Kunstpräsentierenden, Kunstbetrachtenden, Kunstrezensierenden ist allemal ein hohes Maß an Persönlichkeit, Empfinden, Geschmack eingeschlossen; ohne subjektiven Zugang ist Kunst wohl nicht zu erfassen oder gar wert zu schätzen. Beim Vorliegenden hat die Rezensentin aus ihrer Meinung kein Hehl gemacht; in aller Begründung würde ich der Klarheit wegen in diesem Fall zu einem „Extra“ raten und damit die von Thomas Roth zurecht verteidigte Möglichkeit des In-einander-Webens von darstellender, beschreibender, zitierender und wertender Rezension gerade der eigenen begründet wertenden Meinung wegen nicht wählen.

Diffamierung ist das allemal nicht, sondern Aufforderung an Leserin und Leser, das eigene Urteil zu schärfen. Kunst lädt immer zu Betrachtung und Interpretation ein, so haben wir es gelernt; Beides ist unter Absehung der eigenen Person nicht möglich. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Umgang mit Gefühlen Sensibilität verlangt und bewusst in Kauf genommene Verletzungen zurückzuweisen sind.