Braunschweig. Ein Leser kritisiert den Leitartikel zu den Wahlerfolgen der AfD. Der Ombudsrat dagegen wünscht sich gerade in Meinungstexten klare Positionen.

Leser Fritz Bernd Meyer aus Braunschweig kritisiert den Leitartikel „Ein guter Wahltag“ zu den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in der Ausgabe vom 14. März :

„Der Autor muss sich die Frage gefallen lassen: Wo ist die gebotene Neutralität eines Leitartikels geblieben? Schon die Überschrift alleine könnte von einem AfD-Anhänger nicht besser formuliert werden! Noch schlimmer ist seine Kernaussage zur Mobilisierung der Nichtwähler.

Wir als Demokraten sollen einer Partei applaudieren, die mit plakativen und rechtslastigen Parolen enorme Stimmgewinne aus bisherigen Nichtwählern erzielte? Hat der Autor darüber nachgedacht, wie viele der Mobilisierten zu denen gehören, die Brandsätze auf Flüchtlingsheime werfen oder jubilierend die Löscharbeiten behindern – oder die für Schießbefehle an den Grenzen eintreten und kritische Medien als Lügenpresse verdammen? Den Applaus der Demokraten hat nicht die AfD verdient, sondern Applaus haben diejenigen verdient, die sich um eine humane und gesellschaftlich verträgliche Lösung der Flüchtlingsproblematik bemühen! Der Leitartikel ist nicht nur peinlich, er ist eine politische Fehlleistung. Und ich frage mich: Wollte der Autor den Leser provozieren? Das ist gründlich misslungen. Oder formulierte er aus innerster Überzeugung? Dann ist der Artikel ein Fall für den Ombudsrat! Ob der Autor schon ein Dankesschreiben von Frau Petry erhalten hat?“

Der Autor des Leitartikels, Chefredakteur Armin Maus, nimmt zur Zuschrift Stellung:

Unser Leser Fritz Bernd Meyer stellt eine Anforderung, den kein Meinungstext erfüllen kann. Jeder Meinungsartikel wertet, gewichtet, bezieht Stellung. Das ist mit dem Begriff Neutralität nicht zu vereinbaren. Hier liegt der Unterschied zwischen Meinungs- und Nachrichtentext, deshalb ist der Meinungstext deutlich als Debattenbeitrag des Autoren gekennzeichnet.

Ich habe in meinem Leitartikel darauf hingewiesen, dass es der AfD gelungen ist, Wähler zur Teilnahme am politischen Prozess zu bewegen, die von den etablierten Parteien offenkundig nicht erreicht wurden. Ich halte das für verdienstvoll. In Artikel 20 des Grundgesetzes steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – und leider hatten zuletzt immer weniger Bürger ihre Macht in Wahlen ausgeübt. Eine vitale Demokratie lebt von der Mitwirkung des Bürgers!

Die souveräne Entscheidung der Bürger fordert Respekt. Ich halte überhaupt nichts davon, Wahlentscheidungen in einer Weise zu kommentieren, die der Wählerbeschimpfung nahekommen. Und wenn ich im Umfeld der letzen Wahlen Zwiegespräche zwischen Journalisten und Vertretern etablierter Parteien hörte und las, die lediglich ein gemeinsames Lamento über die AfD und ihre Wähler waren, lief es mir kalt den Rücken herunter. Aus der AfD werden Positionen laut, die meinem Bild von einem weltoffenen Deutschland zuwiderlaufen. Aber sie mit den rechtsextremen Brandstiftern in einen Topf zu werfen, die Flüchtlingsunterkünfte angreifen, geht mir zu weit.

Journalisten sind nicht dazu da, hergebrachte Parteienkonstellationen zu konservieren. Sie haben vielmehr über Inhalte von Politik zu berichten und mit ihrer Kommentierung zur Meinungsbildung der Bürger beizutragen. Ich glaube, dass die Bürger ihre Gründe hatten, ihre Stimme der AfD anzuvertrauen. Was die nun mit diesem Mandat anfängt, werden wir so aufmerksam wie kritisch beobachten.

Ombudsrat Thomas Roth schreibt:

Meinung und Nachricht zu trennen – dies ist im seriösen Journalismus wichtig, Redakteure halten sich seit Jahrzehnten daran. Der Leser kann sich in einem klassischen Bericht über die Ansichten aller Seiten informieren, sich ein eigenes Bild machen. Die Bewertung, der klassische Kommentar oder Leitartikel soll dagegen gar nicht neutral sein. Der Autor steht mit seinem Namen und seinem Foto für seine Meinung, er wagt sich nach vorne, ordnet ein und darf auch gerne reizen.

In unserer Redaktion gibt es weitere Regeln dazu: Der Kommentator muss einen Standpunkt vertreten, er darf nicht nur Thesen aneinanderreihen, sondern muss versuchen, den Leser zu überzeugen. Schmähkommentare sind verboten. Neutral allerdings muss und darf ein Kommentar oder Leitartikel nicht sein – es ist wichtig, dies immer wieder zu betonen.

Ombudsrat Joachim Hempel schreibt:

Gerade vom Chefredakteur einer Tageszeitung muss zurecht erwartet werden, dass er Position bezieht; seien wir erstens dankbar, dass eine aktive und agile Chefredaktion immer noch in Braunschweig arbeitet und wir nicht längst von „irgendwoher kommentiert werden“. Zweitens hat Armin Maus in erkennbarer Weise zwischen Nachricht und kommentierender Meinung unterschieden. Engagierte Leser wie Herr Meyer sollten hier ebenfalls unterscheiden. Denn: Wer eine begründete Meinung nur dann gut findet, wenn sie sich mit der eigenen deckt, leistet keinen erkennbaren Mehrwert zum gesamtgesellschaftlichen Dialog. Gerade der ist aber dringender denn je, denn das „googelnde Internet“ unterscheidet gerade nicht in solch deutlichen Kategorien, sondern befördert Orientierungslosigkeit. Ganz anders dagegen eine gute Tageszeitung.