„Die Terroristen haben nichts mit dem Islam zu tun, wie ihn die überwältigende Mehrheit unserer muslimischen Mitbürger versteht.“

„Unsere Generation wird nicht nur die ätzenden Worte und bösen Taten der schlechten Menschen bereuen, sondern auch das furchtbare Schweigen der guten.“ (Martin Luther King)

Was also ist der „Islam der Mitte“, und wer vertritt seine Anhänger, fragte unser Redakteur Johannes Kaufmann diese Woche in seinem Kommentar. Die Frage stellt sich in der Tat. Wer kann der deutschen Politik als seriöser Gesprächspartner zu wichtigen Themen des Zusammenlebens dienen?

Der türkisch-islamische Verband Ditib gilt als wichtige Stimme dieses Teils der Bevölkerung in unserem Land – wenngleich er wegen seiner geringen Mitgliederzahl keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, im Namen aller türkischstämmigen Muslime in Deutschland zu sprechen. Nun hat Ditib zugegeben, dass einzelne seiner Imame Spitzeldienste für die türkische Regierung leisteten. Präsident Erdogan verfolgt Anhänger seines Erzfeindes Gülen offenbar bis nach Deutschland, Ditib-Imame halfen ihm. Wie sollen Politik und Verwaltung auf diesen skandalösen Missbrauch der Religions- und Vereinigungsfreiheit reagieren?

Seit vielen Jahren wissen wir, dass Ditib dem türkischen Mutterland sehr nahe steht. Solange in der Türkei eine vergleichsweise liberale Regierung am Ruder war, stieß sich kaum einer daran. Im Zeichen der Übergriffe Erdogans aber zeigt sich die ganze Problematik einer Organisation, die sich offenkundig ebenso sehr als Ankaras Brückenkopf wie als Vertreter der hier lebenden türkisch-islamischen Muslime versteht.

Kritiker sagen schon lange: Wer mit Ditib über die Rechte der islamischen Gemeinden verhandelt, holt den türkischen Staat an den Tisch. Das aber kann nicht der Sinn solcher Gespräche sein. Sie sollten dem guten Miteinander in unserem Land dienen, nicht der Verfestigung einer türkischen Enklavenbildung in Deutschland.

In der Diskussion der letzten Tage mischt sich Befremden über das Verhalten von Ditib mit einer viel tiefer liegenden Problematik. Christian Wulffs Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ hat eine hitzige Debatte ausgelöst, die bis heute andauert. Sie ist fruchtlos geblieben – vielleicht deshalb, weil sie des Pudels Kern verfehlt.

Unsere islamischen Mitbürger arbeiten Seite an Seite mit deutschen Christen und Juden, ihre Kinder lernen in denselben Schulen wie diejenigen, deren Eltern einen deutschen Pass und deutsche Vorfahren haben. Menschen türkischer oder arabischer Abstammung sind bedeutende Unternehmer oder Ärzte, sie sind in Gewerkschaften ebenso engagiert wie im Vereinswesen, zahlen Steuern wie jeder andere. Die Muslime in Deutschland praktizieren ihren Glauben in unterschiedlicher Intensität. Durch sie und mit ihnen ist der Islam Teil der deutschen Wirklichkeit geworden. Wer die Realität anerkennt, kommt am Dialog mit den islamischen Organisationen nicht vorbei. Und zwar gerade dann, wenn man glaubt, dass Integration notwendig sei.

Niedersachsen verhandelt über einen Staatsvertrag, der der Religionsausübung der Muslime einen verlässlichen Rahmen geben soll. Aber mit wem soll man sprechen? Mit Ditib wohl kaum, so lange sich Imame unbekannter Zahl wie Geheimagenten der türkischen Regierungspartei verhalten. Der Verband hat den „Fehler“ bedauert, zur Vertrauensbildung ist das aber zu wenig. Einfach mit dem Zentralrat der Muslime weiter zu verhandeln, ist keine ausreichende Alternative – auch wenn er den Dialog mit der deutschen Öffentlichkeit begrüßenswert offensiv führt. Diese Organisation vertritt einen noch kleineren Teil der hier lebenden Muslime.

Wie komplex und fraktioniert die Muslime in Deutschland organisiert sind, ist von der Mehrheitsgesellschaft lange Zeit nicht verstanden worden. Selbst die vielgestaltigen evangelischen Glaubensgemeinschaften erreichen nicht annähernd die Heterogenität der muslimischen Gemeinden. Dialog wird dadurch nicht unmöglich, aber er erfordert mehr Engagement, sowohl von der muslimischen Seite als auch von der des deutschen Staates und auch der anderen Glaubensgemeinschaften.

Gesprächsstränge zu kappen wäre der falsche Weg. Die Holzschnittartigkeit, mit der die CDU dieses komplexe Thema im Landtag diskutiert, wirkt schon deshalb befremdlich, weil nicht ansatzweise deutlich wird, wie sich die Christdemokraten Dialogalternativen vorstellen.

Differenzierung tut not, gerade in einer Zeit, in der Mordwütige mit Bomben, Gewehren und Messern Angst und Schrecken verbreiten. Diese Terroristen tun es im Namen der Religion, aber sie haben nichts mit dem Islam zu tun, wie ihn die überwältigende Mehrheit unserer muslimischen Mitbürger versteht. Dieser Pflicht zur Differenzierung müssen auch die Journalisten genügen – ein Begriff wie „Islam-Terror“ wäre deshalb in unserer Zeitung besser nicht erschienen.

Der frühere Domprediger Joachim Hempel hat am Dreikönigstag bei der aktiven Braunschweiger Gemeinde „Die Brücke“ eine Lanze für die Arbeit der Glaubensgemeinschaften gebrochen – wohl nicht nur der evangelischen. Seine Streitrede wider den Rückzug in die Innerlichkeit war Balsam auf die wundgescheuerten Seelen derer, die haltgebende Kraft suchen und nicht immer finden. „Wer würde denn an unsere Stelle treten, wenn wir uns mit uns in unsere vier Wände persönlicher Frömmigkeit und ausschließlich eigenen Seelenheils zurückzögen? – und wohlgefällig, aber auch wohlfeil, ,die arge, böse Welt‘ sich selbst überließen?“ Auf den Kontext der Ditib-Vertrauenskrise angewandt: Wir sollten uns wünschen, dass die positiven Potenziale auch der muslimischen Gemeinden für unser Gemeinwesen stärker nutzbar werden.

Die komplette Rede von Joachim Hempel finden Sie hier als PDF-Datei.