Wolfenbüttel. Ein älteres Paar weiß nicht, wie es weitergeht. Die Bibliothek schützt ihren Bestand.

Ein weißer Oldtimer steht am Straßenrand. Der Fotograf sagt scherzhaft zur Braut: „So, junge Dame, Sie legen sich jetzt mal auf die Motorhaube.“ Helmuth Förster und seine Frau Kerstin haben am Freitag im Rathaus in Wolfenbüttel geheiratet und anschließend Fotos vor der Herzog-August-Bibliothek gemacht – trotz Hochwassers, trotz Katastrophenalarms. „Das trübt unseren schönen Tag nicht“, sagt Kerstin Förster.

In der Bibliothek hingegen bangen sie um kostbare Bücher und Schriften. Hier liegt das Evangeliar Heinrichs des Löwen, ein Hauptwerk der deutschen Kunst des 12. Jahrhunderts. Auch die Landgüterverordnung Karls des Großen aus dem 9. Jahrhundert zählt zum außergewöhnlichen Bestand. Das Wasser ist in den Keller eingelaufen, die Pumpen pumpen, was das Zeug hält.

„Noch am Donnerstagabend waren wir in großer Sorge“, sagt Jill Bepler, die Direktor Peter Burschel vertritt. Inzwischen ist „die Lage ernst, aber nicht dramatisch“, sagt Bepler. Die Bibliothek ist weiterhin für den Publikumsverkehr geöffnet.

Der Keller hat ein Gefälle, alle wertvolleren Gegenstände lagern auf der Seite ohne Wasserzufluss. Die wirklich kostbaren Werke liegen im Handschriftentresor und im neuen Magazin. Wo genau in den großen Gebäuden, das will Bepler nicht sagen. Klar, Diebe sollen gar nicht erst angelockt werden. „Die Feuerwehr hat die Lage weiter im Blick“, sagt Bepler. Das Lessinghaus vor der Bib-liothek und auch das Zeughaus sind zum Glück gar nicht erst vom Hochwasser betroffen.

Bepler weist den Weg zum Kellereingang der Bibliothek. Hier ragen Schläuche heraus, die das Wasser in die volle Oker leiten. Vor der Bibliothek trifft Bepler einen Gastwissenschaftler aus den USA. Er heißt mit Vornamen Sky. Ausgerechnet – das passt zur Wetterlage. Sky Michael Johnston forscht in den alten Schriften in der Bibliothek ironischerweise zum Wetter – in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. „Ich komme aus Kaliforniern. Wir haben nicht so viel Regen in San Diego“, sagt er. Am Donnerstag, so sagt er, hätten er und seine Familie mit den zwei Kindern, mit der er im Lessinghaus untergebracht ist, doch Befürchtungen gehabt. „Der Pegel der Oker stieg und stieg. Der Fluss ist nur ein paar Meter vom Lessinghaus entfernt.“

Johnston forscht gerade über eine Sintflut in Thüringen von 1613. „Das Wetter hier in den vergangenen Tagen mit dem Starkregen fand ich außergewöhnlich. Jetzt sehe ich meine Forschung noch einmal mit einem ganz anderen Auge.“

Eine weitere Wissenschaftlerin aus Tschechien kommt aus dem Gästehaus der Bibliothek. Es ist ein paar Hundert Meter entfernt und vom Hochwasser umschlossen, ein paar Enten schwimmen auf dem See, der sich gebildet hat. 22 Gastwissenschaftler wohnen hier. Das bleibt auch so, bis auf den vollen Keller ist das Haus nutzbar. „Es ist hier wie in Prag 2002, sagt die Frau. Damals zitterte eine ganze Nation um die historische Altstadt, Prag erlebte die schlimmste Naturkatastrophe seiner Geschichte.

Ganz so dramatisch ist es dann doch nicht in Wolfenbüttel. Wobei, es kommt auf die Perspektive an. Im Foyer des Jugendgästehauses sitzt ein älteres Ehepaar. Die beiden wohnen eigentlich im besonders heftig betroffenen Rosenwall nahe der Innenstadt. Die Straße steht auch am Freitag noch knietief unter Wasser.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag werden die beiden von den Einsatzkräften evakuiert. Sie sind die letzten und wollen eigentlich gar nicht aus ihrem Haus heraus. „Wir haben gedacht, dass nur die wirklich Alten und Kranken ihre Häuser verlassen sollten“, sagt die 75-Jährige.

In ihr Haus dürfen sie noch nicht. Sie tragen die Kleidung vom Vortag. „Wir sind zum Glück elementarversichert“, sagt er. „Der Versicherungsmann war schon vor Ort.“ Glück im Unglück. Eine Nachbarin wies das Paar auf das Hochwasser hin, bis dahin hatten sie am Donnerstag noch gar nichts bemerkt. „Dann ging alles ganz schnell, das Wasser kam im Keller durch alle Ritzen“, sagt er. Er stellte die Pumpe an, doch bald schon wurde der Strom abgestellt. Kurzschlüsse hätten gedroht.

„Wir haben uns vom Schreck erholt“, sagt sie. Die Frau macht tatsächlich einen sehr gefassten Eindruck, spricht ruhig, lacht ab und zu. Den Helfern konnte das Paar in der Nacht gar nicht mehr erklären, dass sie zusätzlich noch eine Eigentumswohnung besitzen. „Die haben uns einkassiert und gleich hier im Jugendgästehaus herausgeschmissen“, sagt sie. „Das war im Nachhinein die bessere Lösung“, sagt er. „Hier wurden wir betreut, es gab etwas zu essen.“ Sie stimmt zu. „Vor allem das Bad fand ich klein, aber schnuckelig.“

Wie es weitergehen soll und wann sie in ihr Haus zurückkehren können, das wissen sie noch nicht. Theresa Janßen vom Jugendgästehaus erklärt den beiden, dass sie wie die anderen acht evakuierten Personen, die im Haus übernachtet haben, nichts zahlen müssen. Das übernimmt der Landkreis Wolfenbüttel.

Janßen hat alles koordiniert. Eigentlich war das Jugendgästehaus für die Bewohner des Altenheimes aus den Steinhäuser Gärten vorgesehen. Doch die

24 Schwerdementen sind dann samt Pflegepersonal im Klinikum untergebracht worden. Die restlichen 55 Bewohner aus den oberen Stockwerken konnten im Altenheim bleiben. Janßen und die anderen Mitarbeiter hatten extra schon die Betten bezogen und die Matratzen aus den Hochbetten für die zum Teil körperlich beeinträchtigten Altenheim-Bewohner auf den Fußboden gelegt. Doch dann kam es wie gesagt anders.

Etwas außerhalb des Stadtkerns in der Lindenhalle hat das DRK eine Unterkunft für die etwa 600 Helfer aufgebaut. Hier können sie sich ausruhen und stärken. 140 Feldbetten stehen hier, 300 Mahlzeiten sind vorbereitet, Getränke stehen parat. Ein Caterer hat sogar einen großen Karton mit Hunderten von Schoko-Osterhasen gespendet. Das Mittagessen ist ab 12 Uhr vorgesehen – es gibt Reis mit Geschnetzeltem. Die ersten Helfer sind erst gegen 15 Uhr in der Lindenhalle. Es handelt sich um vier Feuerwehrleute aus Salzgitter. Insgesamt kämpfen 102 Feuerwehrleute allein aus Salzgitter gegen das Hochwasser in Wolfenbüttel. Anne Grochmann sagt: „Der Melder ging um 5 Uhr, dann haben wir uns gesammelt, sind nach Wolfenbüttel gefahren.“ Am Mittwoch half sie in Seesen im Kreis Goslar, am Donnerstag in Hildesheim. Sie ist seit zehn Jahren bei der Feuerwehr, arbeitet in einem Autohaus. „So etwas wie die letzten Tage habe ich noch nicht erlebt“, sagt sie. Ihre Aufgabe ist es, den Bereitschaftsführer zu unterstützen, die Feuerwehrleute zu koordinieren.

Dafür, dass bis zum frühen Nachmittag kaum Helfer die Lindenhalle aufsuchen, hat Grochmann eine einfache Erklärung: „Die Wolfenbütteler sind sehr dankbar. Die Einsatzkräfte werden überall verpflegt.“