Braunschweig. Laut einer Untersuchung ist jede zweite Zecke auf dem Golfplatz Edemissen-Peine mit Borreliose-Erregern infiziert.

Unser Leser Martina Schwalbe aus Edemissen fragt:

Sie berichteten über zwei Biologinnen, die auf dem Golfplatz in Edemissen Zecken eingesammelt haben. Gibt es schon Ergebnisse?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Im Frühjahr sind Zecken besonders aktiv. Das ist der Grund, warum Dr. Sharon Page und Sirli Anniko sich im Mai an die Arbeit machten. Die beiden Mitarbeiterinnen des „Borreliose-Centrums-Augsburg“ (BCA) sammelten für zwei Tage auf dem Gelände des Golfclubs Peine-Edemissen Zecken ein. Ihre Beute: 500 Tiere.

„Die Infektionsrate lässt sich nicht vom Golfplatz auf den Land- kreis hochrechnen.“
„Die Infektionsrate lässt sich nicht vom Golfplatz auf den Land- kreis hochrechnen.“ © Dr. Dania Richter, Biologin am Institut für Geoökologie der TU Braunschweig

105 Zecken, darunter 50 im Nymphenstadium sowie 30 weibliche und 25 männliche erwachsene Zecken, wurden mittlerweile auf Borrelien getestet. Diese Bakterien können beim Menschen die Lyme-Borreliose auslösen. In 54 dieser 105 Tiere konnten Borrelien nachgewiesen werden. Etwa jede zweite Zecke sei also infiziert, sagen die Wissenschaftlerinnen und übertragen dieses Ergebnis auf den Landkreis: auf jeder größeren Wiese, jedem Waldweg und auch in privaten Gärten sei eine ähnliche Infektionsrate zu erwarten.

Eine mehr als gewagte Behauptung, findet Dr. Dania Richter. „Die Infektionsrate ist abhängig von der lokalen Zusammensetzung der Wirtstiere“, erklärt die Biologin und Zecken-Expertin vom Institut für Geoökologie der

TU Braunschweig. Je nach Verhältnis von Nagetieren und Vögeln zu Eidechsen und Wiederkäuern unterscheide sich der Befall der Zecken mit Lyme-Borrelien erheblich. So dienten Nagetiere und Vögel als Reservoir für Lyme-Borrelien, die auch den Menschen infizieren können. Eidechsen könnten zwar infiziert sein, aber mit einer Art, die für Menschen ungefährlich ist. Wiederkäuer seien effiziente Lyme-Borrelien-Stopper. „Sie werden nicht nur nicht infiziert, sie eliminieren den Erreger sogar aus Zecken, die an ihnen saugen“, sagt die Biologin. Sie habe mehr als tausend Zecken untersucht, die an Wiederkäuern gesaugt haben. In keiner konnten Lyme-Borrelien nachgewiesen werden. Eine Erklärung für dieses Phänomen gebe es noch nicht, obwohl es womöglich einen Ansatz für die Entwicklung eines Impfstoffs liefern könnte.

Wie viele Zecken infiziert sind, hängt also davon ab, welche Wirte ihnen für die Blutmahlzeit zur Verfügung stehen. „Diese Unterschiede sind sehr kleinräumig. Das lässt sich nicht vom Golfplatz auf den ganzen Kreis hochrechnen“, sagt Richter. Sie kann das mit Ergebnissen eigener Studien belegen. Auf einer von ihr untersuchten Weide seien drei bis vier Prozent der Zecken infiziert gewesen, auf der Brache direkt nebenan hingegen mehr als 16 Prozent. Daher sei auch eine Karte mit Risikogebieten, über die immer wieder diskutiert wird, wenig sinnvoll: „Dafür sind die Infektionsraten räumlich, aber auch zeitlich zu variabel. Mit Lyme-Borrelien infizierte Zecken sind ohnehin in ganz Deutschland verbreitet.“

Borrelien passen sich an das Immunsystem des Wirts an

Borrelien sind hochinfektiös. „Schon wenige Bakterien können eine Borreliose auslösen“, sagt Dr. Sebastian Binder vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Der Biologe hat am Braunschweiger Zentrum für Systembiologie (BRICS) den Infektionsweg am Computer modelliert. „Wir wollten herausfinden, warum sich die Bakterien von der Infektionsstelle so schnell ausbreiten, obwohl die Immunzellen des Körpers sehr effektiv gegen Borrelien vorgehen können“, so Binder.

Den Grund dafür vermutet der Biologe in der Anpassungsfähigkeit der Erreger. „Abhängig vom Wirt verändern sie die Proteine an ihrer Zelloberfläche. Das geschieht schon während der Blutmahlzeit der Zecke.“ Dadurch könnten die Bakterien sich entweder tarnen und so dem Immunsystem entgehen, oder sie interagierten sogar mit den Immunzellen, um diese zu hemmen.

Unbehandelt breiten die Bakterien sich anschließend im Körper aus. Neben der Haut können sie andere Gewebe wie Gelenke, das Nervensystem und sogar das Herz befallen. Mögliche schwere Folgen sind Lähmungserscheinungen oder schmerzhafte Lyme-Arthritis der Gelenke, vor allem des Knies.

Die Symptome einer frühen Lyme-Borreliose sind vielfältig. Typisch ist die sogenannte Wanderröte, die sich ringförmig von der Einstichstelle ausdehnt. Allerdings tritt sie in weniger als der Hälfte aller Fälle auf. „Weitere Symptome ähneln der Grippe, aber ohne Husten und Schnupfen“, sagt Dr. Thorsten Kleinschmidt, Allgemeinmediziner und Vorsitzender der Bezirksstelle Braunschweig der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Die Diagnostik bei der Borreliose sei schwierig. Eine Blutuntersuchung allein reiche nicht aus, sagt der Arzt.

„Mit Blutuntersuchungen wird leider viel Unsinn getrieben“, so Kleinschmidt. Auch Sebastian Binder warnt vor „Schindluder bei der Diagnostik“. Wegen ihrer vielen möglichen Symptome scheint die Borreliose besonders geeignet für zweifelhafte Methoden. Auch die BCA, die die Zecken-Studie in Edemissen durchgeführt hat, steht diesbezüglich in der Kritik. Die private Klinik verwendet eine Liste mit nicht weniger als 160 Symptomen, die auf Borreliose hinweisen könnten. Und sie wirbt mit der Diagnose-Methode „EliSpot“. „Das Problem dabei ist die niedrige Spezifität des Tests, man erhält also recht viele falsch positive Testergebnisse“, sagt Binder.

Die stehen teilweise im Widerspruch zur üblichen Serologie, bei der im Blut des Patienten nach Antikörpern gegen Borrelien gesucht wird. Sie sind Teil der Immunantwort und entstehen als Folge jeder Infektion. Den „Goldstandard“ nennt Binder diesen Test. „Wenn keine Antikörper im Blut sind, sollte auch nicht gegen Borreliose behandelt werden“, sagt Thorsten Kleinschmidt.

Genau das ist an der BCA aber schon geschehen. Das berichtete der SWR 2012 in der Fernseh-Dokumentation „betrifft: Der Zecken-Krieg – Wie gefährlich ist die Borreliose?“ Sie zeigt den Fall einer Patientin, die trotz negativen serologischen Befunds an der BCA monatelang für viel Geld mit Antibiotika behandelt wurde – bis ihre Gesundheit so schwer geschädigt war, dass sie die Therapie abbrechen musste.

Borreliose kann der Hausarzt mit Antibiotika behandeln

„Sogenannte Borreliose-Spezialisten sind zumeist vor allem selbst ernannte Spezialisten“, sagt Kleinschmidt. Die Krankheit könne aber jeder Hausarzt behandeln: „Die Standard-Therapie sind drei Wochen Antibiotika als Tablette. Das funktioniert zumeist gut.“ In seltenen schweren Fällen sei eine stationäre Behandlung mit intravenöser Gabe eines Antibiotikums notwendig.

Für die Wirksamkeit einer Langzeit-Therapie mit Antibiotika hingegen gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis. Die empfiehlt aber der Verein „Deutsche Borreliose-Gesellschaft“, an deren Leitlinien sich die BCA orientiert. Die Gesellschaft ist umstritten. In einem Beitrag über „Antiwissenschaft“ bei Borreliose-

Gruppen für das Medizinjournal „The Lancet“ aus dem Jahr 2011 werfen die Autoren dem Verein vor, durch seine Aktivitäten die öffentliche Gesundheit zu gefährden. Denn solche Gruppen ziehen die Borreliose als Erklärung für eine Fülle unspezifischer Symptome heran – obwohl die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose oder des sogenannten Post-Lyme-Syndroms wissenschaftlich nicht belegt sind.

War die Zecken-Sammlung in Edemissen womöglich eine Kampagne der BCA, um neue Patienten zu werben? Für eine Stellungnahme war die Klinik leider nicht zu erreichen. Dania Richter rät dazu, das Borreliose-Risiko ernstzunehmen und sich entsprechend zu schützen (siehe Faktenkasten). „Es ist wichtig, aufmerksam zu sein. Die Gefahr sollte aber auch nicht übertrieben werden.“