Braunschweig. Die Landesregierung treibt das Projekt voran, Bahnfahrer in der Region werden sich aber noch ein paar Jahre gedulden müssen.

Unser Leser Tim Kleist fragt auf unseren Facebookseiten:

Warum wurde die Weddeler Schleife nicht von Beginn an mit mindestens zwei Gleisen geplant und gebaut?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Seit 1998 schon warten die Menschen und Unternehmen aus unserer Region – auch VW wegen des Güterverkehrs – auf das zweite Gleis der Weddeler Schleife. Damals wurde die eingleisige Bahnstrecke zwischen Braunschweig und Wolfsburg fertiggestellt – und die Bürger in unserer Region vertröstet. Das zweite Gleis werde kommen, hieß es damals schon aus dem Verkehrsministerium.

Das Planungsrecht aus dem Jahr 1995 sah das zweite Gleis bereits vor. Die Trasse wurde für zwei Gleise gebaut. Der Bund bewilligte aus Kostengründen aber nur die Mittel für ein Gleis. Das zweite Gleis hätte damals bis zu 100 Millionen DM gekostet. Nun müssen das Land Niedersachsen und der Bund, die sich die Kosten teilen wollen, deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das Bahn-Projekt wird bis zu rund 150 Millionen Euro kosten.

Der Bedarf auf dieser Strecke ist seit den 90er Jahren deutlich gestiegen. Ein wesentlicher Grund ist der Boom bei VW und den Zulieferern vor dem Abgas-Skandal. In den vier, fünf Jahren zuvor stellten die Unternehmen 20 000 neue Mitarbeiter ein. Viele von ihnen wohnen im Umland von Wolfsburg oder in Braunschweig – und pendeln zur Arbeit nach Wolfsburg. Das sorgt für Staus auf den Straßen und volle Zügen.

Der Regionalverband Großraum Braunschweig bezifferte die täglichen Fahrgäste, die den sogenannten Enno-Zug zwischen Braunschweig und Wolfsburg nutzen, vor einem Jahr bereits auf im Schnitt 3200 Fahrgäste pro Werktag – Tendenz steigend. Wäre das Angebot besser, würden wohl noch mehr Pendler auf den Zug umsteigen. Voraussetzung ist das zweite Gleis, damit Züge gleichzeitig fahren können.

Der Bund hat das zweite Gleis in seinem Programm berücksichtigt

Der Regionalverband erstellt derzeit eine Kosten-Nutzen-Analyse für den Nahverkehr sowie den Güter- und Fernverkehr. Das Ergebnis soll im Herbst vorliegen. Das ist natürlich zu spät für das Spitzentreffen am 26. Juni in Berlin. Landesverkehrsminister Olaf Lies (SPD), Enak Ferlemann, Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium, ein Bahnvorstand und Hennig Brandes, Direktor des Regionalverbands, werden dann über den Zeitplan und die Kostenaufteilung sprechen.

Auf Initiative von Minister Lies hatten sich die Akteure bereits Ende Februar 2016 grundsätzlich geeinigt. Die Bahn soll bauen, das Land und der Bund sollen zahlen. Nur: Bisher gibt es noch keinen Vertrag, sondern nur eine mündliche Absprache. Das sei nicht unüblich bei solch einem großen Projekt in diesem vergleichbar frühen Stadium, sagt ein Verkehrsexperte, der nicht genannt werden will.

Das Land ist weiterhin der große Antreiber. Heinke Traeger, Sprecherin des Landesverkehrsministeriums, drückt es so aus: „Wegen des Nutzens auch für Fern- und Güterverkehr ist ein ergänzender Interessenbeitrag des Bundes dem Grunde nach verabredet worden.“ Das ist sehr vorsichtig formuliert. Die rot-grüne Landesregierung will den Bund, der als Zahler gebraucht wird, nicht mehr verprellen.

Der Bau des zweiten Gleises entwickelt sich immer mehr zum Politikum. Die Pressestelle der Deutschen Bahn sah sich nicht in der Lage, eine Anfrage zu beantworten. Die Pressestelle des Bundesverkehrsministeriums benötigte drei Tage.

Heraus kamen Sätze, die vor allem auf eines schließen lassen: Es wird bis zuletzt um jede Million gefeilscht. Dass der Bund seine mündliche Zusage noch einmal zurücknehmen könnte, bewerten Beobachter aus unserer Region als wenig wahrscheinlich. Staatssekretär Ferlemann vom Bundesverkehrsministerium ließ sich Ende Februar mit Vertretern aus der Region und Minister Lies in Berlin auf einem Foto ablichten, das symbolisieren sollte: Der Knoten ist zerschlagen. Der Niedersachse Ferlemann kommt aus Cuxhaven. Er steht auch bei seinem CDU-Landesverband in der Pflicht. Ferlemann wurde lange als Herausforderer von Ministerpräsident Stephan Weil bei der kommenden Landtagswahl im Januar gehandelt.

Eine Hintertür lässt sich das Bundesverkehrsministerium aber immer noch offen, obwohl die Weddeler Schleife nicht nur eine große Bedeutung für den Nahverkehr in unserer Region hat, sondern auch für den Güter- und Fernverkehr. Dafür ist der Bund zuständig. Ein Sprecher erklärte: „Der Bund hat diese Anmeldung (des zweiten Gleises) in seinem Programm berücksichtigt und erklärt damit grundsätzlich die Bereitschaft, das Vorhaben anteilig im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu fördern, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.“

Geld für einen enger getakteten Fahrplan steht zur Verfügung

Es wäre für alle Beteiligten aber beruhigender, wenn der Bund sich doch dazu durchringen könnte, den Bau des zweiten Gleises mit einem Vertrag zu besiegeln. Wer weiß, ob die Beteiligten, die die mündliche Vereinbarung getroffen haben, nach der Bundestagswahl noch im Amt sind. Und ob eventuelle Nachfolger sich an die Abmachung halten werden.

Irritierend war in diesem Zusammenhang die Aussage von Ex-Staatssekretärin Daniela Behrens vom Landesverkehrsministerium. Sie hatte unserer Zeitung am Rande eines Termins vor wenigen Wochen erklärt, dass ein unterschriftsreifer Vertrag zur Weddeler Schleife längst bei Ferlemann in Berlin vorliege. Doch der sitze diesen einfach aus. Ihr Chef, Minister Lies, habe Ferlemann daraufhin einen Brief geschickt, in dem er Ferlemann aufgefordert habe, den Vertrag endlich zu unterschreiben. Ob das stimmt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Aus dem Landesverkehrsministerium hieß es nur, Behrens habe da wohl etwas missverstanden. Lies hat Behrens auf ihre Bitte hin inzwischen entlassen. Damit zogen beide Konsequenzen um eine Affäre um leichtfertig und gegen die strengen Ausschreibungsregeln vergebenen Aufträge aus dem Ministerium. Behrens’ altes Diensthandy ist nicht mehr aktiv.

Der Regionalverband Großraum Braunschweig hat die Voraussetzungen längst geschaffen, damit das zweite Gleis sich auch auszahlt. Das erklärte Direktor Hennig Brandes. Das Geld für einen dichter getakteten Fahrplan steht zur Verfügung. Dafür hat das Land Niedersachsen gesorgt. Es hat extra das Landesnahverkehrsgesetz für unsere Region geändert. Der Regionalverband erhält als Aufgabenträger des Nahverkehrs in der Region ab 2021 etwa 100 Millionen Euro. Derzeit sind es etwa 70. Mit den zusätzlichen

30 Millionen soll unter anderem der 30-Minuten-Takt zwischen Braunschweig und Wolfsburg bezahlt werden. Vier zusätzliche Enno-Züge hat der Regionalverband ebenfalls bereits gekauft. Die Enno-Flotte zählt nun 24 Züge im Wert von etwa fünf Millionen Euro pro Stück. Die relativ neuen Züge fahren in 19 Minuten von Braunschweig nach Wolfsburg. Das ist S-Bahn-Niveau. Sie bieten zu Hauptverkehrszeiten Platz für etwa 1000 Fahrgäste. Nun muss der Bund nur noch zu seiner Zusage stehen und einen Vertrag unterschreiben.