Salzgitter. Alstom, Salzgitter AG und VW zeigen, warum Wasserstoff die Zukunft gehören könnte.

Unsere Leserin Ulrike Siemens aus Hemkenrode fragt:

Könnten Brennstoffzellen auch im privaten Bereich, zum Beispiel im Individualverkehr eingesetzt werden? Wie sieht es mit der Infrastruktur wie Wasserstofftankstellen oder Wasserstoffleitungen aus?

Die Antwort recherchierte Andreas Schweiger

Die erste Frage unserer Leserin kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Den Beweis lieferte am Mittwoch der erste Wasserstofftag in Salzgitter. Auf dieser Veranstaltung, organisiert vom Salzgitteraner Zugbauer Alstom und der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW), wurde über das Potenzial von Wasserstoff und Brennstoffzelle nicht nur diskutiert. Die Besucher konnten sich an Exponaten zugleich zeigen lassen, dass diese Technik schon funktioniert.

Das Auto

Der VW-Konzern zeigte in Salzgitter einen VW Passat und einen Audi A7 mit Brennstoffzelle. Techniker luden zu einer Probefahrt ein. Die Autos fahren sich wie typische Stromer: sehr leise, die Leistung steht sofort zur Verfügung. Kein Wunder, werden sie doch von einem E-Motor angetrieben, der die elektrische Energie eben nicht aus einer Batterie, sondern aus der Brennstoffzelle bezieht. Die verarbeitet nicht Benzin oder Diesel, sondern Wasserstoff als Brennstoff.

Der Passat mit Brennstoffzelle leistet 100 KW, also rund 130 PS. Mit einer Tankfüllung soll das Auto 450 Kilometer weit fahren können. Die Tankzeit wird mit drei Minuten angegeben. Weder bei Reichweite noch bei der Ladezeit kann das E-Auto derzeit mithalten. Ein Knackpunkt beim Brennstoffzellen-Auto ist derzeit allerdings noch der Preis.

Treiber der Kosten ist nicht etwa die Brennstoffzelle selbst, sondern der Wasserstofftank. Der muss bei voller Betankung einen enormen Druck von 700 bar aushalten. Deshalb wird bei der Produktion derzeit noch teure Carbonfaser eingesetzt. Zum Vergleich: Der Druck in Autoreifen liegt zwischen 2 und 3 bar.

Dass Autos mit Brennstoffzelle noch nicht serienreif sind, hat auch unternehmenspolitische Gründe: Die Branche setzt derzeit voll auf das Batterie-betriebene E-Auto. Audi plant aber für 2021/2022 eine Kleinserie mit Brennstoffzellen-Fahrzeugen.

Der Zug

Weiter ist da schon der französische Zugbauer Alstom in seinem Werk Salzgitter. Dort wird der „iLint“ auf die Schiene gesetzt, ein Nahverkehrszug, der im nächsten Jahr in der Fahrgastbeförderung eingesetzt werden soll. Auch der „iLint“ verfügt über eine Brennstoffzelle. Die sitzt auf dem Dach des Zuges, der mit einer Wasserstoff-Ladung 600 bis 800 Kilometer fahren können soll. Nach Alstom-Angaben ist der „iLint“ weltweit der erste Zug mit Brennstoffzelle.

Die Wasserstofferzeugung

Der Stahlkonzern Salzgitter AG ist zwar kein Mobilitätsunternehmen. Wasserstoff, der in der Brennstoffzelle als Brennstoff benötigt wird, spielt dennoch eine zentrale Rolle in der Strategie des Unternehmens. Derzeit läuft eine Pilotanlage für die alternative Wasserstoff-Erzeugung an – von der vielleicht auch die Mobilitäts-Unternehmen lernen könnten. Wasserstoff wird derzeit bei der Stahl-Veredelung eingesetzt. Aktuell wird der Wasserstoff noch in Leuna aus Erdgas hergestellt und per LKW nach Salzgitter gebracht.

Künftig soll Wasserdampf, der in der Stahlproduktion entsteht, in der Pilotanlage zu Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt – also mit eigenen Mitteln hergestellt werden. Der dafür erforderliche Strom kommt derzeit noch aus dem eigenen Kraftwerk, soll aber perspektivisch zum Beispiel von Wind- oder Wasserkraft-Anlagen erzeugt werden. Somit würde der CO2-Ausstoß in der Stahlveredelung deutlich gesenkt.

Das langfristige Vision ist noch ehrgeiziger. Die derzeit im Hochofen zur Eisengewinnung erforderliche Kokskohle, soll von Wasserstoff ersetzt werden. Das erfordert in Salzgitter allerdings ein völlig neues Verfahren zur Eisengewinnung und damit enorme Investitionen. Gelänge diese Umstellung, könnte der CO2-Ausstoß sogar um 80 Prozent gesenkt werden. Allerdings ist das noch absolute Zukunftsmusik.

Die Diskussion

In welche Technik ein Unternehmen investiert, ist nicht allein abhängig vom technischen Reifegrad, sondern von deren Wirtschaftlichkeit. Und die Wirtschaftlichkeit der Wasserstoff-Technik sei wiederum abhängig vom Energiepreis. Das betonte Heinz Jörg Fuhrmann, Vorstandschef der Salzgitter AG, in einer Podiumsdiskussion auf dem Wasserstofftag mit Top-Managern sowie mit Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) und Enak Ferlemann (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundes-Verkehrsministerium.

Damit war Fuhrmann bei einem seiner Lieblingsthemen. Nach seiner Einschätzung benachteiligen die in Deutschland erhobenen Netzentgelte und die EEG-Umlage, mit der die Erzeuger erneuerbarer Energien unterstützt werden, deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Mit Blick auf die Wasserstoff-Technik sagte er: „Wir werden an diesen Themen nur Freude haben, wenn sie wettbewerbsfähig sind.“ Damit war die Forderung an die Politik formuliert, die Energiepreise in Deutschland zu senken.

Alstom-Manager Wolfram Schwab betonte, dass die Einführung des Brennstoffzellen-Zuges „iLint“ dank der Unterstützung durch die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) deutlich erleichtert worden sei. Alstom habe so Planungssicherheit bekommen. Zudem habe die LNVG Rückschläge „mit wegkompensiert“. Auch Salzgitter-Chef Fuhrmann begrüßte eine Anschubfinanzierung durch die öffentliche Hand für Unternehmen, „die den Mut haben, Innovationen zu entwickeln oder innovative Technik anzuwenden“. Allerdings müsse diese öffentliche Finanzierung an die Perspektive gekoppelt sein, dass sich die Projekte langfristig selbst tragen.

Minister Lies betonte, dass gezielte öffentliche Förderung den Durchbruch neuer Technik erleichtern könne. Das gelte beispielsweise für Fördermittel, die in Bus-Flotten fließen. „Die Flottenstruktur ist leichter zu beeinflussen als der Einzelne“, erläuterte er die Logik. Damit eine neue Technik von der Öffentlichkeit angenommen werde, sei es wichtig, diese Technik in der Anwendung sichtbar zu machen. Lies setzte sich dafür ein, die Entwicklung der E-Mobilität und der Wasserstoff-Mobilität gleichermaßen voranzutreiben. „Wir müssen in der Lage sein, auf zwei Konzepte zu setzen.“

Staatssekretär Ferlemann ließ keinen Zweifel daran, dass sich die Brennstoffzelle durchsetzt. „Wir sind aus der Experimentierphase heraus, jetzt geht es darum, sie marktfähig zu machen.“ Dazu gehöre der rasche Aufbau eines Netzes mit 400 Tankstellen für Wasserstoff in Deutschland, sagte er und beantwortete damit indirekt die zweite Frage unserer Leserin. Brennstoffzelle und Wasserstoff-Technik seien wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Ferlemann: „Wir brauchen Innovationen, damit man bei uns kauft, was es woanders nicht gibt.“

Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Zukunft made in Salzgitter