Kiel. In Schleswig-Holstein gewinnt der weithin unbekannte CDU-Bewerber Daniel Günther überraschend die Wahl.

Die Küste liegt vor ihnen. Die CDU hat ihre Wahlparty hier direkt am Wasser der Kieler Förde aufgebaut, auf dicken Brettern aus Holz, die Sonne strahlt aufs Parkett, Cocktail-Atmosphäre in einer schicken Bar. Und alle Christdemokraten hier finden, dass jetzt noch viel mehr vor der Partei liegt als das Ostseewasser. Die Macht.

Als um 18 Uhr am Sonntag die erste Prognose über die Bildschirme in der Strandbar flackert, bricht Jubel aus. „Daniel Günther, Ministerpräsident“, rufen die Anhänger der CDU. Die Partei ist bei der Wahl in Schleswig-Holstein klar stärkste Partei geworden. Und Spitzenkandidat Daniel Günther ist der Überraschungssieger der Opposition. Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig landet in den Hochrechnungen deutlich hinter der CDU, die Grünen bleiben mit leichten Verlusten drittstärkste Kraft vor der FDP. Klar ist: Für die Koalition aus SPD-Mann Albig, den Grünen und der dänischen Minderheitenpartei SSW reicht es nicht mehr.

Überraschungssieger Günther war kurzfristig eingesprungen

Kurze Zeit später kommt CDU-Spitzenkandidat Günther an der „Seebar“ an, er läuft über den Holzsteg, junge Männer und Frauen mit CDU-Schildern in den Händen folgen ihm. Günther, den bis vor wenigen Monaten kaum jemand kannte, läuft zu seiner Partei wie ein Boxer in den Ring. Nur dass er den Kampf schon gewonnen hat. „Die Menschen haben gegen die Koalition des Stillstands gestimmt und für den Aufbruch gestimmt“, ruft Günther seinen Anhängern zu. „Die Regierung von Torsten Albig ist abgewählt.“

An diesem Abend schwebt eine Frage über das Wasser: Wie ist ihm das gelungen? Erst vor einem halben Jahr war Günther eingesprungen, als der eigentliche Spitzenkandidat Ingbert Liebing hingeworfen hatte – dieser war zu unbekannt, zu schlecht seine Umfragewerte. Also musste Günther ran. Eine Wechselstimmung wollte bis Wochen vor der Wahl nicht aufkommen, Albig regierte geräuschlos, die Steuereinnahmen sprudeln, das große Streitthema fehlte diesem Wahlkampf, Polit-Skandale blieben aus. Eigentlich hilft diese Ruhe den Regierenden.

Noch mehr: In den Wochen vor der Wahl hatte sich eine satte Mehrheit der Menschen in dem Bundesland zufrieden mit Albig und dessen Regierung gezeigt –

61 Prozent. Und doch: Günther zog an Albig vorbei – gegen alle Trends. Er kippte die Stimmung. Vielleicht hat ihm sogar geholfen, dass ihn keiner so richtig kennt. Er trägt den Charme des Neuen.

Daniel Günther ist ein kleiner Anti-Albig. Hier der Präsidialpolitiker Albig, mit einer Prise

Küstenkönig-Habitus; dort der

Neuling Günther, smart, die schlaksige Figur eines Mittelstreckenläufers, zurückhaltend, der fast jugendlich wirkt. Der eine mit Amtsbonus, der andere mit dem Bonus des Aufbruchs.

Am Ende aber kann auch etwas Privates Albigs politische Niederlage beschleunigt haben: Die Worte, die er über seine Ehefrau wählte – öffentlich, in einem Interview in der Illustrierten „Bunte“. 27 Jahre war Albig mit seiner Frau Gabriele verheiratet – Jahre, in denen er Karriere machte und sie die Kinder großzog. Albig bilanzierte dazu nun: „Irgendwann entwickelte sich mein Leben schneller als ihres.“ Er sei beruflich ständig unterwegs gewesen, sie „gefangen“ in der Rolle als Mutter und „Managerin unseres Haushalts“. Albig erntete für diese Sätze Kritik und Häme, die Opposition schlachtete sein Bild von Gleichberechtigung in der Ehe aus. Und am Wahlabend sind sogar die Parteigenossen darüber wütend. „Das geht gar nicht“, sagte einer, der seit über 40 Jahren der SPD angehört. „Streit zwischen Eheleuten gibt es immer. Aber den klärt man im Privaten und nicht öffentlich.“

Günther führte einen Fleiß-Wahlkampf, besuchte 2000 Haushalte von Pinneberg bis Flensburg. Seine Partei druckte 10 000 Plakate, 500-mal stand sein Gesicht und das Logo der CDU sogar in Großformat an Straßen und Fassaden Schleswig-Holsteins. Günther zog in vielen „Wahlarenen“ durch das Land. „Albig erzählte nur von den vergangenen fünf Jahren, wir erzählen von den nächsten fünf“, sagt ein CDU-Mitglied am Wahlabend.

Hat Torsten Albig seinen Gegner unterschätzt? Möglicherweise kehrt mit dieser Wahl im Norden bei der SPD noch eine andere Gewissheit ein – der Schulz-Effekt ebbt ab. Wird aus dem Schulz-D-Zug doch nur eine Regionalbahn in Richtung Bundestag? Doch wer nun im Norden regiert, hängt nicht nur von Günther oder Albig ab.

Möglich sind mehrere Varianten: Die CDU favorisiert ein Bündnis mit Grünen und FDP. Die FDP mit Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki hat sich nicht auf einen Koalitionspartner festgelegt, doch ein bürgerliches Bündnis mit der Union ist die Lieblingsoption der Liberalen. „Wir stellen fest, dass es für die Regierung Albig in der bisherigen Konstellation keine Mehrheit mehr gibt, alles weitere werden wir sehen“, sagt Kubicki am Wahlabend.

Anhänger der Grünen feiern ihre Spitzenkandidatin Monika Heinold, denn alles sieht in den ersten Hochrechnungen danach aus, als erzielte die Partei ein sehr gutes Ergebnis. Mit ihrem prominenten Landwirtschaftsminister Robert Habeck setzte die Partei im Wahlkampf bisher auf eine Wiederauflage im Bündnis mit SPD und der dänischen Minderheitenpartei SSW. Ausgeschlossen haben die Grünen eine Regierung mit CDU und FDP nicht.

Aber auch die Sozialdemokraten haben noch eine Chance, erneut den Ministerpräsidenten

zu stellen. Denn auch eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hätte eine Mehrheit. Schon bei der vergangenen Wahl 2012 waren die Sozialdemokraten hinter der CDU gelandet – wenn auch nur hauchdünn – und stellten den Ministerpräsidenten.

Diesmal ist der Vorsprung der Christdemokraten groß. Das rückt eine weitere Variante in den Fokus: Die Große Koalition unter der Führung von Günther. Bisher jedoch standen sich SPD und CDU im Norden nicht sehr nah. Zwei Fakten könnten das jetzt ändern: Albig ist geschwächt. Und Daniel Günther ist neu.