Hannover. Die Abstimmung über Erdogans Machtbefugnisse kommt in Hannover langsam in Gang. Vor dem Wahllokal gibt es Wortgefechte.

Unser Leser Michael Kubitza aus Salzgitter fragt:

Werden die Namen der Wähler bei der Wahl registriert? Vielleicht haben die hier lebenden Türken Angst, mit Nein zu stimmen, weil sie dann Repressalien erfahren, wenn sie in die Türkei reisen.

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Manche machen nach der Stimmabgabe gleich noch ein Familienfoto vor dem Wahllokal, andere posieren vor den mächtigen Messegebäuden in Hannover für ein Selfie: Dass sie die Abstimmung über die umstrittene Verfassungsreform in der Heimat wichtig finden, sagen oder zeigen die meisten der Türken, die am Mittwoch zur Stimmabgabe kommen. Und zwar egal, ob sie dafür oder dagegen sind. Wie in Hannover können in Deutschland lebende Türken auch in zwölf anderen Städten in Deutschland noch zwei Wochen lang an dem Referendum teilnehmen.

Vor der Messehalle stehen drei Polizeiwagen, ein Beamter hält die Zufahrt zum Parkplatz im Blick. Im Gebäude gibt es eine Schleuse und Sicherheitskontrollen wie am Flughafen, die Wahlberechtigten müssen ihre Taschen vorzeigen, werden abgetastet. Nach der aufgeheizten Stimmung um blockierte Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hier und wüste Nazi-Beschimpfungen aus Ankara sorgt man sich um die Sicherheit.

Aber alles ist friedlich – bis auf ein paar Wortgefechte vor dem Messegebäude. Erdogan-Anhänger und Erdogan-Gegner treffen aufeinander. Sie reden schnell und laut, sprechen türkisch. Zwei der Männer haben zwei kleinere türkische Fahnen dabei. Sagen wollen sie nichts. Einer der Erdogan-Gegner will sich aber äußern. Er kommt aus Göttingen und erklärt: „Jeder redet über das Referendum – auf der Arbeit, beim Sport, in der Familie.“ Die Verfassungsreform, die für Präsident Recep Tayyip Erdogan weitreichende Macht vorsieht, ist derzeit das große Thema unter Türken in Deutschland.

Der riesige Parkplatz vor dem Messegebäude ist dennoch nur spärlich gefüllt. Zwar parken hier immer wieder neue Autos – aus unserer Region sind Fahrzeuge mit Kennzeichen aus Salzgitter, Braunschweig, Wolfsburg, Gifhorn, Goslar und Wolfenbüttel zu sehen – Schlangen bei der Abstimmung in Hannover gibt es aber nicht. Neben Türken aus Niedersachsen stimmen in Hannover auch Türken aus Bremen und aus Sachsen-Anhalt ab.

Auf dem Parkplatz stehen Habil K. und seine Frau Deniz aus Braunschweig. Er ist in Deutschland geboren, sie ist vor 15 Jahren aus der Türkei gekommen. Habil K. sagt: „Wir leben in Deutschland, deswegen geht uns das Referendum eigentlich nichts an. Ich bin aber hier, um mich meiner Stimme zu enthalten.“ Nicht ja, nicht nein, irgendwo dazwischen will er den Stempel mit der Aufschrift „Tercih“ (auf Deutsch Entscheidung), setzen. Er will seinen Stimmzettel also ungültig machen, wie er sagt.

Ebenso unentschieden fällt seine Meinung zu Erdogan aus. „Er hat Gutes getan, Krankenhäuser, Straßen und Schulen gebaut, das Gesundheitssystem ausgebaut.“ Dann kommt das große Aber. „Erdogan ist aber auch sehr stur, lässt keine andere Meinung gelten. Deswegen darf er nicht mehr Macht haben.“

Seine Frau Deniz sieht das anders. Sie hält große Stücke auf den Präsidenten. „Es hat sich so viel unter Erdogan getan. Das gefällt mir sehr, Erdogan gefällt mir. Er liebt den türkischen Staat.“ Habil K. sagt ihr, sie solle ihren Stimmzettel auch ungültig machen. Das will seine Frau aber nicht.

Ein aufgebrachter Türke aus Hannover bezeichnet Erdogan als „Diktator“. Das Referendum sei ein „Ein-Mann-Gesetz“.

Zum Wahllokal im ersten Stock des Messegebäudes führen Rolltreppen. Hinter langen Gängen befindet sich das Wahllokal. Sechs Urnen stehen hier, an jedem der sechs Tische sitzen fünf Wahlhelfer. Die Wände sind kahl – ein Wahllokal wie jedes andere. Mit der türkischen Fahne sind nur die kleinen Wahlkabinen gekennzeichnet. Wahlbeobachter sitzen etwas abseits der Tische.

Der Sprecher des Generalkonsulats, der vor Ort ist, reagiert überrascht auf die Leserfrage. Er trägt einen grauen Anzug, seine Augenbrauen heben sich, er sagt: „Wir machen eine Ausweiskontrolle, um die Wahlberechtigung zu überprüfen. Die Wahl aber ist geheim.“ Sämtliche Stimmzettel würden gesammelt, verpackt, die Kisten versiegelt und per Flugzeug in die Türkei transportiert, wo sie am 16. April, nach 18 Uhr, ausgezählt würden.

Am Eingang stehen zwei Personenschützer. Sie sind mit Generalkonsulin Banu Malaman hier. Diese steht am Rand, beobachtet die Szenerie. Sagen will sie nichts. Der Sprecher erklärt später, dass sie erst seit gut einem Monat im Amt sei. Er weist darauf hin, dass sämtliche Kosten für die Abstimmung in Hannover und den zwölf anderen Städten in Deutschland durch den türkischen Staat getragen werden. Wie viel das ist, will er aber nicht sagen. Noch bis zum 9. April ist das Wahllokal an der Messe geöffnet.