„Der Krawall um den türkischen Wahlkampf-Export legte sehr anschaulich die Unterschiede zwischen freiheitlichem Rechtsstaat und Diktatur offen.“

„Verständig werden ist der Mühe wert.“
Leopold Schefer, genannt Pandira

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Das Schöne an der Übertreibung ist, dass sie sich irgendwann selbst ad absurdum führt. So hat der Streit zwischen der Türkei und den Niederlanden diese Woche das Stadium „Z“ (für Zwerchfell erschütternd) erreicht. Der türkische Fleischverband schickte mit großer Geste 40 holländische Kühe auf die Reise ins Land der Windmühlen, weil man „keine Tierprodukte aus Holland mehr“ wolle. Da wird internationale Politik schwarzbunt.

Recep Tayyip Erdogan.Foto: dpa
Recep Tayyip Erdogan.Foto: dpa

Die wildwütenden Beleidigungen aus Ankara und die ziemlich radikale Gegenmaßnahme aus Den Haag dürften immerhin dazu beigetragen haben, dass unser Nachbarland auch weiterhin nicht von einem Hetzer regiert wird.

Geert Wilders blieb in den Niederlanden deutlich hinter seinen eigenen Erwartungen zurück. Das ist eine gute Nachricht. Nicht etwa, weil er „Populist“ wäre. Dieser fürchterlich unscharfe und deshalb unbrauchbare Begriff klingt ja so, als sei es negativ, dem Volk aufs Maul zuschauen. Im Gegenteil! Es ist gut, wenn sich Politiker nach den Menschen richten, deren Interessen sie in einer repräsentativen Demokratie zu vertreten haben. Aber Wilders ist kein Populist im Sinne eines Volkstribuns, sondern ein Scharfmacher, ein Demagoge.

Man stelle sich vor, Premier Mark Rutte hätte den Türkei-Streit auf die leichte Schulter genommen – Geert Wilders hätte sicherlich deutlich mehr Stimmen erhalten, mit katastrophalen Folgen für das weltoffene Holland und für die europäischen Nachbarn.

Man sollte sich unterdessen davor hüten, aus dem schlechteren Abschneiden Geert Wilders’ eine Welle der Zustimmung zu Multikulturalismus oder den Institutionen der Europäischen Union abzuleiten. Die Skepsis vieler Bürger gegenüber einer als schrankenlos empfundenen Gesellschaft des kleinsten gemeinsamen Nenners bleibt. Eine nicht ganz kleine Zahl von Bürgern auch in Deutschland empfindet den Rechtsstaat als zahnlos und inkompetent, fühlt sich nicht beschützt und an den Rand gedrängt. Das dürfte in Frankreich und auch bei den Wahlen in Deutschland und in Niedersachsen Spuren hinterlassen.

Wer das nicht will, der muss konsequentere Politik machen. So ist Niedersachsens Durchgreifen gegen den islamistischen „Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim“ ein deutliches Signal: Die Zeit des Laissez-faire ist zu Ende. Innenminister Boris Pistorius tut, was er angekündigt hat – es ist der beste Weg, Bürgervertrauen zu gewinnen. Auch die Verbote von Wahlkampfauftritten von Erdogans AKP in Hannover, Salzgitter oder Wolfenbüttel zeigen respektablen Geist. Allerdings nur beim Land und bei den Kommunen, die von der Bundesregierung in dieser Frage schmählich im Stich gelassen werden.

Versprechen einlösen und Vertrauen gewinnen – so könnte das auch bei der EU gehen. Im Europa-Wahlkampf hatte unter anderem der heutige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprochen, dass sich die EU künftig zurücknehmen werde. Geschehen ist wenig. Da die EU ihren eigenen Reformbedarf offenkundig nicht erkennt, ist die Zahl der Euroskeptiker diese Woche nicht geringer geworden, Wilders hin, Rutte her. EU-Kämpen wie Juncker scheinen bis zur Halskrause im Hier und Jetzt zu stecken. Es ist nicht erkennbar, wie Brüssel und die EU-Mitgliedsregierungen die Eurokratie abbauen und den Wert der Union für uns alle intensiver spürbar machen wollen.

Der Eindruck verfestigt sich, Europa werde von uns allen viel zu selbstverständlich genommen. Von vielen Bürgern, die Reisefreiheit, freie Wahl des Arbeitsortes, belastbare Währung und vor allem die friedenssichernde Wirkung der Europäischen Union bitter vermissen würden. Aber auch von den Funktionären Europas, die keine Neigung zeigen, für das Projekt Europa zu kämpfen. In Brüssel regiert das „Weiter so“. In unserer Region werden wir vermutlich erst kurz vor der Europawahl einen EU-Abgeordneten oder gar EU-Kommissar zu sehen bekommen. Werden wir ihren Ankündigungen Vertrauen schenken?

Der Krawall um den türkischen Wahlkampf-Export hat diese Woche eine weitere wichtige Wirkung entfaltet: Er legte sehr anschaulich die Unterschiede zwischen freiheitlichem Rechtsstaat und Diktatur offen. Die halbe türkische Staats- und Regierungsspitze überzog unser Land und unsere Nachbarn mit Nazi-Vorwürfen, propagierte aber zugleich Maßnahmen, die mit Begriffen wie Ermächtigungsgesetz oder Gleichschaltung durchaus treffend beschrieben wären. „Goldene-Kamera“-Preisträger Oliver Welke konfrontierte den (nicht anwesenden) „Erdo“ in der Heute-Show mit Parallelen zwischen nationalsozialistischer und AKP-Politik. Das war zu treffend, um witzig zu sein.

Wenn wir Glück haben, löst Erdogan in Deutschland tieferes Nachdenken über den Wert der Freiheit aus. Unterschiedliche Meinungen und Kulturen auszuhalten, die Freiheit der Presse, das ist auch bei uns nicht jedermann gegeben. Erdogans Türkei zeigt uns, warum wir uns dieser Herausforderungen jeden Tag aufs Neue stellen sollten.