Peine. Die Polizei steht nach den Ausschreitungen in der Peiner Südstadt am Anfang der Ermittlungen. Noch ist unklar, wer sich an den Krawallen beteiligte.

Unser Leser Bernd Klotz fragt:

Was hatten die Türken damit zu tun? Es heißt seitens der Stadt Peine stets, die Türken seien bestens integriert.

Die Antwort recherchierte Dirk Breyvogel

Die Integration der türkischen Gemeinde in die Peiner Gesellschaft, die der Leser mit seiner Frage anzweifelt, ist nach Ansicht von Bürgermeister Klaus Saemann (SPD) gelungen. Auch der Peiner Polizeichef Thorsten Kühl stellt das fest: „Die allermeisten, die hier leben, sind friedlich, gehen zur Arbeit, zahlen ihre Steuern. Wir können heute noch nicht sagen, was dazu geführt hat, dass die Situation eskalierte. Unsere Ermittlungen stehen am Anfang“, sagt Kühl.

Also was ist am Samstagabend passiert? Welche Erkenntnisse hat die Polizei? Und was sagen die Anwohner, die den Gewaltausbruch miterleben mussten? Drei Fragen, auf die es – Stand heute – noch keine abschließenden Antworten gibt.

Was ein Video zeigt

Ein auf die Internetplattform „YouTube“ gestelltes Video wurde schon tausendmal angeklickt, es wird geteilt und in den sozialen Netzwerken verbreitet. Es zeigt einen Ausschnitt eines Abends, den die Polizei als „einen außergewöhnlichen Vorfall“ für die Stadt Peine bezeichnet und an dem nicht weniger als hundert Beamte eingesetzt wurden.

Das Video, das rund zwei Minuten lang ist, zeigt, wie sich eine Gruppe von Anwohnern in der Braunschweiger Straße sammelt. In der Folge laufen erst einzelne, dann mehrere aus dieser Gruppe in Richtung Peiner Bahnhof und der naheliegenden Bahnhofsunterführung. Es ist nach Angaben der Polizei kurz vor 23 Uhr, als ein Notruf eingeht und sich die ersten Polizisten auf den Weg machen. Einige der jungen Männer, die auf dem Video nur schemenhaft zu erkennen sind, rufen „Allahu Akbar“ (Gott ist allmächtig). Als die Kamera umschwenkt, wird deutlich, wohin sie wollen. Man hört dumpfe Aufschläge, Steine fliegen. Wer die Steine schmeißt, ist nicht klar zu erkennen und auch zwei Tage nach den Ausschreitungen noch unklar. Die Steine sollen aus dem Gleisbett geholt worden sein. Die Aufnahmen lassen vermuten, dass die Steinewerfer sich auf der innenstadtnahen Seite des Bahnhofs aufhalten. Es soll sich nach Angaben einer Anwohnerin unter anderem um syrische Flüchtlinge handeln. Die Frau, die das sagt, hat das aber selbst nicht gesehen. Es habe Streitigkeiten um ein Mädchen gegeben. „Das habe ich gehört“, sagt sie.

Was die Polizei bislang sagen kann

Die Polizei kann die Herkunft der Steinwerfer noch nicht benennen. Erste Überprüfungen der Personalien hätten kein klares Bild ergeben. Die Aussage der Anwohnerin, dass es sich bei den Krawallmachern um syrische Flüchtlinge gehandelt haben soll, möchte sie aber auch nicht dementieren. „Das ist aber zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation, an der wir uns nicht beteiligen“, sagt Polizeichef Kühl. Die Stadt Peine lässt wissen, dass man zum jetzigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse darüber habe, dass es sich um syrische Flüchtlinge handele, die in Peiner Unterkünften registriert seien.

Was Dienststellenleiter Kühl dagegen mit Gewissheit sagen kann: Beide Seiten – die mutmaßlich aggressiven Flüchtlinge und die Anwohner, die in dieser Gegend der Peiner Südstadt oftmals kurdischen, türkischen und auch libanesischen Migrationshintergrund haben – hätten das Eintreffen der Polizei mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft quittiert. Ausgesprochenen Platzverweisen und sogenannten Gefährderansprachen sei nicht Folge geleistet worden. Stattdessen sei die Gewalt eskaliert. „Als der erste Polizeiwagen in der Südstadt ankam, flogen von allen Seiten Steine. Von überall“, betont er. Es sei glücklicherweise kein Beamter an diesem Abend verletzt worden. Es werde wegen Landfriedensbruch ermittelt. Dazu würden Anzeigen vorliegen.

Das ist die gute Nachricht. Schlechte gibt es mehr als genug. Noch konnten viele Tatbeteiligte nicht identifiziert werden. Es sei halt dunkel gewesen und in der Zeit, in der die attackierten Beamten Hilfe angefordert hätten, hätten sich womöglich viele vom Tatort entfernt. „Die, die man noch antrifft, sind oftmals nicht die eigentlichen Verursacher der Situation“, sagt Kühl. Man müsse noch Videomaterial auswerten. Davon erhofft man sich weitere Erkenntnisse.

Das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit habe gelitten. Polizeichef Kühl sagt: „Die Gewalt, die von dieser kleinen Gruppe ausging, ist nicht hinnehmbar.“ Es sei ein Phänomen, das sich aber nicht nur auf Menschen mit ausländischen Wurzeln oder gar Flüchtlinge reduzieren lasse. „Den zunehmenden Verlust an Akzeptanz bemerken wir vielerorts. Er ist in einem Rechtsstaat aber inakzeptabel.“

Auch deshalb demonstriert die Polizei am Sonntag Präsenz in dem Viertel. Man habe auf Hinweise einer Bewaffnung einzelner Gruppen reagiert. „Es war von Steinen und Baseballschlägern die Rede“, sagt Kühl. Die Hinweise seien glaubwürdig gewesen, hätten sich am Ende aber nicht bewahrheitet. „Daher war es richtig in der Folge der Ausschreitungen Straßen abzusperren und Personen, die nicht hier wohnen, die Zufahrt zu verweigern.“ Warum es zur Gewalt kam, ist der Polizei noch nicht bekannt. Zeugen hätten ausgesagt, die Gruppe der Flüchtlinge habe zuvor in dem Viertel unter anderem Autos beschädigt. Das werde überprüft. Ob es einen Zusammenhang mit einem Vorfall Stunden zuvor gibt, können die Polizisten auch nicht ausschließen. Beamte waren in die Peiner Wiesenstraße gerufen worden. Dort habe es einen Streit unter syrischen Flüchtlingen gegeben, bei dem ein Mann verletzt worden sei. Die Ermittlungen laufen.

Was Anwohner des Viertels sagen

In der Südstadt spürt man die Unsicherheit, die der Samstagabend ausgelöst hat. Beim türkischen Obst- und Gemüsehändler gibt man sich zugeknöpft. Zwei junge Männer sagen: „Bitte keine Fotos. Das war hier nicht.“ Vor dem Haus steht ein roter Seat. Die zerborstene Windschutzscheibe und die Splitter auf der Straße sprechen eine klare Sprache. Die Verkäuferin der örtlichen Bäckerei ist ebenfalls schockiert über die Vorfälle. Insbesondere die Ausrufe „Allahu Akbar“ stören sie. „Das war das Dümmste, was sie in diesen Zeiten machen konnten“, sagt sie. Dass die Sitten in der Südstadt nicht vollkommen verroht sind, wie viele derjenigen, die das Video jetzt verbreiten, glauben machen wollen, erklärt die junge Frau auch. Sie weist auf eine Männerstimme am Ende des Videos hin, die auf Türkisch sagt: „Warum warten die nicht auf die Polizei? Die sollen warten.“