Berlin. Im Saarland haben die Wähler gegen ein Linksbündnis gestimmt. Trotzdem kann die Kanzlerin nicht aufatmen.

Am Tag danach kann Martin Schulz wenigstens wieder lächeln: „Wir haben in den letzten Wochen zugelegt – und wir schauen nach vorne“, erklärt der SPD-Kanzlerkandidat am Montag im Willy-Brandt-Haus. Das unerwartete, schlechte Ergebnis bei der Landtagswahl im Saarland ist ein Dämpfer für den Vorsitzenden. Aber schnell einigt sich die Parteiführung auf die Parole „Zuversicht“: Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein im Mai seien die Ausgangsbedingungen viel besser.

Doch so einfach ist die Niederlage kaum wegzustecken, das wissen auch die SPD-Strategen. Das Wahlergebnis nährt nicht nur den Verdacht, dass der Umfrage-Höhenflug des Kanzlerkandidaten nicht dauerhaft ist. Schwerer wiegt das strategische Dilemma, das die Saarland-Wahl für den Bundestagswahlkampf der SPD offenlegt: Schulz braucht für die Mobilisierung eine Machtperspektive – aber die Aussicht auf eine SPD-Regierung unter Beteiligung der Linken, Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün, schreckt offenbar mehr Wähler ab als gedacht. Seit Montag steht die SPD ganz neu vor der Frage: Wie realistisch ist Rot-Rot-Grün?

Im Hintergrund knüpft der Kanzlerkandidat Fäden

In den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl hätte eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen überwiegend eine rechnerische Mehrheit. Im Saarland hatte Schulz überraschend deutlich ein Bündnis mit der Linkspartei in den Blick genommen. Mit deren Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine pflegt er einen guten Draht, im Wahlkampf lobte er die große Erfahrung des einstigen SPD-Vorsitzenden. Gemessen an der Verachtung, die Lafontaine in Teilen der SPD entgegenschlägt, war das eine Ehrenerklärung – offenkundig mit dem Kalkül, das Lafontaine Schulz den Weg ins Kanzleramt erleichtern könne.

Doch am Ende trieb die Angst vor einem Bündnis mit der Linken vor allem bürgerliche Wähler verstärkt zur CDU. Zielsicher hatte die CDU vor „rot-roten Experimenten“ gewarnt. „Als die SPD anfing, mit Rot-Rot zu flirten, und Martin Schulz grünes Licht dafür gab, ist die Stimmung gekippt“, sagt Wahlsiegerin Annegret Kramp-Karrenbauer. In einer internen Analyse für die SPD-Führung heißt es warnend, für die Hälfte der SPD-Anhänger im Saarland sei eine rot-rote Regierung nicht die beste Option gewesen.

Auch die Forschungsgruppe Wahlen kommt zu einem klaren Fazit: Die Aussicht auf Rot-Rot hat die SPD Stimmen gekostet. Forschungsgruppen-Vorstand Matthias Jung sagt dieser Zeitung: „Auch wenn man die Saarland-Wahl nicht eins zu eins auf den Bund hochrechnen kann, sie hat klar gezeigt: Die Warnung der CDU vor einem Linksbündnis mobilisiert viele der eigenen, bürgerlichen Wähler – und das ist in jedem Fall auf die Bundestagswahl übertragbar.“

Schon am Montagmorgen hat Schulz deshalb eine naheliegende Frage zu beantworten: Ist die Option Rot-Rot-Grün obsolet, wenn die Wähler sich so skeptisch zeigen? Muss der Kurs gegenüber der Linken korrigiert werden? Schulz hält sich weiter bedeckt. Er versichert, es gebe keinen Anlass für eine Kursänderung: „Rückschlüsse auf die gesamte Republik zu ziehen, wäre falsch“. Im Saarland habe es eine „spezifische Situation“ gegeben. Punkt. Damit bleibt für Schulz Rot-Rot-Grün eine Option im Bund.

Im Hintergrund knüpft der Kanzlerkandidat Fäden zu den möglichen Koalitionspartnern. Schulz hat sich in den vergangenen Wochen mit den Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, mit Grünen-Chefin Simone Peter und mit den Linke-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger getroffen. Gesprochen wurde über Themen und Strategien, auch über Persönliches.

Die Linke fordert von Schulz und den Grünen klare Kante. Heißt: ein Bekenntnis zu einem Wechsel. Also zu R2G, wie eine rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt genannt wird. Kipping warf der SPD vor, sich im Saarland zu ungenau zu Rot-Rot geäußert und damit die „Angstmache“ der Gegenseite bestärkt zu haben. Die Debatte macht auch klar, wie groß der Graben zwischen grün und links ist. So verlangt Göring-Eckardt von der Linken einen Kurswechsel in der Außen- und Europapolitik.

Was Riexinger mit diesem Satz quittiert: „Wenn Frau Göring-Eckardt immer und überall betont, was mit der Linken alles nicht geht, dann soll sie doch mal deutlich sagen, dass sie nur für Schwarz-Grün zur Verfügung steht.“ Das würde vermutlich Winfried Kretschmann gut gefallen. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg hatte vor der Saarland-Wahl dieser Zeitung gesagt: „Mit der Haltung von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht kann man die Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit nicht regieren.“ Doch seine Partei geht ohne Koalitionsaussage in die Bundestagswahl – und will diesen Kurs der Eigenständigkeit auch durchhalten. Festlegen will sich auch Schulz nicht. Eine Koalitionsaussage werde es zur Bundestagswahl nicht geben, das bekräftigt die SPD-Spitze am Montag. Aber Schulz spürt den Druck der Partei: In der SPD gebe es eine klare Mehrheit für Rot-Rot-Grün, heißt es im Umfeld des Kanzlerkandidaten. Und seine Aufgabe sei es, „den Laden zusammenzuhalten“.

Aber kann Schulz sich die Option eines Linksbündnisses überhaupt offenhalten, ohne Wähler abzuschrecken? Er selbst drängt die Linke zu einem Klärungsprozess – etwa bei ihrem Kurs in der Europa- oder Sicherheitspolitik. Andere in der SPD-Führung äußern sich hinter vorgehaltener Hand schon kritischer: Die Linke sei zerrissen und insgesamt nicht regierungsfähig, sagt einer aus der SPD-Spitze. Dennoch dürfe die SPD jetzt die Tür zur Linken nicht zuschlagen.

SPD sondiert auch Möglichkeit einer Ampel-Koalition

Der linke Flügel ist besorgt: Juso-Chefin Johanna Uekermann und der Chef der Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, erklärten umgehend, die Saar-Wahl sei keine Absage an Rot-Rot-Grün gewesen und lasse keine Rückschlüsse auf den Bund zu. Doch in der SPD-Spitze sondieren sie längst die Möglichkeiten einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP. Und wenn Schulz sein Ziel erreichen sollte, die SPD zur stärksten Partei zu machen, könnte er selbst ja auch eine große Koalition anführen.

Wahlforscher Jung sagt jedoch, bei der Bundestagswahl könne man erwarten, dass die Union stärkste Kraft werde – und nicht als Juniorpartner für einen Kanzler Schulz zur Verfügung stehen werde. Eine Ampelkoalition sei aus heutiger Sicht unrealistisch. „Für Schulz ist Rot-Rot-Grün deswegen von allen Optionen die am meisten realistische Koalition, um Kanzler zu werden“, sagt Jung. Schulz will von dieser Diskussion vorerst nichts wissen.

Bei den Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein wird die Linke wohl nur eine kleine oder gar keine Rolle spielen – dafür hoffen die Sozialdemokraten, dass die SPD-Ministerpräsidenten Hannelore Kraft und Torsten Albig ihren Amtsbonus so ausspielen können wie im Saarland CDU-Siegerin Kramp-Karrenbauer. Darauf gründet der Kanzlerkandidat seine Zuversicht. „Wahlkämpfe sind Dauerläufe, wir haben einen langen Atem“, sagt Schulz. Die Union, warnt er, „sollte sich nicht zu früh freuen.“