Braunschweig. Matthias Thöns kommt oft in einen Gewissenskonflikt. Das neue Sterbehilfe-Gesetz erschwert die Betreuung von Schwerstkranken mit Suizid-Absichten.

Immer wieder kommt Matthias Thöns in einen schweren Gewissenskonflikt. Patienten mit starken Schmerzen wenden sich an den Palliativmediziner, Patienten, denen das Leben zur Qual geworden ist. Der 50-Jährige würde ihnen gerne helfen, doch ihm sind die Hände gebunden, sagt er. Das neue Sterbehilfe-Gesetz mache die Betreuung von Schwerstkranken mit Suizid-Absichten unmöglich.

Matthias Thöns gehört zu jenen Beschwerdeführern, die gegen den Paragrafen 217 vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind. 13 Verfassungsbeschwerden liegen dem Gericht in Karlsruhe inzwischen vor. Es sind Ärzte und Organisationen, die sich um die Versorgung Schwerstkranker sorgen, aber auch Einzelpersonen – sie wollen selbst bestimmen können, ob sie einen ärztlich begleiteten Suizid durchführen. Der Anästhesist und Schmerztherapeut aus Witten hat deshalb Anfang März mit großem Interesse das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verfolgt, nach dem Patienten in Extremfällen ein Recht auf Verschreibung todbringender Medikamente haben. „Das wird unsere Position stärken“, sagt er.

„Die Betreuung von Schwerstkranken mit Suizid-Absicht ist nicht mehr möglich.“
„Die Betreuung von Schwerstkranken mit Suizid-Absicht ist nicht mehr möglich.“ © Matthias Thöns, Palliativmediziner aus Witten

Zugrunde lag der Fall der Braunschweigerin Bettina Koch, die nach einem Sturz vor ihrer Haustür vom Hals abwärts gelähmt und pflegebedürftig war. Weil sie dieses Leben als qualvoll und unwürdig empfand, beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein tödliches Medikament. Die Behörde verweigerte ihr jedoch das Mittel. 2005 nahm sich die damals 53-Jährige schließlich mit Hilfe des Schweizer Vereins Dignitas das Leben.

Das Betäubungsmittelgesetz schreibt bislang vor, dass der Erwerb eines Medikaments zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich nicht erlaubt ist. Dieses kategorische Nein darf es laut Bundesverwaltungsgericht künftig nicht mehr geben. Die Richter berufen sich dabei auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht: Wer schwer und unheilbar krank ist, muss selbst entscheiden können, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll – vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Folglich darf der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

Gemeinsam mit dem Schmerzmediziner Benedikt Matenaer hat Thöns für die Verfassungsklage Fälle aufgeführt, die dem Schicksal der Braunschweigerin Bettina Koch ähneln. Der Arzt berichtet von einem Mann mit Mundboden-Krebs. „Seine Schmerzen und die Atemnot habe ich gut lindern können“, sagt er. „Aber es blieb die Entstellung im Gesicht und der fürchterliche Gestank durch die Wunden.“ Der Patient sei so verzweifelt gewesen, dass er seinem Leben ein Ende bereiten wollte. Weil er nicht an die tödliche Menge eines Betäubungsmittels für den Suizid kam, habe er sich eine Gasflasche besorgt. „Ein Arzt muss doch Alternativen anbieten, damit solche Patienten sich und andere nicht gefährden“, sagt Thöns. „Sie dürfen in ihrer Not nicht allein gelassen werden.“

Über das Recht auf ein würdevolles Sterben wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Es ist ein sensibles Thema, das Politiker, Ärzte und Juristen gleichermaßen an ethische und rechtliche Grenzen führt. Wie selbstbestimmt darf ein Mensch über sein Leben entscheiden? Wie weit muss der Staat seine Bürger vor Missbrauch schützen?

Der neue Paragraf 217 war eines der umstrittensten und ethisch heikelsten Projekte dieser Legislaturperiode. 2015 hatte der Bundestag beschlossen, die „geschäftsmäßige“ Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Damit sollte Sterbehilfe-Organisationen wie Dignitas der rechtliche Boden entzogen werden. Doch inzwischen sind zunehmend auch Palliativmediziner verunsichert, jene Ärzte, die das Leid schwer kranker Menschen eigentlich lindern sollen – dazu kann auch gehören, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten oder bestimmte Mengen an Medikamenten verschreiben zu dürfen.

„Ich reibe mich am Wort geschäftsmäßig“, sagt Thöns. „Das kann auch so ausgelegt werden, dass Handlungen strafbar sind, die man wiederholt macht oder plant.“ Als Palliativmediziner komme man aber immer wieder in eine solche Situation.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei nun eine besonders kuriose Rechtslage in Deutschland entstanden: Patienten haben in Extremfällen zwar ein Recht auf den Erhalt todbringender Medikamente. Aber Ärzte, die diese verschreiben, drohen nach Paragraf 217 bis zu drei Jahre Haft.

Gegner einer liberaleren Sterbehilfe-Regelung fürchten, dass die Leipziger Richter die Tür zu einem vom Staat unterstützen Suizid geöffnet haben. „Staatliche Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden“, polterte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand mahnte: „Todbringende Medikamente per Verwaltungsakt darf es nicht geben.“ Auch die katholische Bischofskonferenz warnte vor einem „staatlich assistierten Suizid“.

Die Braunschweiger SPD-Abgeordnete Carola Reimann begrüßt dagegen, dass die Leipziger Richter die Selbstbestimmung von Patienten am Ende ihres Lebens gestärkt haben, das sei ein wichtiges Signal für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie gehört zu jener Gruppe von Politikern, die sich damals im Bundestag für eine verantwortungsvolle ärztliche Suizidbeihilfe unter strengen Voraussetzungen eingesetzt haben.

„Meine Motivation war immer, zu verhindern, dass sich verzweifelte Menschen an Sterbehilfevereine wenden müssen“, sagt sie. „Ich will, dass Menschen in großer Not sich ihrem persönlichem Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen können, weil er es ist, der sie fachlich am besten beraten kann.“ Die aktuelle rechtliche Lage zwinge Patienten dagegen dazu, in die Schweiz oder in die Niederlande zu fahren. Dort gibt es gesetzliche Regelungen, die ärztliche Sterbehilfe unter strengen Bedingungen ermöglicht. In der Schweiz ist Hilfe zum Suizid erlaubt.

Auch Thöns wird vorerst weiter leidende Patienten abweisen, wenn nur die Gefahr besteht, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen wollen. „Das ist zwar höchst selten, im Jahr kommt es vielleicht einmal vor“, sagt er. „Aber für einen Arzt ist das unerträglich.“