Salzgitter. Strahlenschützer entdecken den Stoff auch an einer Messstelle in Deutschland.

Unser Leser Hans-Joachim Brunke fragt:

Können die radioaktiven Teile aus einem Störfall stammen?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

In weiten Teilen Europas, von Norwegen bis nach Spanien, sind im Januar Spuren von radioaktivem Jod gemessen worden. Auch die Messstelle des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) in Freiburg konnte das Radionuklid in der bodennahen Luft nachweisen. Woher es stammt, können die Strahlenschützer nicht sagen.

Zumindest aber können sie einige Ursachen ausschließen. Dazu zählt auch ein Störfall in einem Kernkraftwerk. Unser Leser verweist auf einen Reaktor in Flamanville in Frankreich, der nach einer Explosion auf dem Gelände des Kraftwerks außerhalb des Reaktorbereichs vor einigen Wochen heruntergefahren wurde.

„Kernkraftwerke verfügen nicht nur über eine Überwachung der Abluft, sondern überwachen auch die Umgebung auf künstliche Radionuklide“, erklärt BfS-Sprecherin Monika Hotopp auf Anfrage unserer Zeitung. Darüber hinaus sei kein realistisches Szenario vorstellbar, bei dem aus einem Kernkraftwerk ausschließlich Jod-131 entweichen würde. Bei einem Strahlenunfall wären auch andere radioaktive Stoffe wie Cäsium nachweisbar.

Die Deutsche Presseagentur berichtet über Spekulationen, dass Russland auf der Doppelinsel Nowaja Semlja im Nordpolarmeer einen nuklearen Sprengsatz getestet haben könnte. Das solle nun über Messungen in der Atmosphäre mit Hilfe eines Spezialflugzeuges ermittelt werden.

Doch auch dieses Szenario ist laut Einschätzung des BfS extrem unwahrscheinlich. „Die CTBTO (Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen) betreibt ein weltweites Messnetz mit seismischen, hydroakustischen und Infraschallmessstationen – diese würden eine derartige Sprengung nachweisen. Man würde dann auch andere Radionuklide messen, dies ist jedoch nicht der Fall.“

Doch woher stammt dann das radioaktive Jod? „Es wird auch in der Medizin verwendet (zum Beispiel in der Schilddrüsendiagnostik und -therapie) und dafür gezielt hergestellt“, erklärt BfS-Sprecherin Hotopp. Es könnte sich also um die Spuren von Radiopharmaka handeln.

Tatsächlich erinnert der Nachweis von Jod-131 an europäischen Messstationen an einen ähnlichen Vorfall im November 2011. „Als Quelle konnte damals ein Hersteller von Radiopharmaka im Ausland identifiziert werden“, so Hotopp.

Sicher ist dies im aktuellen Fall allerdings nicht, und die Rückverfolgung zur Quelle ist beim Jod schwierig. Denn das Radionuklid hat eine kurze Halbwertszeit von lediglich acht Tagen. Die hochempfindlichen Spurenmessgeräte brauchen für die Probensammlung zum Nachweis extrem niedriger Konzentrationen etwa eine Woche. „Ohne zusätzliche Informationen, beispielsweise Meldungen an die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA, ist in diesem Fall eine Quellenidentifikation unmöglich“, sagt BfS-Sprecherin Hotopp. Wie gut sich die Jod-Spuren zu ihrem Ursprungsort zurückverfolgen lassen, hänge außerdem stark vom Wetter ab. Bei kräftigem Wind würden die Stoffe schnell verdünnt und seien dann bald nicht mehr nachweisbar.

Denn letztlich handelt es sich um extrem geringe Mengen, die mit den Spurenmessgeräten gefunden wurden. Im aktuellen Fall geht es um Aktivitäten von millionstel Becquerel pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: Die Aktivität des natürlichen radioaktiven Kalium-40 in einer Banane beträgt etwa 15 Becquerel. Entsprechend müssten die Messwerte um ein Millionenfaches höher sein, um in den Bereich gesundheitlicher Auswirkungen zu kommen.