Johannesburg. . Der Krisen-Kontinent leidet. Die Vereinten Nationen appellieren: Wenn wir jetzt nicht handeln, ist eine Tragödie sicher.

So viele Hungersnöte gleichzeitig gab es noch nie. Nigeria, Südsudan, Äthiopien, Somalia, Kenia und der Jemen drohen in einer humanitären Katastrophe zu versinken. Im kommenden halben Jahr könnten bis zu 20 Millionen Menschen der Hungerkrise zum Opfer fallen, warnen Hilfsorganisationen.

Wo ist die Krise am schlimmsten?

„Wir können nicht zusehen, wie die Menschen verhungern.“
„Wir können nicht zusehen, wie die Menschen verhungern.“ © Gerd Müller (CSU), Bundesentwicklungsminister

Hungerkrise in Afrika

Am größten ist die Not im Nordosten Nigerias. Dort sind 8,2 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Im kommenden halben Jahr könnten bis zu 20 Millionen Menschen der Hungerkrise zum Opfer fallen, sagt der Chefökonom des Weltgesundheitsprogramms (WFP), Arif Husain. „Die Lage ist schrecklich“, warnt UN-Generalsekretär Antonio Guterres. „Wenn wir jetzt nicht handeln, ist eine Tragödie sicher.“

In mehreren Distrikten des Südsudans rief die UN Anfang der Woche eine Hungersnot aus. In dem jüngsten Staat der Welt sind derzeit 4,9 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Kaum besser sieht es am Horn von Afrika – vor allem in Somalia, aber auch in Äthiopien und Kenia – aus: Dort sind laut WFP mehr als elf Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Auch am Tschadsee, an den der Niger, Kamerun, der Tschad und der Nordosten Nigerias grenzen, herrscht akute Nahrungsmittelknappheit.

Was sind die Ursachen?

Fast alle Hungerkrisen wurden – einschließlich des Bürgerkriegs im Jemen – von Menschen ausgelöst: Sie sind weniger dem Klima zuzuschreiben. Sie gehen vor allem auf das Konto von Kriegen oder Terror-Feldzügen islamistischer Extremisten wie Boko Haram im Nordosten Nigerias. So tobt im Südsudan seit mehr als drei Jahren ein Bürgerkrieg, bei dem es um einen Machtkampf führender Politiker, aber auch um miserable Regierungsführung und ethnische Spannungen geht. Durch die Kämpfe wurden mehr als drei Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.

Zuletzt hatte es 2011 in Somalia eine Hungersnot gegeben, der 260 000 Menschen zum Opfer fielen. Nach der Definition der UN herrscht dann eine Hungersnot, wenn täglich zwei von 10 000 Menschen wegen Unterernährung sterben und 20 Prozent der Bevölkerung Mangelerscheinungen aufweisen.

Anders als im Südsudan und am Tschadsee ist die Katastrophe, die sich am Horn von Afrika anbahnt, vor allem auf die seit Jahren ausbleibenden Regenfälle zurückzuführen. Experten sprechen von der schlimmsten Dürre seit einem halben Jahrhundert. Für sie wird außer dem Wetterphänomen El Niño auch die Klimaerwärmung verantwortlich gemacht. Kenia hat bereits den Notstand über die besonders betroffenen Regionen im Nordosten des Landes ausgerufen: Dort sind nach UN-Angaben 2,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Wegen der drastisch angestiegenen Lebensmittelpreise ist allerdings die gesamte Bevölkerung Kenias von der Dürre in Mitleidenschaft gezogen.

In Kenias Nachbarland Somalia könnte sich die Trockenheit nach Einschätzung der Kinderhilfsorganisation Save the Children noch „weitaus verheerender auswirken als die Hungersnot im Jahr 2011“. Schon jetzt litten mehr als 350 000 Kinder unter Mangelernährung: Ihre Zahl werde im Laufe der kommenden Monate auf eine Million ansteigen. Insgesamt seien am Tschadsee, im Südsudan, am Horn von Afrika sowie im Jemen 1,4 Millionen Kinder vom Hungertod bedroht, meldet das UN-Kinderhilfswerk Unicef.

Fabian Böckler, der ab April das Programm von Plan International in der Tschadsee-Region leitet, erklärt: „Die Not der Menschen in der Region ist vielschichtig. Sie leiden an Krieg, ihre Region wurde über viele Jahre von staatlicher Infrastruktur abgeschnitten, der Klimawandel dörrt die Böden für Landwirtschaft aus. So ist der für die Wirtschaft und Ernährung der Region lebenswichtige Tschadsee dabei, auszutrocknen.“

Was unternimmt Deutschland?

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagt dieser Redaktion: „Wir können nicht zusehen, wie die Menschen verhungern. Es muss doch möglich sein, weltweit fünf Milliarden Euro Nothilfe zur Stabilisierung der Lage aufzubringen.“ Laut Müller trägt das Bundesentwicklungsministerium zur Milderung der Hungerkrise in Ostafrika 2017 rund 100 Millionen Euro bei.

Andere Staaten müssten sich anschließen. „Die Dimension der Herausforderung ist riesig, wir brauchen auch dringend zusätzlich private Spenden“, so Müller. Daneben seien die afrikanischen Staaten gefragt, wenn es darum gehe, Bürgerkriege auf Kosten der eigenen Bevölkerung zu beenden.

Die Gelder dienen dazu, die notleidende Bevölkerung direkt mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Dafür unterstützt Deutschland etwa das Welternährungsprogramm oder die Deutsche Welthungerhilfe. Außerdem investiert man in die Landwirtschaft, etwa durch klimaresistentes Saatgut, was Dürren besser übersteht und langfristig bessere Erträge bedeutet.

Nach Auskunft eines Sprechers des Entwicklungsministeriums hat die Bundesregierung die direkte Zusammenarbeit mit der südsudanesischen Regierung ausgesetzt. Die südsudanesische politische Elite trage maßgeblich dazu bei, dass sich die humanitäre Krise ausweite.

Was tut die Welt?

Zu wenig, sagen die Vereinten Nationen. Es gebe eine Müdigkeit der Geberländer. Um alleine den Südsudan, Somalia, Jemen und Nigeria dieses Jahr zu unterstützen, würden mehr als 5,6 Milliarden Dollar gebraucht – mindestens 4,4 Milliarden bis Ende März. Bislang seien aber nur 90 Millionen Dollar eingegangen, kritisiert die UN.

Verschärft sich die Flüchtlingskrise?

In sämtlichen afrikanischen Brennpunkten kam es sowohl wegen der Kriegshandlungen wie wegen des Hungers zu starken Flüchtlingsbewegungen: Allein in der Region um den Tschadsee haben 2,6 Millionen Menschen ihre Heimat verloren. Wie im Südsudan mit seinen drei Millionen Vertriebenen suchen die meisten Opfer von Hungersnöten und Kriegen Zuflucht in den Nachbarländern: Dass durch die gegenwärtigen Tragödien auch die Wanderungsbewegungen nach Europa zunehmen, gilt als ausgeschlossen. Mehr als 93 Prozent aller afrikanischen Flüchtlinge suchen Schutz auf dem eigenen Kontinent. Sie strömen vor allem in die Nachbarländer. Von der kostspieligen Migration in den gelobten Kontinent Europa können nur die wenigsten träumen.

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: Ende der Gleichgültigkeit