Braunschweig. Der Kinderarzt Uwe Kranz will nicht riskieren, dass Kinder sich in seinem Wartezimmer mit Masern oder anderen Infektionskrankheiten anstecken.

Unsere Leserin Denise Oen fragt auf unserer Facebook-Seite:

Warum soll man gegen Tetanus impfen lassen? Wenn es vorher etwas bringen kann, wieso wird es dann akut nachgeimpft?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Knapp jeder dritte Erwachsene in Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren keine Tetanus-Impfung erhalten. Das ergab die Studie zur Gesundheit Erwachsener des Robert-Koch-Instituts (RKI). Da eine Tetanus-Impfung alle zehn Jahre aufgefrischt werden muss, entscheidet sich so mancher Erwachsener nach einer Verletzung, doch lieber sicherzugehen und sich nachträglich impfen zu lassen.

Tetanus wird durch das Bakterium Clostridium tetani ausgelöst. Dessen Sporen sind sehr widerstandsfähig und kommen daher überall vor: in Staub, Gartenerde, Sandkästen. Gelangen die Sporen in eine Wunde, können sich die Bakterien vermehren und dabei diverse Giftstoffe produzieren. Erste Symptome sind unter anderem Kopfschmerz, Schwindel, Gliederzittern, Muskelschmerzen und Schweißausbrüche. Das auffälligste Spätsymptom ist die Kieferklemme: Der Mund kann nicht mehr geöffnet werden, die Gesichtsmuskeln verkrampfen. Der dabei entstehende Gesichtsausdruck wird als Teufelsgrinsen bezeichnet.

Ansteckung

Schließlich verkrampft die gesamte Rückenmuskulatur, teils bis zum Bruch einzelner Wirbel, weswegen die Krankheit auch Wundstarrkrampf genannt wird. Unbehandelt führen die Krämpfe zu einem tödlichen Atemstillstand. Selbst bei intensivmedizinischer Behandlung endet die Erkrankung bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen tödlich.

„Durch eine Impfung wird im Voraus ein Schutz gegen die Bakterien aufgebaut. Bei Kontakt feuert das Immunsystem aus allen Rohren“, erklärt RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher. Doch auch nachträgliches Impfen kann den Wundstarrkrampf verhindern. „Die Bakterien brauchen einige Zeit, um sich zu vermehren. Wird während dieser Inkubationszeit geimpft, kann sich der Immunschutz noch rechtzeitig aufbauen“, so Glasmacher. Darüber hinaus gibt es eine sogenannte passive Impfung mit Immunoglobulinen, künstlich hergestellten Antikörpern gegen die Bakterien, die während der Infektion gespritzt werden können.

Ist die prophylaktische Impfung also verzichtbar? „Das wäre ein unnötiges Risiko“, stellt Glasmacher klar und erläutert: „Gerade bei Bagatellfällen wird selten ein Arzt aufgesucht. Aber schon kleinste Ritzer können zu einer Tetanus-Infektion führen.“ Dafür gibt es auch in Deutschland durchaus Beispiele, wie das RKI anführt. Im Juni 2007 starb eine 86 Jahre alte Frau in einer Klinik in Heidelberg an den Folgen einer Tetanus-Erkrankung. Sie hatte sich bei der Gartenarbeit den Unterarm aufgeschürft.

Kind darf ungeimpft in Braunschweiger Kita

Hintergrund der Frage unserer Leserin ist der Fall eines zweijährigen Jungen aus Braunschweig, dem ein Kita-Platz verwehrt wurde, weil er nicht gegen Tetanus geimpft ist (wir berichteten). Mittlerweile hat die Awo den Eltern den Kita-Platz für ihren Sohn aber zugesichert. „Es gibt keine Impfpflicht in Deutschland. Eine Ablehnung wäre juristisch nicht durchzuhalten“, sagt Ulf Kelchheuser, Fachberater Kindertagesstätten beim Awo-Bezirksverband Braunschweig. Die Mutter des Jungen reagierte gestern auf eine Anfrage unserer Zeitung nicht.

In dem Fall ging es um die Impfung gegen den nicht ansteckenden Wundstarrkrampf. Da die Eltern aber keinen Impfpass für ihren Sohn vorlegen konnten, ist es möglich, dass er auch keine anderen Impfungen erhalten hat. Das findet Uwe Kranz, Obmann der Kinderärzte in Braunschweig, besonders bedenklich: „Gerade die Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln sind elementar.“ Und da schneide Deutschland im internationalen Vergleich alles andere als gut ab: „Wir sind Mitschuld, dass es nicht gelingt, die Masern auszurotten“, sagt der Kinderarzt.

Tatsächlich gibt es immer wieder Masern-Ausbrüche in Deutschland. Allein in Berlin erkrankten 2015 mehr als tausend Menschen an der extrem ansteckenden Krankheit, die häufig als ungefährliche Kinderkrankheit verharmlost wird. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO starben 2013 weltweit knapp 150 000 Menschen an Masern, 23 000 mehr als im Vorjahr.

Herdenimmunität: Impfungen schützen auch andere

Dabei verfolgt die WHO das Ziel, die Krankheit bis 2020 auszurotten. Dafür wäre aber eine Impfquote von 95 Prozent notwendig. Trotz Verbesserungen in den vergangenen Jahren liegt die Quote bei der Einschulung aber noch immer bei unter 93 Prozent. Dass es möglich ist, eine Infektionskrankheit vollständig auszurotten, zeigt das Beispiel der Pocken. Seit 1980 gibt es das Virus nur noch tiefgefroren in Forschungslaboren.

Ein Effekt einer hohen Impfquote ist die Herdenimmunität. Sie schützt Menschen, die selbst nicht geimpft werden können oder deren Immunsystem durch bestimmte Krankheiten oder medizinische Behandlungen geschwächt ist. Eine große Zahl Geimpfter bilden um derartig gefährdete Menschen eine Art immunologischen Schutzwall. Bei geringen Impfquoten ist der Wall löchrig, und Ungeschützte haben ein höheres Infektionsrisiko.

Daher hält Kinderarzt Uwe Kranz es für falsch, ungeimpfte Kinder in Kitas aufzunehmen. „Sie stellen eine Gefahr für andere dar, zum Beispiel für kleine Kinder, die noch keinen vollen Impfschutz aufgebaut haben.“ In einer solidarischen Gesellschaft trügen Eltern nicht nur Verantwortung für ihre Kinder, sondern auch für andere.

Kranz ist da konsequent: „Wenn Eltern mir sagen, dass sie ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, müssen sie sich einen anderen Kinderarzt suchen. Ich behandle sie dann nicht, denn ich habe eine Verantwortung gegenüber den anderen Kindern in meiner Praxis.“ Der Kinderarzt hält eine Impfpflicht für gerechtfertigt. „Das gilt auch für Tetanus. Das ist zwar nicht ansteckend, aber es ist eine unnötige Erkrankung, vor der eine Impfung schützen kann.“

Impfskeptiker führen häufig Impfschäden als Grund für ihre Ablehnung an. Tatsächlich treten bei Impfungen in extrem seltenen Fällen schwere Nebenwirkungen auf. „Impfschäden gibt es in einem von 1,3 Millionen Fällen. Und dann übernimmt der Staat die Haftung“, sagt Uwe Kranz.

Bei den Masern hingegen erkrankt einer von tausend Infizierten an einer schweren Entzündung des Gehirns, die häufig tödlich verläuft oder bleibende Hirnschäden hinterlässt.