Wolfsburg. Doch zumindest in den USA werden die VW-Manager wohl nicht belangt – Deutschland liefert dorthin nicht aus.

Unser Leser Michael Koch-Körtg schreibt:

Einige haben betrogen, das muss geahndet werden! Aber nicht die Unbeteiligten sollten dafür zahlen.

Dazu recherchierte Christina Lohner

Der Abgas-Betrug ist nicht das Werk eines „gesichtslosen“ Weltkonzerns, wie Sally Yates von der US-Generalstaatsanwaltschaft unmissverständlich klarstellt: „Zu dieser Verschwörung gehörten Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre Funktion bei Volkswagen nutzten, um sowohl Behörden als auch Kunden zu betrügen“, sagt sie bei der Pressekonferenz des US-Justizministeriums zum 4-Milliarden-Vergleich mit dem VW-Konzern. Die Namen von sechs Managern liefern die Behörden gleich mit. Und sie sollen nicht die Letzten sein, die die US-Ermittler zur Rechenschaft ziehen wollen.

Ihren Ursprung hat die Manipulation von Abgaswerten demnach im Jahr 2006, als VW-Ingenieure begannen, einen neuen Dieselmotor zu entwickeln, der den strengeren US-Vorschriften gerecht werden sollte. Das Justizministerium stützt sich dabei auch auf Erkenntnisse der US-Kanzlei Jones Day, die der VW-Aufsichtsrat mit der Aufklärung des Betrugs beauftragt hat.

Fast zehn Jahre lang hinterging Volkswagen also die US-Behörden. Diese lange Zeit scheint die Amerikaner besonders zu wurmen, immer wieder betonen die Behördenvertreter die Dauer der „Verschwörung“, wie sie es nennen. Sachlich tragen sie ihre schweren Vorwürfe gegen den deutschen Autobauer vor, live übertragen im Internet. Doch aus ihrem Stolz machen sie keinen Hehl. Dass hier ein Exempel statuiert werden soll, zeigt nicht nur die historisch hohe Strafe – zwölf hochrangige Behördenvertreter betreten nacheinander die Bühne des Presseraums und scharen sich um die beinahe freundlich wirkende Ministerin Loretta Lynch.

Mit den Beschuldigten geht sie dennoch hart ins Gericht. Lynch spricht von ungeheuerlichen Gesetzesverstößen und kündigt an, trotz des Vergleichs weiter gegen die Beteiligten zu ermitteln. Sechs der mutmaßlichen Täter sind bereits identifiziert, sie kommen aus dem gehobenen und dem Top-Management. Am weitesten oben in der Hierarchie steht der frühere VW-Entwicklungschef und Markenvorstand Heinz-Jakob Neußer. Er war nach Bekanntwerden des Betrugs beurlaubt worden. Auch der am Wochenende verhaftete frühere Leiter einer Abteilung, die in den USA für die Einhaltung von Umweltvorschriften verantwortlich war, ist darunter.

Zwei der übrigen Beschuldigten arbeiteten in der Motorenentwicklung: der eine als Leiter der Abteilung, der andere als Chef der Abteilung für Abgasnachbehandlung. Letzterer führte auch das Team von Ingenieuren, das den ersten Dieselmotor für die strengeren US-Vorgaben entwickelte. Die beiden übrigen waren im Bereich Qualitätsmanagement und Produktsicherheit tätig, der eine in leitender Funktion, der andere bereits seit 1990 – und 2015 ein halbes Jahr lang als Verbindungsmann zwischen VW und den Aufsichtsbehörden.

Ein weiterer wunder Punkt für die Amerikaner: die Vertuschung, als die Behörden dem Autobauer bereits auf der Spur waren – und das ausgerechnet bei den als „Clean Diesel“ beworbenen Wagen. Neußer und der leitende Qualitätsmanager wurden laut der Klageschrift 2012 von Ingenieuren über die Funktionsweise der Betrugs-Software informiert. Daraufhin sollen sie angeordnet haben, das Dokument mit der Erklärung zu löschen. 2014 verbesserten die Ingenieure die Software dann offenbar sogar noch einmal – im selben Jahr, als der „International Council on clean Transportation“ (ICCT) seine Studie veröffentlichte. Bis zu 40 Mal so viel Stickoxid wie erlaubt, stießen die Volkswagen aus.

Die Beschuldigten erklärten das gegenüber den Behörden mit technischen Problemen. 18 Monate lang täuschten die VW-Manager die Amerikaner weiter. Dafür muss nun der ganze Konzern mit einer weiteren Milliardenzahlung büßen. Volkswagen hat infolge des Skandals bereits einen massiven Stellenabbau von weltweit 30 000 Arbeitsplätzen in den nächsten Jahren angekündigt. Was unser Leser ungerecht findet, ist eine Besonderheit im US-Recht. „In Deutschland gibt es keine Strafbarkeit des Unternehmens“, sagt Professor Winfried Huck, der an der Ostfalia-Hochschule internationales Wirtschaftsrecht lehrt.

Einer der sechs Beschuldigten sitzt seit einigen Tagen in Haft, nachdem er auf einer Urlaubsreise festgenommen wurde. Ob die anderen tatsächlich belangt werden, ist allerdings sehr fraglich. Denn Deutschland liefert seine Staatsangehörigen nicht an die USA aus, so steht es im Grundgesetz. Ausnahmen sind nur bei EU-Ländern oder an einen internationalen Gerichtshof möglich. Die Betroffenen dürften sich nun gründlich informieren, welche Länder sie künftig noch bereisen. Denn andere Länder haben durchaus solche Vereinbarungen mit den USA. Die Amerikaner selbst wiederum können nach Deutschland ausliefern, wie die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig erläutert.

Das heißt jedoch nicht, dass die Täter nicht vor einem deutschen Gericht erscheinen müssen. Auch die Staatsanwaltschaft beschuldigt wegen des Abgas-Betrugs bisher 21 VW-Mitarbeiter. Die deutschen Ermittler dürften die nun in den USA Beschuldigten längst kennen. Aufgrund des Persönlichkeitsrechts nennen sie hierzulande aber noch keine Namen.

Anders im Fall von Martin Winterkorn, den die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Marktmanipulation im Visier hat. Denn bei ihm handelt es sich als Ex-Konzernchef um eine Person der Zeitgeschichte. Sowohl die deutschen als auch amerikanischen Ermittler versuchen weiterhin herauszufinden, ab wann der Konzernvorstand vom Betrug wusste.

Das interessiert auch den Untersuchungsausschuss des Bundestages, wo Winterkorn nächste Woche vernommen werden soll. Sein Anwalt hat sein Kommen dem „Handelsblatt“ bereits zugesagt. Auch der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke) rechnet fest damit – und mit einer Aussage. Selbst belasten müssen sich die Zeugen nicht. Doch würde Winterkorn von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, würde er damit gleichzeitig eine Mitschuld eingestehen.

Auch mit einer Krankmeldung könnte er den Abgeordneten nicht entwischen, wie Behrens erklärt. Einen Zeugen, der sich schon zweimal kurzfristig krankgemeldet hat, vernehmen sie demnächst an seinem Wohnort.