Braunschweig. Mit einem riesigen Betrugssystem hat Moskau offenbar jahrelang Sportbetrüger hofiert. Wir haben Athleten und Funktionäre aus der Region dazu befragt.

Unser Leser Wolfgang Ringel aus Braunschweig fragt:

Doping ist nicht nur ein russisches Problem. Könnte es nicht sein, dass sich in diesen ganzen Berichten eine russlandfeindliche Haltung ausdrückt?

Die Antwort recherchierten Hans-Dieter Schlawis und Daniel Mau

Rekorde, Startgelder, Gehälter, Marketing, TV-Rechte – mit dem Spitzensport werden Milliarden umgesetzt und verdient – von Sportlern, Trainern, Unternehmen, Verbänden wie dem IOC. Dass viele Mitwirkende des weltweiten Spektakels fast alles tun, um ein Stück von diesem Kuchen abzubekommen, dürfte kaum überraschen. Deshalb wäre es falsch, allein russische Athleten als Dopingsünder anzuprangern.

Schauen wir nur einmal, wie viele Medaillengewinner bei Olympischen Sommer- und Winterspielen bisher erwischt worden sind und ihre Medaillen wieder abgeben mussten. 115 Mal Gold, Silber oder Bronze, so hat die „Zeit“ unlängst errechnet, sind wegen erwiesenen Dopings aberkannt worden. 26 Medaillen – darunter 5 Mal Gold – gingen auf das Konto von russischen Athleten. Dann folgen die USA mit 11 Medaillen (7 Gold).

Auch Deutschland taucht auf. Das Springreiter-Team musste 2004 Gold abgeben, weil das Pferd des Fahnenträgers Ludger Beerbaum unerlaubt medikamentiert worden war. 2000 fand man beim siegreichen Ringer Alexander Leipold Nandrolon im Urin. Die DDR dopte indessen so clever – ihre Medaillen sind alle noch gültig. Heißt das, in der DDR wurde nicht gedopt? Im Gegenteil. Das Staatsdoping wurde nach und nach aufgedeckt, Opfer meldeten sich zu Wort – wie in Russland.

„Das Bild ist noch einmal klarer geworden, aber geschockt bin ich nicht“, sagt Leichtathlet Sven Knipphals, Olympia-Teilnehmer des VfL Wolfsburg. Staatsdoping in Russland sei schon im ersten Bericht belegt worden, der kurz vor den Olympischen Spielen in Rio veröffentlicht wurde.

„Ich bezweifle aber ganz stark, dass es nur Russland ist, wo in großem Stil gedopt wird“, sagt auch der Sprinter. Die Leistungsentwicklung in so vielen Disziplinen sei merkwürdig und in ihrem Tempo bei vielen Sportlern nicht nachvollziehbar.

Wolf-Rüdiger Umbach, der Präsident des Landessportbundes Niedersachsen, ist geschockt über das Ausmaß des Staatsdopings in Russland. „Das ist ganz schlimm für den Sport und den Fairplay-Gedanken. Vor allem für die Athleten, die sauber sind, sind solche Enthüllungen eine Katastrophe“, sagt Umbach. Er hatte nach dem Ende der DDR eigentlich gedacht, dass solche Formen des massiven Staatsdopings im Sport nicht mehr möglich sind. „Das IOC hat bei den Olympischen Spielen die Chance verpasst, ein Zeichen zu setzen und die russische Mannschaft komplett zu sperren. Es war nicht in Ordnung, diese Entscheidung auf die Fachverbände abzuwälzen. Da bin ich von IOC-Präsident Thomas Bach sehr enttäuscht.“

Der ehemalige Biathlon-Weltmeister Arnd Peiffer aus Clausthal-Zellerfeld warnt indes vor einer Vorverurteilung: „Man muss aufpassen, dass man nicht allen Russen gegenüber skeptisch wird. Man muss abwarten, was bewiesen ist.“ Es dürfe nicht das Bild suggeriert werden, der Sport sei total verseucht. „Das glaube ich nicht. Sonst könnten wir uns das Ganze sparen.“