Braunschweig. Auf dem Parkplatz der „Roten“, bei der Demo der Ausgesperrten und natürlich am Stadion gab es gestern jede Menge zu tun.

Sonntags ist hier eigentlich gar nichts los. Hinter dem Industriegebiet der Hansestraße, bei der Brücke, die über den Hafen führt, kurz vor der „Braunschweiger Aue“. Der Satz von dem Fuchs und dem Hasen, die sich hier gute Nacht sagen – er würde passen.

Heute ist alles anders. Es ist Derby-Zeit. Und hier an der Christian-Pommer-Straße liegt heute womöglich einer der bestbewachten Parkplätze der Republik. Eintracht gegen 96, die Blau-Gelben erwarten die Roten, und die Polizei rund 900 Gästefans, die sich mit dem Auto auf den Weg gemacht haben.

Die Beamten, die an diesem besonderen Spieltag Dienst schieben, kommen aus ganz Niedersachsen. Den PKW-Parkplatz bewachen Kräfte der Lüneburger Bereitschaftspolizei, aber auch Göttinger Beamte sind vor Ort. Sie haben sich schon weit vorher an der Straße postiert, einzelne Fahrzeuge picken sie heraus, fragen, wohin die Reise gehen soll. Fahrer mit Kennzeichen aus Hannover oder mit einer auffälligen Zahlenkombination, in der die 96 vorkommt, werden schon an der Autobahnabfahrt Hansestraße über die Möglichkeit der Nutzung eines gesonderten Parkplatzes informiert. Die Polizei ist, wie der stellvertretende Braunschweiger Polizeipräsident und Einsatzleiter Roger Fladung schon im Vorfeld der Partie erklärte, auf „alles vorbereitet“.

Dass dies auch bitter nötig ist, zeigte der Vorfall am Freitagabend in Hildesheim. Dort hatten sich offensichtlich Hooligan-Gruppen beider Lager zu einer sogenannten „Dritten Halbzeit“ verabredet. Die Polizei bekam davon Wind. Sie nahm zunächst 170 Personen fest. Es folgten weitere Betretungsverbote für Teile der Stadt Braunschweig, mehr als die Hälfte der Personen wurde per richterlichem Beschluss zu einem Langzeitgewahrsam verdonnert. Sie sollen alle der gewaltbereiten 96-Fußballszene angehört haben. Erst nach Spielende gestern kamen sie auf freien Fuß. Die Gerichte in Hannover und Braunschweig mussten am Samstag daher Extraschichten einlegen.

9.45 Uhr , Christian-Pommer-Straße

Peter Matschi von der Braunschweiger Autobahnpolizei ist einer der ersten, den man auf dem Parkplatz antrifft. Er fährt an diesem Tag eines der Motorräder, welche die Busse der Braunschweiger Verkehrs GmbH begleiten. Hinter Matschis Motorrad sichert ein weiteres Einsatzfahrzeug vor dem Bus und eines dahinter den reibungslosen Transfer der Gäste aus der Landeshauptstadt zum Stadion. „Die Strecke ist ja bekannt, aber im Notfall müssen wir auch kurzfristig die Route ändern können“, sagt Matschi. Er nimmt einen Zug am Zigarillo und zieht sich die Jacke nach oben, so dass er ein wenig mehr Schutz vor Wind und einsetzendem Regen hat. „Mann, so kalt habe ich das heute nicht erwartet“, sagt er. Noch muss sich Matschi in Geduld üben. Erst zwei Autos haben sich zu diesem Zeitpunkt auf den weitläufigen Platz verirrt. Ein dritter Wagen fährt jetzt hinzu. Die Scheiben sind runtergekurbelt. „Ey, dass ihr mir schön auf meinen Wagen aufpasst“, ruft der Fahrer Matschi und dessen vorgesetzten Kollegen zu. „Natürlich. Kostet aber fünf Euro.“ Es wird noch geflachst.

10.30 Uhr, PKW-Parkplatz

Die Shuttle-Busse sind da, vorher fuhr ein Konvoi dunkler VW-Siebensitzer auf den Parkplatz. Es sind Ordner aus Hannover. Eigentlich ist ihr Arbeitsplatz die HDI-Arena, was deutlich markiert auf ihren neongelben Jacken zu lesen ist. Auch Mitglieder des Stadiondienstes aus Braunschweig sind vor Ort. Sie tragen neon-orange Westen.

Maxi und Leon stehen vor dem Parkplatz. Was sie von den anderen unterscheidet: Sie sind mit ihrer Fahne deutlich als Anhänger von Hannover 96 zu erkennen. Die anderen Mitstreiter sind bei der Wahl der Utensilien zurückhaltender. Bei dem einen oder anderen lugt etwas Grün-Schwarz-Weißes aus der Jacke hervor. Bei anderen ist das T-Shirt, das deutlich die Abneigung gegenüber dem heutigen Gegner zeigt, allerdings unter dicken schwarzen Jacken versteckt. Die Schuhe klassisch: „adidas“ oder „New Balance“.

Leon und Maxi unterscheidet noch etwas: Sie sind wesentlich jünger als die anderen Gäste-Fans, die sich mittlerweile eingefunden haben. Auf die Frage, ob sie selbst gefahren sind, antwortet Leon: „Na klar. Gerade aus der Probezeit raus.“ Beide fahren mit dem ersten Shuttle zum Stadion. Am Ende des Tages nutzen etwa 200 „Rote“ das Angebot.

11 Uhr, Fanmarsch zum Stadion

Im Östlichen Ringgebiet setzt sich der genehmigte Fanmarsch in Bewegung. Rund tausend Eintracht-Fans sind dabei, die Polizei hatte mit weniger gerechnet. Die Teilnehmer protestieren gegen Betretungsverbote bei Fußballspielen und bekunden ihre Solidarität mit jenen 144 Fans, die vor dem Derby von der Polizei die „Rote Karte“ erhalten hatten, unter ihnen auch 53 Anhänger aus Hannover. Sie waren in der Vergangenheit bei Fußballspielen straffällig geworden. Deshalb hatte die Polizei gegen sie sogenannte Aufenthalts- und Betretungsverbote verfügt, die für den Spieltag gelten. Tabu sind Hauptbahnhof, Innenstadt und Stadion. Kritisiert wurde, dass viele der Straftaten schon Jahre zurückliegen und die nun ausgesprochenen Verbote überzogen seien. „Fußball-Fans sind keine Straftäter“ skandieren die Demo-Teilnehmer, die sich während des rund 45-minütigen Protestzuges diszipliniert verhalten. Ihnen war untersagt worden, Alkohol zu trinken oder gar Flaschen mitzuführen.

12.20 Uhr, Rheingoldstraße

„Lucki“ und „Kucki“ machen am Stadion einen wichtigen Job. Holger Lucki (49) und Thomas Koukal (50) von der Polizeiwache Querum sind heute als sogenannte Dialogbeamte im Dienst. Sie unterscheiden sich auffällig von ihren Kollegen, die heute im Stadtgebiet unterwegs sind. Ihre weiße Weste ist von weitem zu erkennen. Auch tragen sie keinen Helm oder schwere Ausrüstung zum besseren Schutz. Ihre Stärke sind die Worte. Ein junger Eintracht-Fan kommt auf die beiden Polizisten zu, die schwarze „Anti Hannoi“-Mütze tief in die Stirn gezogen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte er, während zwei Plastikbecher mit Bier in seiner Hand gefährlich ins Wackeln geraten. „Wir reden“, sagt Koukal.

Später sagt er: „Die Leute sind interessiert. Wenn man ins Gespräch kommt, kann man oft die aufkommende Aggressivität im Keim ersticken.“ Und Lucki ergänzt: „Eigentlich sind wir bei den Gästefans vor Ort. Das Derby ist eine Ausnahme. Oft ist es so, dass sich gewisse Gruppen von der Polizei nichts sagen lassen wollen. Unser Auftreten ist anders, und das reicht schon, um in den Dialog zu kommen.“ Man sei nur ein kleines Rädchen im Sicherheitskonzept eines Fußballspiels, sagt Lucki. Aber ein effektives, so der Eindruck.

13.20 Uhr, Einsatzzentrale

Kurz vor Spielbeginn herrscht in der Einsatzzentrale Betriebsamkeit. Von Hektik ist aber keine Spur. Bislang ist dieses Risikospiel friedlich gewesen. Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat sich davon selbst gerade erst ein Bild gemacht. Über Monitore verfolgt die Einsatzleitung neuralgische Punkte am und im Stadion. Pistorius ist zufrieden: „Alles ruhig“, ruft er im Vorbeigehen. Der Minister hat es eilig. Zwar ist er bekennender Osnabrück-Fan, aber die sportliche Brisanz des Duells lässt auch ihn nicht kalt. Pistorius hatte vorher die Anhänger von Eintracht und 96 eindringlich gewarnt. Sollte es in Braunschweig zu Gewalteskalationen kommen, dann werde das für das Rückspiel Konsequenzen haben. Das erneute Abbrennen von Pyro-Technik wird ihn verärgert haben. Die Bilanz lässt sich dennoch sehen: Kein Verletzter, drei Menschen in Polizeigewahrsam. Der Wermutstropfen: 2500 Beamte, inklusive 500 Bundespolizisten, waren nötig, um am Ende diese Derby-Bilanz ziehen zu können.