Berlin. Die Deutsche Energie-Agentur fordert eine Reform der Energiepolitik. Das ist auch als Ratschlag für die neue Kohlekommission zu sehen.

Autos und Laster fahren mit Biosprit, Erdgas, Strom. Auch mit Kraftstoffen, die mit Ökostrom chemisch erzeugt wurden. Auf den Dächern gibt es viele Solaranlagen, überall drehen sich Windräder. Die Stromnetze sind erheblich ausgebaut, in unterirdischen Speichern lagert das Treibhausgas Kohlendioxid. So oder so ähnlich sieht die Zukunft aus. Darauf drängt zumindest die Deutsche Energie-Agentur (Dena). Sie gilt als wirtschaftsnah, wird von der Bundesregierung getragen und soll sie beraten. In diesem Fall gibt es harsche Kritik am aktuellen Kurs.

Geht es nach der Agentur, wird Deutschland mit möglichst vielen neuen Technologien, auch umstrittenen, klimaneutral. Wolle das Land seine Klimaziele noch erreichen, müssten sich alle „grundlegend andere Gedanken“ machen, fordert Dena-Chef Andreas Kuhlmann. Er will mehr Tempo, weniger Engstirnigkeit. Die schwarz-rote Koalition setze vor allem auf Effizienz, erneuerbare Energien und einen hohen Grad Elektrifizierung bei Autos, Heizungen, Industrieprozessen. Für Kuhlmann reicht das nicht.

Die Bundesregierung will in den nächsten Monaten eine Art Masterplan für die Energieversorgung entwickeln. Sie plant ein Klimagesetz, die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ soll bis Ende 2018 über die Zukunft der Kohle entscheiden. Sie soll diesen Mittwoch eingesetzt werden.

Kein konkretes Datum für Kohleausstieg empfohlen

Die Dena hat 60 Vertreter aus der Wirtschaft – Energieversorger, Netzbetreiber, Industriekonzerne, Beratungsfirmen und Verbände – an einen Tisch geholt, zudem einige Wissenschaftler. Entstanden ist die gut 500 Seiten dicke „Dena-Leitstudie Integrierte Energiewende“. Ein konkretes Datum, wann der Ausstieg aus der Kohle ratsam ist, findet sich darin nicht.

Dort liest man nur, dass die Kohleverstromung bis 2030 um die Hälfte zurückgeht und bis 2050 beendet ist. Die Dena versteht ihre Studie als Diskussionsgrundlage. Sie zeigt, wie das Energiesystem grundsätzlich umgebaut werden kann – und wo gestritten werden muss.

Derzeitige Geschwindigkeit reicht nicht aus

Kuhlmann und sein Team haben sich zunächst die Welt von morgen vorgestellt, sich auf Annahmen geeinigt. Etwa darauf, wie sich der Güterverkehr entwickelt (langfristig zunehmend), das Wirtschaftswachstum (jedes Jahr plus ein Prozent) oder der Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik an Land vorangeht (schneller als bisher). Und sie haben Fragen beantwortet wie: Kann eine sogenannte Dunkelflaute, wenn weder Wind- noch Solaranlagen Strom liefern, die Versorgung gefährden? Viele meinen: Nein, die Dena-Leute aber: Ja.

Im Referenzszenario, bei einem Weiter-wie-bisher, werden 2050 rund 62 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als 1990. Die Regierung hat sich aber 80 bis 95 Prozent vorgenommen. Was also tun? Elektrifizieren? Oder auf einen Technologiemix setzen?

Der entscheidende Unterschied: Bei Elektrifizierungsszenarien wird der Energieverbrauch in Häusern, in Fabriken, im Verkehr weitgehend mit Strom gedeckt. Bei Technologiemixszenarien ist purer Strom nicht alles, seine Umwandlung in andere Energieträger, die Power-to-X-Methode, spielt eine größere Rolle. Dabei wird „Power“, Energie aus Strom, verwendet, um andere Energieträger zu schaffen, Wasserstoff etwa, Methan oder synthetische Kraftstoffe.

Umweltministerium hält wenig von den Ideen der Agentur

Die Technologiemixszenarien, erklären die Dena-Experten, seien „robuster, weil sie stärker auf bestehende Infrastrukturen aufbauen und auf mehr gesellschaftliche Akzeptanz stoßen“. Sie seien auch flexibler, neue technologische Entwicklungen ließen sich leichter einbauen. Wer die Elektrifizierungsszenarien anstrebe, müsse etwa den Gebäudebestand stärker energetisch sanieren, damit Wärmepumpen effizient genutzt werden könnten. Obendrein werde es „um bis zu 600 Milliarden Euro“ günstiger, entscheide sich die Regierung für einen „breiten Technologie- und Energieträgermix bis 2050“.

Kuhlmann sagt es so: „Wenn wir eine Energiewende wollen, die möglichst wirtschaftlich ist und von der Gesellschaft getragen wird, sollten wir heute marktorientierte Rahmenbedingungen für einen breiten Technologiemix schaffen.“ Dazu gehörten dann auch die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid, gegen die sich schon Bürgerinitiativen gründeten, oder die Power-to-X-Technologien in großem Stil, um Brennstoffe mithilfe von Ökostrom zu produzieren.

Industrieverband: 95-Prozent-Ziel lieber gleich abschaffen

Jochen Flasbarth, als Staatssekretär im Bundesumweltministerium einer der Treiber in der Regierung für den Klimaschutz, warnt indes vor einer „Überbetonung“ von synthetischen Brennstoffen. Sie seien nicht effizient genug. Um sie herzustellen, sei viel Ökostrom nötig.

Die Pi-mal-Daumen-Formel: Für die gleiche Fahrleistung mit einem Pkw braucht man bei batterieelektrischem Antrieb ein Windrad, bei strombasiertem Gasantrieb sechs und bei strombasierten, flüssigen Kraftstoffen sieben. Flasbarth: „Wer Power-to-X-Technologien für alles Mögliche als Aspirin ansieht, wird eine nachhaltige Energiewende nicht schaffen.“

Zuletzt hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie in „Klimapfade für Deutschland“ Vorschläge für die Energiewende gemacht. Er empfahl der Regierung, ihr 95-Prozent-Ziel lieber gleich aufzuheben, weil die dafür nötigen gesellschaftlichen und industriepolitischen Einschnitte zu groß seien, und es bei 80 Prozent zu belassen.

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