Braunschweig. Ein Braunschweiger Architekt arbeitet mit Virtual Reality und erklärt den schwierigen Bau einer speziellen Welt.

Neugierig das neue Wohnzimmer erkunden, anschließend die Treppe hochlaufen, um einen Blick durch das Schlafzimmerfenster zu werfen. Dabei ist das neue Haus noch gar nicht fertig. Im Gegenteil: Der Architekt steckt mitten in der Planung. „Ich bin aber fast soweit, meine Kunden schon in dieser Phase durch das Haus laufen lassen zu können“, sagt Tobias Plinke.

Wie der Architekt das machen will? Mit Virtual-Reality (VR)-Brillen. Die Vorrichtung liegt wie ein Helm auf dem Kopf, die vorgeschnallte Brille dunkelt das Sichtfeld ab. Die Augen blicken im Inneren auf eine Art Monitor. Mit Touchcontrollern – ähnlich denen herkömmlicher Spielekonsolen – kann der Nutzer navigieren und sogar nach Gegenständen greifen.

So können Kunden des 39-Jährigen einen Spaziergang durch ihr virtuelles Eigenheim machen – zumindest durch den Entwurf. Sie können sich wenden, schauen, was hinter ihnen passiert, einen Blick an die Decke werfen oder sogar Lampen ein- und ausschalten. Die VR-Brillen erlauben einen Rundumblick, als wäre der Nutzer mitten drin – obwohl er eigentlich in Tobias Plinkes Büro steht. Genau dieser Aspekt ist so innovativ, findet er: „Es geht in der Architektur ja darum, wie man die Sache darstellt. Sie soll möglichst greifbar sein, Emotionen ermöglichen. Und am intensivsten ist das Erlebnis der Architektur eben, wenn man durch das Gebäude gehen kann. Deshalb habe ich mich für die 3-D-Darstellung entschieden.“ Und deshalb hat sich der Selbstständige auch auf die Visualisierung und Präsentation von Architekturprojekten spezialisiert: „Architekten kommen auf mich zu, möchten Visualisierungen für Wettbewerbe oder zur Vermarktung.“ Die Architektur selbst stammt nicht von Plinke.

Der Weg von der klassischen Blaupause zum virtuellen Modell ist allerdings lang. Diverse Arbeitsschritte sind nötig. Verschiedene Computerprogramme müssen mit den Daten gespeist und bearbeitet werden. Am Anfang der Produktionskette steht ein Konstruktionsprogramm. „Damit baue ich die 3-D-Modelle“, sagt Plinke. Die staffiert er anschließend mit einem weiteren Programm aus – er drapiert die Möbel und die Innenausstattung. Vom Virtual-Reality-Erlebnis ist das Modell dann noch weit entfernt.

Richtig kompliziert wird es erst im nächsten Schritt. „Da geht die Visualisierung in ein 3-D-Gaming-Programm“, erklärt Plinke. Gaming? Was hat ein Architektur-Modell denn plötzlich mit Computerspielen zu tun? Eine ganze Menge – zumindest wenn man die Produktionsebene betrachtet. Die Basisbausteine für VR-Visualisierungen stammen nämlich aus der Spielproduktion. Virtuelle Welten, in denen Computer-Zocker auf Alien-Jagd gehen, bilden also das Fundament der 3-D-Architektur. „Diese Modelle kann ich also etwa auf Basis einer Ego-Shooter-Spielwelt bauen. Das Ganze ist ja im Grunde auch wie ein Spiel“, sagt Plinke.

Virtuelle Untergangszenarien oder Sportspiele sind demnach der Ursprung von Tobias Plinkes Idee. Er gewährt einen kurzen Einblick in die Spielewelt – und der ist beeindruckend. Die VR-Brille aufgesetzt, taucht man in den Kampf futuristischer Soldaten mit einem zerstörungswütigen Roboter ein. Der Körper weicht abgesprengten Gesteinsbrocken aus – die fliegen aus sämtlichen Richtungen heran. Und schließlich steht man dem Metalltitanen Auge in Auge gegenüber.

Es ist daher nicht überraschend, dass sich diverse Branchenzweige der VR-Technik bedienen wollen – vor allem dann, wenn die Verwandtschaft zum Spiel die Nutzung nahelegt. Das Niederländische Unternehmen Beyond Sports etwa produziert VR-Videos für den Profisport. Namhafte Vereine wie der Fußballclub von Ajax Amsterdam gehören zur Kundschaft. „Wir nutzen dafür positionsbezogene Daten aller Spieler, Daten aus echten Spielen, um die Videos zu produzieren“, sagt Sander Schouten von Beyond Sports. So können die Spieler reale Spielszenen wieder und wieder erleben und bewerten – als wären sie noch mal mittendrin. Einen Preis für die Arbeit seines Unternehmens will Schouten nicht verraten: „Es kommt natürlich darauf an, was der Verein nutzen möchte. Ein Jugendspieler hat zum Beispiel andere Bedürfnisse als ein Spieler der 1. Mannschaft.“

Doch zurück zur Architektur: Noch ist Tobias Plinke nicht zufrieden mit seinen VR-Modellen. „Die Darstellungsqualität ist noch nicht so, wie ich mir das wünsche“, sagt er, „da soll ja Emotionalität entstehen, es soll lebendig wirken.“ Lichtinstallationen etwa stellen ihn noch vor Probleme. Das 3-D-Handwerk hat sich der Braunschweiger Architekt übrigens selbst erarbeitet. Seit Anfang 2016 widmet er sich intensiv der VR-Visualisierung. Während seiner Studienzeit zwischen 1999 und 2004 habe es dafür noch keine Kurse an der Uni gegeben. Deshalb bildet er sich eigenständig weiter – neben dem normalen Arbeitsalltag.

VR-Visualisierungen als Freizeitvergnügen zu gestalten, wäre ein teueres Hobby. Etwa 10 000 Euro hat Tobias Plinke für das nötige Werkzeug bereits investiert. Wann er damit Geld verdient, vermag er noch nicht einzuschätzen. „Ich kann noch nicht sagen, wie viel Geld ich einem Kunden für diese Arbeit berechnen kann. Das werde ich zunächst einmal schätzen müssen, bis sich ein angemessener Preis herauskristallisiert“, sagt Plinke.

Sicher ist: Sobald er mit seiner Arbeit zufrieden ist, wird sich Tobias Plinke auf den Weg zu seinen Kunden machen. Die enormen Datenmengen der digitalen Hausentwürfe sicher im Laptop gespeichert und seine VR-Brille unter dem Arm.