Berlin. Die Wahlrechtsreform ist beschlossen. Auf den aktuellen Bundestag angewendet hätte das weitreichende Auswirkungen für viele Politiker.

Am Freitag hat der Bundestag über die umstrittene Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition abgestimmt. Mit dieser soll das Parlament von aktuell 736 Mitgliedern auf nur noch 630 Sitze schrumpfen. Der Entwurf erreichte im Parlament die erforderliche einfache Mehrheit.

In Kraft treten soll die Reform zwar erst mit der Wahl im Jahr 2025. Welche Auswirkungen die Pläne haben könnten, zeigt sich jedoch beispielhaft, wenn man die Reform auf den heutigen Bundestag anwendet. Insbesondere für die Linke und die CSU könnten die Ampel-Pläne weitreichende Konsequenzen haben. Union und Linkspartei haben daher jeweils eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Hintergrund des Ampel-Vorschlags ist das stetige Wachstum des Bundestags in den letzten Jahren, gefördert durch das deutsche Wahlrecht mit Erst- und Zweitstimmen. Nach den Plänen der Ampel soll neben den Überhang- und Ausgleichsmandaten auch die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen werden. Diese besagt, dass Parteien auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen können, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, dafür aber mindestens drei Direktmandate über Erststimmen gewonnen haben. Mehr zur Wahlrechtsreform: So will die Ampel den Bundestag schrumpfen

Wahlrechtsreform: CSU könnte aus dem Bundestag fliegen

Würde man die Wahlreform auf den heutigen Bundestag anwenden, würde vor allem die Fraktion der Linken darunter leiden: Sie wäre aktuell nicht im Parlament vertreten. Bei der Bundestagswahl 2021 holte die Linke 4,9 Prozent der Zweitstimmen und kam daher nur aufgrund der Grundmandatsklausel in den Bundestag.

Würde diese, wie es die Pläne von SPD, Grünen und FPD vorsehen, gestrichen, verlören 39 Abgeordnete der Linken ihre Sitze. Darunter wären auch Parteigrößen wie etwa die Vorsitzende Janine Wissler, die aktuellen Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, der parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte oder aber Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi.

Auch für die CSU könnte die Wahlrechtsreform problematisch werden. Nach Berechnungen der “Zeit” würde sie im aktuellen Bundestag sieben Sitze verlieren, betroffen wäre davon auch der ehemalige Verkehrsminister Andreas Scheuer. Noch schwerer könnte es die CSU allerdings treffen, wenn sie bei der kommenden Wahl nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen würde – dann hätte sie genau wie die Linke gar keine Sitze mehr im Parlament. Unrealistisch ist das nicht: 2021 verzeichnete die CSU mit 5,2 Prozent ein historisch schlechtes Wahlergebnis.

Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wäre nicht im Parlament, würde man die Wahlrechtsreform auf den heutigen Bundestag anwenden.
Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wäre nicht im Parlament, würde man die Wahlrechtsreform auf den heutigen Bundestag anwenden. © imago images/Christian Spicker | Christian Spicker via www.imago-images.de

Die CDU müsste 21 Sitze abgeben, die SPD 18

Auch einige bekannte Persönlichkeiten aus der CDU würden nach den Berechnungen der „Zeit” mit der Reform aus dem aktuellen Bundestag verschwinden. Neben der früheren Staatsministerin Annette Widmann-Mauz und der stellvertretenden Generalsekretärin Christina Stumpp müsste auch Steffen Bilger, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär und Mitglied des CDU-Bundesvorstands, den Bundestag verlassen. Insgesamt müsste die CDU 21 Sitze abgeben.

Weitere 18 Sitze müsste die SPD räumen. Auffällig ist hier, dass die Partei vor allem viele jungen Mitglieder im Bundestag verlieren würde, darunter Lena Werner und Anna Kassautzki. Zudem müsste Ye-One Rhie aus Aachen ihren Sitz abgeben. Doch das sei Teil des Auftrags, den Bundestag kleiner zu machen, sagt die SPD-Politikerin: „Wir zeigen den Wähler:innen, dass wir auch Reformen beschließen können, die uns selbst betreffen.“ Das Ziel ihres Mandats sei es, Politik für die Menschen zu machen und nicht sich selbst abzusichern. „Ich bin nicht im Bundestag, um Politik für mich zu machen“, sagte Rhie dieser Redaktion.

Als Teil der Ampel und somit Unterstützer der Wahlrechtsreform würden auch die Grünen den Verlust von Sitzen hinnehmen müssen. Aus der Partei müssten elf Abgeordnete den Bundestag verlassen, wenn auch niemand der bekanntesten Parteimitglieder. Ihr Mandat verlieren würden unter anderem Lukas Benner, Anja Liebert, Sebastian Schäfer und Awet Tesfaiesus. Unter den neun Sitzen, die die FDP freigeben müsste, wären Politiker wie Manuel Höferlein, Maximilian Mordhorst und Rainer Semet

Kritik an Wahlrechtsreform aus der Opposition

Kritik an der Reform kommt von der Opposition. CDU-Generalsekretär Mario Czaja sprach gegenüber dieser Redaktion im Vorfeld der Abstimmung von einem „verfassungswidrigem Frontalangriff auf die Union als Ganzes“: „Die Verkleinerung des Bundestags bleibt unser gemeinsames Ziel. Jetzt wollen sich Ampel und AfD gemeinsam ein eigenes Wahlrecht schaffen“, sagte Czaja. Es sei den Wählerinnen und Wählern nicht zu vermitteln, dass nicht die Direktstimme sondern ein „kompliziertes statistisches Konstrukt“ entscheiden solle, wer in den Bundestag einziehe. „Auch die Abschaffung der Grundmandatsklausel ist nicht zu erklären“, so Czaja. „Die Koalition gießt damit Öl in das ohnehin schon glimmende Feuer der Politikverdrossenheit im Lande.“

Der Co-Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, nannte die Reform einen „Angriff auf Demokratie und Pluralismus“. „Mit der geplanten Reform sollen politische Mitbewerber der Ampel aus dem Parlament gekegelt werden, indem die Grundmandatsklausel gestrichen werden soll“, so Schirdewan. Ganze Landstriche könnten damit zukünftig nicht mehr im Bundestag vertreten sein. Man werde jetzt prüfen, wie und ob man vor dem Verfassungsgericht dagegen klagen könnte, sagte Schirdewan.