Berlin. Jacinda Ardern erlebte einen steilen Aufstieg. Doch die neuseeländische Regierungschefin will nicht mehr. Sie hat besondere Gründe.

Ihre sonst so klare Stimme war brüchig, fast zittrig, sie hatte Tränen in den Augen. Dann erklärte Jacinda Ardern völlig überraschend ihren Rücktritt. Bereits am 7. Februar werde sie ihr Amt als Premierministerin Neuseelands aufgeben: „Ich weiß, was man für diesen Job braucht, und ich weiß, dass ich nicht mehr genug im Tank habe. So ist es einfach“, sagte sie. Es verberge sich kein geheimer Skandal hinter ihrer Entscheidung, versicherte sie. „Ich bin menschlich.“ Ihre Zeit als Regierungschefin sei erfüllend, aber auch herausfordernd gewesen. „Wir alle geben, solange wir geben können, und dann ist es vorbei. Und für mich ist es nun an der Zeit.“

Es war ihre erste Pressekonferenz in diesem Jahr und sie schlug ein wie eine Bombe. Was hat sie gesagt? Das kann doch nicht sein? Sie ist doch noch so jung.

Neuseeland: Arderns Leben ist öffentlich

42 Jahre jung – und konsequent. Und ganz offenbar am Ende ihrer Kraft. Jacinda Kate Laurell Ardern will die Verantwortung nicht mehr schultern. Macht ist nicht alles. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie schwierig es ist, die Politik und ihr Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Anders als andere Politiker und Politikerinnen hat sie die Menschen an ihrem Leben teilhaben lassen. Abschottung, wie Bundeskanzler Olaf Scholz oder Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sie praktizieren, war ihr fremd.

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Ardern war immer beides: Regierungschefin und Mutter einer kleinen Tochter. Das machte sie auch verletzlich. Ihre Stimme wurde weich, als sie ihrem Lebensgefährten, dem Journalisten Clarke Gayford, versprach, die wegen der Corona-Pandemie abgesagte Hochzeit bald nachzuholen. Gayford ist der Vater ihrer kleinen Tochter Neve.

Tochter Neve platzte ins Live-Video der Mama

Die Neuseeländer kennen die heute Vierjährige nicht erst seit dem Live-Video, als sie ihre Mama unterbrach, die gerade über die neuen Corona-Bestimmungen sprach. Ardern schaut auf dem Video Richtung Tür und lacht: „Du solltest im Bett sein, mein Schatz“, sagt sie. „Du solltest schlafen. Ich komme gleich und schaue nach dir.“ Nicht nur bei jungen Müttern brachte ihr das viel Sympathie ein.

Jacinda Ardern mit ihrer Tochter Neve und ihrem Lebensgefährten  Clarke Gayford bei den Vereinten Nationen  in New York. t
Jacinda Ardern mit ihrer Tochter Neve und ihrem Lebensgefährten Clarke Gayford bei den Vereinten Nationen in New York. t © AFP/Getty Images | Getty Images

Neve wurde geboren, da war Ardern bereits Premierministerin. Mit 37 Jahren war die Politikerin der Labour-Partei ins Amt gewählt worden – als jüngste Frau weltweit an der Spitze eines Landes. Nach Benazir Bhutto war sie die zweite Regierungschefin eines Landes, die während der Amtszeit ein Kind bekam. Doch anders als bei Bhutto begleitet Neve ihre Mama so oft es ging.

Ihr kometenhafter Aufstieg hat einen Namen: Jacindamania

Am Donnerstag wirkte Ardern fast befreit, als sie erklärte, sie freue sich darauf, endlich wieder Zeit mit der Familie zu verbringen, die es nicht leicht gehabt habe in den vergangenen Jahren. „Also, an Neve: Mama freut sich darauf, dieses Jahr mit dabei zu sein, wenn du eingeschult wirst. Und zu Clarke: lass uns endlich heiraten!“ Sie verlässt die Pressekonferenz Arm in Arm mit ihrem künftigen Ehemann, auf dem Weg nach draußen schallt ihr Applaus entgegen.

Es ist diese Nähe, ihre Menschlichkeit und Empathie, die Ardern beliebt gemacht haben. Ihre Wiederwahl Ende 2020 nach weitgehend überstandener Pandemie war fulminant, die meisten der fünf Millionen Einwohner waren stolz auf ihre Regierungschefin und schenkten ihr für weitere drei Jahre das Vertrauen und eine absolute Mehrheit. Ihr kometenhafter Aufstieg hat in Neuseeland einen Namen: Jacindamania.

Ardern trug den Maori-Federmantel im Buckingham Palast

Arderns Regierung ist so weiblich, bunt und divers wie das Land, mehrere Maori sitzen im Kabinett. Als sie 2018 zu einem Dinner im Buckingham Palace in London in einem Maori-Federmantel erscheint, war von kultureller Aneignung noch keine Rede. Im Gegenteil. Sie stärkte das Wir-Gefühl der Nation und lenkte Neuseeland durch zahlreiche Krisen.

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Davon gab es reichlich. Sie selbst zählt sie auf: die Terroranschläge auf zwei Moscheen in Christchurch, ein Vulkanausbruch, die Corona-Pandemie. Sie meisterte sie mit ihrem Kommunikationstalent, ihrem Einfühlungsvermögen und ihrer Entschlusskraft. Es steckte immer viel Jacinda, viel Persönliches, viel Sensibilität in ihren Botschaften.

Mit Kopftuch nach dem Attentat von Christchurch

Besonders ihr Umgang mit den Attentaten von Christchurch, bei denen ein Rechtsextremist aus Australien im März 2019 in zwei Moscheen 51 Muslime erschossen hatte, brachte ihr viel Anerkennung. Sie hielt eine bewegende Rede, umarmte Angehörige, hörte zu und trug aus Solidarität ein Kopftuch, als sie die muslimische Gemeinde besuchte. Kurz darauf brach auf der Insel White Island ein Vulkan aus, mindestens 20 Menschen starben. Und dann kam Corona.

Ein Zeichen der Solidarität: Jacinda Ardern trug nach den Anschlägen von Christchurch ein Kopftuch, als sie die muslimische Gemeinde besuchte.
Ein Zeichen der Solidarität: Jacinda Ardern trug nach den Anschlägen von Christchurch ein Kopftuch, als sie die muslimische Gemeinde besuchte. © AFP | Marty Melville

In der Pandemie fuhr die Regierungschefin einen knallharten Abschottungskurs und verhängte strengste Ausgangssperren. Lange kam Neuseeland vergleichsweise glimpflich durch die Krise. Erst 2021 beendete sie die Null-Covid-Strategie.

„Für mich ist es Zeit“, sagt Ardern

In der Wirtschaftspolitik agierte sie glücklos, die Inflation steigt. Gegen die Wohnungsnot fand sie kein Mittel, der Kampf gegen die Armut kam nicht voran. Zwar gibt es noch immer keinen Politiker oder Politikerin, die beliebter ist als sie. Doch ihre Partei liegt nach Umfragen hinter den Konservativen. Eine dritte Amtszeit wäre fraglich gewesen.

„Für mich“, so hatte Ardern am Donnerstag gesagt, „ist es Zeit.“ Schon am kommenden Sonntag will die Labour-Partei entscheiden, wer die Partei künftig anführen und damit auch Regierungschef oder Regierungschefin wird. Am 14. Oktober soll es dann Parlamentswahlen geben. Ardern will bis dahin einfache Angeordnete sein – mit etwas weniger Verantwortung und mehr Leben.