Berlin. Gesetzliche Krankenkassen haben Rücklagen von 21 Milliarden Euro. Gesundheitsminister Jens Spahn fordert die Senkung von Beiträgen.

Wenn viele Menschen Arbeit haben und Beiträge in die Sozialversicherungen einzahlen, macht sich das dort unmittelbar bemerkbar. Wie gut die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist, zeigt sich aktuell an der Neunmonats-Bilanz der gesetzlichen Krankenkassen: Die Rücklagen der insgesamt 110 Kassen sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Kassen deshalb aufgefordert, ihre Zusatzbeiträge zu senken. Die Beitragszahler – also Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Rentner – sollten entlastet werden. Die SPD dagegen will die hohen Rücklagen dafür nutzen, die Beiträge auf Betriebsrenten zu senken. Das seit Monaten umstrittene Thema wird Ende der Woche auch den CDU-Parteitag beschäftigen. Es dürfte nächstes Jahr auf die Tagesordnung der schwarz-roten Koalition kommen.

Jahresabschluss wird noch höher ausfallen

Wie Spahns Ministerium am Mittwoch mitteilte, beendeten die Krankenkassen das dritte Quartal Ende September mit einem Überschuss von insgesamt 1,9 Milliarden Euro. Rund die Hälfte davon entfiel auf die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) mit zusammengerechnet 920 Millionen Euro. Die Ersatzkassen, zu denen vor allem Techniker und Barmer gehören, kamen auf ein Plus von 530 Millionen Euro. Der Rest verteilt sich auf Betriebs- und Innungskrankenkassen.

Die hohen Überschüsse führen dazu, dass die Reserven aller Krankenkassen auf den Rekordwert von insgesamt 21 Milliarden Euro geklettert sind. Das ist nur der Neunmonatswert für Ende September. Der Jahresabschluss wird noch höher ausfallen. Die Rücklagen der einzelnen Kassen fallen jedoch sehr unterschiedlich aus. Vor allem kleine Betriebskrankenkassen wehren sich deshalb gegen Beitragssenkungen. Auch der Spitzenverband der Krankenkassen warnte, dass die Ausgaben 2019 weiter steigen würden.

Nahles verlangt Entlastung von Betriebsrentnern

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sagte, angesichts der hohen Rücklagen der Kassen könne es nicht sein, dass Betriebsrentner noch immer den „doppelten Beitragssatz“ zahlen müssten. Die SPD wolle das nun ändern. „Wir wollen die Betriebsrenten stärken, durch einen echten Freibetrag statt einer Freigrenze und eine Halbierung der Beitragssätze“, sagte Nahles und bekräftigte damit eine Forderung ihrer Partei aus dem Sommer. „Das haben sich die Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner verdient.“ Gesundheitsminister Spahn müsse schnell „ein solides Finanzierungssystem vorlegen“.

Hintergrund des Vorstoßes ist eine Regel, die seit Jahren für Unmut unter Rentnern sorgt: Ruheständler, die gesetzlich krankenversichert sind und Einkommen aus einer Betriebsrente oder einem Versorgungswerk erhalten, zahlen auf dieses Einkommen oft den vollen Krankenkassenbeitrag von 14,6 Prozent plus den Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent. Diese Situation betrifft geschätzt fünf Millionen Menschen, genaue Zahlen gibt es nicht.

Riester-Renten sind komplett frei von Kassenbeiträgen

Die Regel erscheint deshalb ungerecht, weil für die normale Rente der gesetzlichen Rentenversicherung nur der halbe Kassenbeitrag von 7,3 Prozent und der Zusatzbeitrag fällig sind. Die andere Hälfte zahlt die Rentenversicherung. Riester-Renten sind sogar komplett frei von Kassenbeiträgen. Die unterschiedliche Behandlung der Renten hatte 2004 die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) eingeführt. Mehrere Gerichtsverfahren ergaben, dass dies zulässig ist.

Weil aber immer mehr Rentner von dem Problem betroffen sind und der Unmut unter ihnen wächst, ist der politische Druck inzwischen groß. Die CDU will auf ihrem Parteitag Ende der Woche deshalb über eine Reform diskutieren. Einer der Anträge, die eine Lösung fordern, kommt von der Jungen Union (JU). Deren Chef, Paul Ziemiak, fordert „die Abschaffung doppelter Sozialabgaben auf die private und betriebliche Altersvorsorge“. Es sei richtig, zusätzlich zur gesetzlichen Rente vorzusorgen. Deshalb unterstützen wir Pläne, private und betriebliche Altersvorsorge attraktiver zu gestalten“, so Ziemiak.

Unmut der Rentner wird groß sein

Auch der CDU-Wirtschaftsflügel will eine Änderung und fordert ziemlich genau das, was auch die SPD will. Anders als die Sozialdemokraten wollen Unions-Politiker die Kosten für die Reform aber nicht aus Krankenkassenbeiträgen finanzieren, sondern aus Steuern, denn: Zahlen Betriebsrentner weniger Beiträge, fehlen den Krankenkassen dadurch pro Jahr rund drei Milliarden Euro. Würde eine Reform nicht nur für die Zukunft gelten, sondern rückwirkend ab 2004, dann kostet dies nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums 37 Milliarden Euro. Das wollen weder SPD noch Union – wissend, dass der Unmut der Rentner, die in den vergangenen 14 Jahren Beiträge gezahlt haben, groß sein wird.

Gesundheitsminister Spahn hat kürzlich bereits klargemacht: „Eine Summe dieser Größenordnung ist unter keinen Umständen darstellbar. Es kann und sollte nur eine Regelung für die Zukunft gefunden werden.“