Rom/Brüssel/Berlin. Das Land ist mit Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge überfordert und droht mit Schließung der Häfen – sollte die EU nicht helfen.

Die Zahl der Menschen, die nach Europa flüchten, steigt wieder an: 12.500 Menschen auf 22 Rettungsschiffen kamen allein in den vergangenen vier Tagen in italienischen Häfen an. Zu viel, befand die italienische Regierung: Italien legte EU-Flüchtlingskommissar Dimitri Avramopoulis in Brüssel einen Forderungskatalog vor.

Sein Land sei nicht länger in der Lage, das Problem allein zu lösen, „wir stehen unter Druck“, sagte Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni am Donnerstag in Berlin. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen:

Welche Unterstützung fordert Italien von den EU-Partnern?
Rom baut eine Drohkulisse auf: Sollte es, beginnend mit dem Innenminister-Gipfel in Tallinn in der kommenden Woche, keine konkreten Signale für Solidarität geben, werde man notfalls Rettungsschiffen keine Anlaufgenehmigung für italienische Häfen mehr erteilen. Und zwar solchen, die nicht unter italienischer Flagge fahren, zur italienischen Marine oder Küstenwache oder zu den EU-Missionen Frontex und Eunavmed gehören.

Diese Regelung würde vor allem die freiwilligen, privaten Schiffe der Hilfsorganisationen betreffen. Außerdem müsse man eine Regionen-Regelung einführen. Es könne nicht angehen, dass ein maltesisches Schiff in einen sizilianischen Hafen einlaufe, betonte Innenminister Marco Minniti. Darüber hinaus forderte Italien bei Avramopoulos die Bereitstellung von bis zu 400 Millionen Euro zur Unterstützung der international anerkannten Regierung Libyens.

Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer

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    Wie viele Flüchtlinge sind in Italien?
    Seit Anfang 2017 sind rund 75.000 Flüchtlinge nach Italien gekommen. Bis zum Jahresende werden geschätzte 150.000 Menschen dazukommen. Die meisten starten von der libyschen Küste, andere in Ägypten, Tunesien und dem östlichen Mittelmeer. Seit 2014, als die Flüchtlingskrise in Italien begann, sind bereits rund 600.000 Menschen gekommen.

    2016 wurden 25.000 allein reisende Minderjährige registriert. Die meisten bleiben in Italien. So will es die Dublin-Regel. Die 2015 vereinbarte Umsiedlung der Flüchtlinge in andere EU-Länder ist am Widerstand vor allem der östlichen EU-Staaten gescheitert.

    Wie sieht die Flüchtlingspolitik in Italien aus?
    Seit 2014 ist die Flüchtlingspolitik grundlegend umgekrempelt worden: Erstaufnahme, Versorgung und Integration werden nach hohen humanitären Standards abgewickelt, strikte Registrierung und zügige Bearbeitung der Asylanträge eingeführt. Das „Durchwinken“, also die ungehinderte Weiterreise nach Nordeuropa, wird durch Italiens Polizei verhindert. Wer an der Grenze aufgegriffen wird, kommt zurück in süditalienische Auffanglager.

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      Neue Gesetze der Regierung Gentiloni regeln einerseits die spezifische Betreuung der allein reisenden Minderjährigen, aber genauso die strikte Abschiebung, die innerhalb eines Jahres verdoppelt wurde. Gefährder und mutmaßliche Terroristen kommen in spezielle Abschiebehaftzentren und werden rapide in die Heimat zurückgeführt.

      Wie ist die Reaktion in Brüssel?
      Die EU-Kommission äußerte Verständnis für die Zwangslage der Italiener, warnt aber vor Alleingängen. „Wir teilen Italiens Sorge und wir unterstützen den Wunsch, die Lage zu ändern“, erklärte eine Sprecherin. Alle Maßnahmen müssten mit den anderen Mitgliedstaaten abgestimmt und den betroffenen NGOs vorab mitgeteilt werden, „sodass sie Zeit haben, sich vorzubereiten“. Die Kommission sei bereit, Italien weitere Unterstützung zu leisten, „auch durch substanzielle zusätzliche Finanzhilfe“.

      Eine Größenordnung wurde zunächst nicht genannt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sicherten Gentiloni am Donnerstag mehr Hilfe zu. Macron pochte allerdings auch darauf, dass Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssten, in dem sie zuerst den Boden des Schengenraums betreten – und dann nicht in andere Länder weiterreisen.

      Welche Rolle hat die Bundeswehr bei den Aktionen im Mittelmeer?
      Die Bundeswehr ist vor der Küste Libyens Teil der EU-Operation „Sophia“. Die EU-Mission wurde im Sommer 2015 gestartet und ist in erster Linie gegen Schleuserkriminalität gerichtet. Am Mittwoch verlängerte der Bundestag sie um ein Jahr. 95 deutsche Marine-Soldaten sind zur Zeit auf dem Tender „Rhein“ stationiert. Sie haben seit April knapp 1200 Menschen aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht.

      In Bundeswehr-Kreisen herrscht Unmut über die Vorgehensweise von NGOs vor der Küste Libyens. So ist unter anderem von einer Anspruchshaltung der Organisationen, die nur mit Fischkuttern oder ähnlich kleinen Schiffen vor der Küste unterwegs sind, die Rede, nach dem Motto: Die Bundeswehr soll uns helfen, wenn wir zu viele Menschen an Bord haben. Kritikern zufolge ermutigt der Einsatz Schleuser noch in ihrem Tun, weil sie auf die Rettung durch die Soldaten setzen. Auch die Bundesregierung räumte bereits ein, dass Schleuser ihr Geschäftsmodell auf die Seenotrettung verschiedener Akteure ausrichten.

      Der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, Florian Westphal, weist diese Kritik als „unbegründet und haltlos“ zurück. „Bis heute wurde dafür nicht ein stichhaltiger Beweis geliefert“, sagte er dieser Redaktion. „Die meisten Menschen, die wir retten, haben überhaupt keine Vorstellung davon, dass Rettungsschiffe auf sie warten.“ Die beste Art, Menschen vor den Schleppern zu schützen, wäre eine Möglichkeit, auf „legalem und sicherem Weg in die EU einzureisen um dort Schutz zu suchen“.