Braunschweig. Hirnforscher Martin Korte von der TU Braunschweig erklärt im Podcast „Forsch!“ wie wir unser Gehirn fit bis ins hohe Alter bringen.

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Wir werden immer älter. Kinder, die im vergangenen Jahr geboren wurden, haben eine um 15 Jahre längere Lebenserwartung als Kinder, die 1950 ins Leben starteten. Männer werden heute im Schnitt knapp 79 Jahre alt, Frauen knapp 84 Jahre, Tendenz mit jedem Jahrgang steigend. Das stellt Herausforderungen an unseren Körper, im Besonderen an unser Gehirn.

Um möglichst lange fit im Kopf zu bleiben, können wir uns nicht einfach auf unseren Genen ausruhen. Nur etwa 20 Prozent unserer Gedächtnisleistungen sei genetisch bedingt, sagt Martin Korte, Direktor des Zoologischen Instituts der TU Braunschweig und einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher. „Mit vier Fünftel hängt ein Großteil unserer Leistungsfähigkeit davon ab, wie lange wir bereit sind, Neues zu lernen.“

Sie erinnern sich an einen Namen nicht? Kein Stress!

Im Wissenschaftspodcast „Forsch!“ unserer Zeitung und der Forschungregion Braunschweig sagt Korte, dass man an sein Gedächtnis einen gewissen Anspruch stellen müsse, weil das Gehirn seine Leistungsfähigkeit danach ausrichte, was man von ihm erwartet. „Wenn unsere Gelenke es manchmal zu schätzen wissen, dass sie geschont werden, ist es für eine Nervenzelle der Tod. Sie lebt umso länger, je mehr sie beansprucht wird.“

Korte warnt jedoch auch vor Überforderung. Vor einem ehemaligen Klassenkameraden zu stehen und sich nicht mehr an seinen Namen zu erinnern, sei insbesondere wenn viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte vergangen sind, nicht ungewöhnlich. Zwar werde leicht das Gesicht erkannt, da das Gehirn dafür ein eigenes Areal habe – „im Laufe unseres Lebens können wir zehntausende Gesichter erkennen“. Ein Gesicht aber mit einem Namen in Einklang zu bringen, noch dazu in einem Kontext, in dem man es noch nie gesehen hat, sei schwierig. Denn die Namen liegen in anderen, den Spracharealen des Gehirns.

„Stress und Angst behindern das Gedächtnis“

Korte hat für diesen Fall zwei Tricks auf Lager: Er gehe zum einen Namen alphabetisch im Kopf durch, zum anderen Lebenssituationen. Und wenn das nicht helfe, frage er die Person einfach. „Wir dürfen nicht vergessen, dass das Gehirn erst einmal nicht per se schlechter wird, sondern dass der Datenraum, in dem wir suchen, im Laufe unseres Lebens immer größer wird.“ Also erst einmal fair gegenüber dem eigenen Gedächtnis bleiben, rät Korte. Die Zahl der Gesichter, die ein 70-Jähriger gesehen hat, sei ungleich größer als bei einem 30-Jährigen. Kein Stress deswegen, denn „Stress und Angst behindern das Gedächtnis“, so Korte.

Wird der Stress chronisch, könne er das Gehirn schädigen. Führt der Stress etwa zu Schlaflosigkeit, dann werde dem Gehirn die Zeit zur Regeneration genommen. Schlaf sei auch wichtig, um das tagsüber Gelernte abzuspeichern. Auch Abfallstoffe im Gehirn werden während der Schlafphasen abgebaut. „95 Prozent aller Menschen brauchen zwischen sieben und acht Stunden Schlaf.“

Gartenarbeit und Reisen statt Sukoku und Kreuzworträtsel

Natürlich altere das Gehirn mit der Zeit – ähnlich wie die Haut oder die anderen Organe. Nerven- und Gliazellen, die die Nervenzellen in ihrer Funktionalität unterstützen, stürben ab, die reine Mechanik komme ins Stocken, die Rechengeschwindigkeit und -kapazität nähmen ab. „Wir kompensieren das aber durch unsere Lebenserfahrung und dadurch, dass wir auf vielen Gebieten Experten sind.“ Viele Informationen müsse ein älterer Mensch gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, wie das ein junger Mensch machen müsse. Abläufe im Beruf seien bekannt, es sei klar, wann wir eine Notiz machen müssen und in welcher Länge sie sein sollte. Sich Dinge zu notieren, sei keineswegs ein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke im Umgang mit Lerntechniken. „Es zeugt davon, dass man ein kluger Lerner ist.“

Wer sein Gehirn trainieren will, der müsse nicht zum Liebhaber von Kreuzworträtseln oder Sudokus werden. Sie trainierten zwar unser Sprachgedächtnis und das mathematische Schlussfolgern. Das häufig angepriesene Gehirnjogging böten sie allerdings nicht. Viel effektiver sei beispielsweise das Reisen und das am besten noch in ein fremdsprachiges Land, in dem man versucht etwas von der Landessprache zu lernen. „Eine Fremdsprache zu lernen trainiert das Gehirn und wunderbarerweise auch das Treiben von Sport.“ Das müsse nicht das Joggen oder Nordic Walking sein. Auch die Treppe statt den Lift zu nehmen oder eine Stunde Gartenarbeit wirke sich positiv auf das Gehirn aus. „Die Wachstumsfaktoren, die die Muskeln ausschütten, wirken nicht nur auf die Muskeln zurück, damit sie wachsen. Sie wirken auch auf das Gehirn und sorgen dafür, dass in einem Gehirnareal, das für Lern- und Gedächtnisleistung zuständig ist, neue Nervenzellen gebildet werden.“ Die könnten dann kompensieren, dass andere Nervenzellen verloren gegangen sind. „Und so bleiben wir leistungsfähig.“

„Es gibt kein Alter, in dem man zu alt ist, um Neues zu lernen“

Besonders effektiv sei auch soziale Interaktion. Wenn ältere Menschen beispielsweise im Verein aktiv sind, dann sei das Gehirnjogging: „Da werden Sprach- und Gedächtnisareale aktiviert, die Sinne, und meist gehört auch Bewegung dazu. Das sind die Dinge, die einen erhaltenden Effekt auf das Gehirn haben.“ Und Korte ermutigt, bei neuen Erfahrungen dran zu bleiben, auch im höheren Alter. Viele ältere Mitbürger fingen nichts neues an, weil es am Anfang oft frustrierende Momente gebe. Fehler gehörten dazu und wir sollten ihnen gegenüber tolerant sein, so Korte. „Dann kann man auch in die Situation kommen, in der andere begeistert sagen, was man im Alter noch alles leisten kann.“ Korte empfiehlt, an das anzuknüpfen, was man in jüngeren Jahren schon mal gemacht hat: Eine Fremdsprache reaktivieren, das Spielen eines Musikinstruments. „Auch wenn wir das 50 Jahre nicht gemacht haben, das Gehirn hat eine strukturelle Erinnerung an die Sprache oder das Musikinstrument.“ Wenn es physisch an der Fingerfertigkeit scheitert, warum nicht in einem Chor mitsingen? „Es gibt kein Alter, in dem man zu alt ist, um Neues zu lernen.“

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