Kommentar

Alles nur schwarz? Zum Glück nicht!

„Das eigene Glück oder Pech muss man nicht als gegeben hinnehmen. Wir können lernen, wie man zufriedener durchs Leben geht.“

Katrin Schiebold

Wissen Sie noch, wann Sie zuletzt mal glücklich waren? So richtig? Wann sich diese wohlige Wärme im Bauch ausgebreitet und das Gefühl den Körper durchströmt hat, dass man sprichwörtlich die ganze Welt umarmen kann?

Es müssen ja gar nicht die ganz großen Dinge sein, Urlaub unter Palmen, Baden im knallblauen Meer, ein Lottogewinn oder eine Champagner-Sause im Edel-Hotel, die eine Glückshormon-Kaskade auslösen. Denken wir an die kleinen, alltäglichen Momente. An Gesten, die etwas in uns auslösen, Worte, die uns ins Herz treffen. Ein Lob, eine Umarmung, ein Erfolgserlebnis. Oft sind diese Momente flüchtig, wir vergessen sie wieder. Oder wir wissen sie viel später, im Nachhinein, erst richtig zu schätzen.

Wie nachhaltend nehmen wir die kleinen Glücksmomente wahr?

Als ich mit meinen Kindern an einem Nachmittag mit dem Fahrrad an die Schunter fuhr, die sich in der Nähe unseres Hauses durch ein Landschaftsschutzgebiet schlängelt, da kam diese wohlige Wärme im Bauch, dieses Glücksgefühl. Wir haben uns auf einen umgefallenen Baumstamm ans Ufer gesetzt und flache Kieselsteine über das Wasser flitschen lassen. Pitsch, pitsch, pitsch. Sonst war nur das Rascheln der Sträucher im Wind zu hören. Ein friedlicher, inniger Moment, in dem sich die Ruhe in mir so ausgebreitet hat wie die Ringe der hüpfenden Kiesel im Fluss.

Wie oft, wie intensiv, wie nachhaltend nehmen wir solche Momente wahr? Wie oft gelingt es uns, den Augenblick zu genießen? Das kleine Glück zu erkennen?

Zu schnell werden diese Eindrücke und Empfindungen wieder von negativen Erlebnissen überlagert. Stress bei der Arbeit, Kritik eines Kollegen, Streit in der Familie – und dann noch permanent schlechte Nachrichten über Twitter, in der Zeitung, im Fernsehen: Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Energiekrise; Klimakrise, Dauerkrise.

Schlechte Nachrichten zeigen oft viel mehr Wirkung als gute

Das führt zu dem, was Wissenschaftler Negativitätsverzerrung nennen: In vielen Fällen haben schlechte Nachrichten weitaus mehr Wirkung als gute. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist Negativitätsverzerrung eine Folge der Evolution. Unsere Vorfahren haben gelernt, in hoch riskanten Situationen intelligente Entscheidungen zu treffen, um Gefahren bestmöglich zu begegnen. Das heißt zum Beispiel: Bei einem Warnsignal lieber einmal zu viel weglaufen als einmal zu wenig. Im Laufe der Zeit passte sich die Gehirnstruktur allmählich an, um den negativen Informationen mehr Beachtung zu schenken als den positiven.

Heute ist unser Leben sehr viel sicherer als in der Welt unserer Vorfahren. Dennoch beeinflussen uns negative Erfahrungen nach wie vor stark. Angst, Wut oder Ärger spüren wir tendenziell schneller und stärker als Freude oder Entspannung. Negative Informationen über eine andere Person haben stärkeres Gewicht als positive. Also: „Der ist total hochnäsig“ wirkt stärker auf uns als „Der ist total nett.“ Tatsächlich kann uns der Chef noch so sehr über den grünen Klee loben, sobald ein bisschen Kritik geäußert wird, bleibt das negative Gefühl hängen.

Der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer sagt: „Unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, dauernd glücklich zu sein, aber es ist süchtig danach, nach Glück zu streben.“

Viele fragen sich: Wo bleiben die positiven Meldungen in der Zeitung?

In unserer Redaktion melden sich immer wieder Leserinnen und Leser, die sagen: Wir werden den ganzen Tag mit schlimmen Meldungen konfrontiert, mit Katastrophen, Kriegen, Schicksalen, negativen Schlagzeilen – wo bleiben die positiven? Dabei sind auf unseren Kanälen und in der Zeitung viele Erfolgsgeschichten zu lesen: Der Jung-Unternehmer, der sich selbstständig gemacht hat, die Eltern-Initiativen, die sich für den Erhalt von Förderschulen einsetzen, oder der Krebs-Patient, der eine schwere Krankheit überstanden hat. Doch auch wir sind überzeugt: Es geht noch mehr. Deshalb wollen wir in den nächsten Wochen das Thema Glück in den Fokus rücken: In Interviews, Porträts, Reportagen, die unsere Volontärinnen und Volontäre geschrieben haben, in kleinen Videos und Social-Media-Beiträgen. Und wir werden auch der Frage nachgehen, wie man es trotz anhaltender Krisennachrichten schafft, den Blick für das Positive zu schärfen.

Was bedeutet Glück? Darauf gibt es keine eindeutige, keine einheitliche Antwort. Glück ist subjektiv – jeder Mensch empfindet anders und jeder hat eine andere Sicht auf das, was erstrebenswert ist. Auch in der Philosophie gibt es verschiedene Interpretationen. Platon beschrieb Glück zum Beispiel als ein komplexes Zusammenspiel aus gerechtem Handeln, Streben nach Dingen wie Gesundheit, Anerkennung oder der Idee des Guten. Für Aristoteles stellte sich Glück automatisch und zufällig ein, wenn Menschen das machen, was ihrem Charakter und Wesen entspricht. Dazu gehört, dass die Grundbedürfnisse befriedigt sowie die eigenen Ziele verfolgt werden.

Im Gehirn gibt es ein Zentrum für positive Gedanken und Gefühle

Das eigene Glück oder Pech muss man nicht als gegeben hinnehmen. Wir können lernen, wie man zufriedener durchs Leben geht. Im menschlichen Gehirn gibt es ein Zentrum für positive Gedanken und Gefühle, ein Glücksareal, das man trainieren kann, wie der Physiker und Autor Stefan Klein in seinem Buch „Die Glücksformel“ schreibt. Freude, Lust, Aufmerksamkeit, Neugier und Lernen seien untrennbar miteinander verbunden. Deshalb sei es wichtig, sich um menschliche Beziehungen zu bemühen, Herausforderungen zu suchen und einen aktiven Alltag zu leben.

Aber nicht nur das: Glück ist auch abhängig von der Einstellung, der inneren Haltung, der Wertschätzung. Inzwischen gibt es Glückstrainer, Feel-Good-Seminare, Bücher, mit Tipps, wie man Momente im alltäglichen Leben wieder entdecken kann, in denen Glück möglicherweise verborgen liegt. Und manchmal sind die Tipps so simpel, dass sie fast banal wirken:

  • Sich morgens im Bett fünf Dinge überlegen, für die man dankbar ist
  • Sich abends bewusst machen, was man tagsüber gut gemacht hat
  • Jeden Tag eine Minute lächeln
  • Jeden Tag jemandem ein Kompliment machen

Das wäre doch schon ein guter Anfang, oder?

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