Ist der Mindestlohn gescheitert? Das wäre zu viel gesagt. Er hat die Situation für sozial Schwache verbessert.

Der Mindestlohn gilt. Jetzt soll er steigen. Aber wird er bezahlt? Der DGB in Niedersachsen hat darauf hingewiesen, wie groß der Abstand zwischen Gesetzestext und Wirklichkeit ist. Allein in unserem Bundesland erhalten 212 000 Beschäftigte nicht den ihnen zustehenden Lohn, erklärt der Gewerkschaftsbund. Er hat Daten ausgewertet, die einen Eindruck von der Schwierigkeit geben, gute Absicht in Realität zu übersetzen. In Deutschland liege die Zahl der Geprellten bei 2,2 Millionen.

Ist der Mindestlohn gescheitert? Das wäre zu viel gesagt. Er hat die Situation für sozial Schwache verbessert. Mehr Menschen können von ihrer Hände Arbeit leben. Aber der Mindestlohn erzeugt für viele, die Schutz besonders nötig hätten, soziale Scheinsicherheit. Wer am unteren Ende der Job-Hackordnung steht, überlegt sich dreimal, ob er die bessere Bezahlung einfordert. Und der Staat erzwingt die Einhaltung der gesetzlichen Norm nicht. Wer den Mindestlohn nicht zahlt, muss kaum Angst vor Entdeckung haben. Denn der Zoll ist mit seiner Personalausstattung zu wirksamer Kontrolle kaum in der Lage. Nur 2581 Verstöße stellte er vergangenes Jahr in Niedersachsen fest. Da wird ein Gesetz zur Absichtserklärung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will den Zoll stärken – es ist ihm Erfolg zu wünschen.

Trotz massiver Probleme bei der Durchsetzung steht nun die Mindestlohnerhöhung auf dem Plan. Ob dies zu dem erwünschte sozialen Fortschritt führt? Die Zahl derer, die trotz ihrer Berufstätigkeit auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, ist nach den Zahlen der Arbeitsagentur seit Einführung des Mindestlohns überraschenderweise kaum gesunken. Das dürfte nicht allein am massenhaften Rechtsbruch und auch nicht nur an der Vielzahl der Jobs mit geringer Wochenstundenzahl liegen.

Der Mindestlohn setzt die Gesetze der Ökonomie nicht außer Kraft – ein Arbeitsplatz muss finanzierbar sein. Und da stoßen einige Branchen an Grenzen. Die Bundesregierung hat sich dieser unbequemen Wahrheit von Anfang an verweigert – und lässt leider auch jetzt keine Einsicht erkennen.