Salzgitter. Braunschweig, Wolfsburg und Hildesheim gelten längst als Brennpunkte. Nun nimmt die Polizei in der Stahlstadt zwei Männer fest.

Unser Leser Marcus Pabst bemerkt auf unseren Facebookseiten:

Ach, wir wissen ja, wie das endet. In spätestens zwei Tagen sind die wieder auf freiem Fuß.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Der Bericht des Verfassungsschutzes in Niedersachsen ist mehr als 400 Seiten stark. Alleine das Kapitel zum Islamismus umfasst mehr als 60 Seiten. Von Salzgitter ist dabei mit keinem Wort die Rede.

Sechs Städte gelten in Niedersachsen als Brennpunkte des radikalen Islamismus: Braunschweig, Wolfsburg, Hildesheim, Göttingen, Hannover und Osnabrück sind besonders im Visier.

Salzgitter taucht im Bericht allenfalls mit Blick auf Rechtsextremismus und Aktivitäten der PKK, der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans, auf. Wie erst am Donnerstag bekanntwurde, nahmen bereits am Dienstagmorgen Polizisten in Salzgitter zwei mutmaßliche IS-Unterstützer fest, die mit Straftaten gedroht haben sollen. Wie lange die beiden 21-Jährigen schon in Salzgitter wohnen, ob sie dort Unterstützer oder Gleichgesinnte haben, das wollten die Sicherheitsbehörden unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht sagen. Ihre möglichen Anschlagspläne waren laut den Behörden nicht konkret. Die beiden Männer sollen mindestens seit November eine Internetseite betrieben haben. IS-nahe Kanäle sollen ihre islamistischen Inhalte weiterverbreitet haben.

In Salzgitter leben derzeit mehr als 5000 Flüchtlinge. Obwohl seitens der Behörden und auch in keinem Zeitungs- oder TV-Bericht von Flüchtlingen die Rede war, spekulierten viele Nutzer in den sozialen Medien, dass es sich bei den beiden mutmaßlichen IS-Unterstützern um Flüchtlinge handeln müsse. Das ist offensichtlich sogar der Fall, wie Bernd Kolkmeier von der Generalstaatsanwaltschaft Celle unserer Zeitung sagte. Die beiden hätten sich als „Flüchtlinge aus Palästina ausgegeben“, sagte er. Die Celler leiten die Ermittlungen.

Kolkmeier äußerte sich auch zum Vorwurf unseres Lesers. „Ich kann ihn beruhigen, nach zwei Tagen sind die beiden sicher nicht wieder auf freiem Fuß.“ Die Celler werfen den beiden Palästinensern eine ganze Liste an Vergehen vor. „Sie sind der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten dringend verdächtig“, heißt es laut der Generalstaatsanwaltschaft, die eine ganze Reihe an Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch zitiert.

Kolkmeier stellt in Aussicht, dass sich die beiden schon mal auf eine Haftstrafe einstellen können: „Untersuchungshaft wird nur dann verhängt, wenn auch mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen ist. Sonst wäre die Untersuchungshaft völlig unverhältnismäßig.“

Noch ist unklar, ob die beiden Männer Teil der salafistischen Szene in Niedersachsen sind. Kolkmeier wollte sich dazu nicht äußern. „Wir wollen keine Spekulationen nähren“, sagte er.

Die Sicherheitsbehörden registrieren einen größeren Nährboden für Salafisten in Niedersachsen. Seit 2013 hat sich ihre Zahl laut LKA von 330 auf 800 mehr als verdoppelt. Es gibt demnach einen ungebremsten Zulauf. Noch zu Jahresbeginn hatte die Zahl dieser Extremisten bei 680 gelegen.

Auch deshalb nutzte die Landesregierung am Donnerstag die Gunst der Stunde und wies auf die erfolgreiche Festnahme hin. Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte: „Dieser Fall zeigt erneut die Schlagkraft und ausgezeichnete Vernetzung der Sicherheitsbehörden.“ Er beobachte eine zunehmende Radikalisierung über soziale Medien und das Internet. Hier werde die Polizei verstärkt hinschauen. Offenbar sind den Behörden auch die beiden Palästinenser auf diese Art aufgefallen. Pistorius sagte: „Terroristen kennen keine Grenzen, und das Internet schon gar nicht.“

In den vergangenen Jahren mussten sich die abgewählte rot-grüne Landesregierung und auch die Behörden immer wieder Kritik gefallen lassen. So konnten zum Beispiel mehr als 20 radikale Islamisten aus Wolfsburg in die Kampfgebiete nach Syrien und dem Irak ausreisen und sich dem IS anschließen. Die Messerstecherin Safia S. unterschätzten sie. Die seinerzeit 15-Jährige stach im Februar 2016 am Hauptbahnhof von Hannover einen Bundespolizisten nieder.

Razzia gegen Islamistenszene in Berlin und Sachsen-Anhalt

Nicht nur in Salzgitter, auch in Berlin und Sachsen-Anhalt gingen Behörden gegen Islamisten vor. Dort hat die Polizei am Donnerstag Wohnungen durchsucht. Hintergrund der Razzia sind nach Angaben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Ausreisen in das Herrschaftsgebiet des IS. Ermittelt werde gegen vier Beschuldigte im Alter von 18 bis 21 Jahren wegen des Verdachts der IS-Mitgliedschaft und wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, teilten Staatsanwaltschaft und Polizei in Berlin mit.

Vollstreckt wurden neun Durchsuchungsbeschlüsse in Berlin und Sachsen-Anhalt. Als Beweismittel wurden insbesondere Datenträger sichergestellt.

Zwei der Beschuldigten werden laut den Sicherheitsbehörden verdächtigt, im November 2016 von Berlin über Istanbul zum IS in ein Bürgerkriegsgebiet ausgereist zu sein. Ein weiterer Beschuldigter soll beim IS eine militärische Ausbildung durchlaufen haben. Alle drei Beschuldigten vermuten die Ermittler noch im IS-Gebiet. Der vierte Beschuldigte soll Beihilfe zur Ausreise geleistet haben, indem er die drei Mitbeschuldigten zum Flughafen gebracht hat.

Medienberichte, dass die Verdächtigen aus dem Umfeld des Berlin-Attentäters Anis Amri stammen, wurden von den Behörden nicht bestätigt. Am 19. Dezember 2016 hatte Amri einen LKW vorsätzlich in die Besuchermenge auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gelenkt. Bei dem Anschlag wurden zwölf Menschen getötet.

Mehr zum Hintergrund lesen Sie hier: Polizei nimmt zwei mutmaßliche Islamisten in Salzgitter fest

Und einen Kommentar dazu finden Sie hier: Islamisten-Brennpunkt